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Emilia Cortés Märchen für meine Tochter Aus dem Spanischen von Erika Danneberg Du möchtest wissen, warum wir hier sind? Was es heif%t Ausländer zu sein? Ob unsere Haut anders ist? Ja, sie ist es! Unsere Haut ist tatsächlich anders. Aber lass mich Dir eine Geschichte erzählen, ein Märchen, unsere Geschichte werde ich versuchen Dir zu erzählen! Vor vielen Jahren, das sind viele Tage und Nächte, lebte in einem fernen Land, jenseits des Meeres ein Prinz, der sehr gut war. Er wollte, dass alle Kinder wie Du gleich waren, dass Alle genug zu essen hätten, um groß und stark zu werden. Er wollte viele schöne Schulen bauen, wo die Kinder, die Sprache, die Du und ich sprechen, lesen und schreiben lernten und vieles mehr, was man wissen sollte. Unser Land war aber arm, weil es andere Könige vorher verarmt hatten. Als dieser schr gerechte Prinz, von den Armen unterstützt, zum König ernannt wurde, kamen Probleme auf. Die Reichen des Landes waren beleidigt. Sie wollten nicht, dass Kinder wie Du so schöne Dinge erlernen, wie die Gleichheit. Diese Reichen schlossen sich zusammen gegen den König, eine Verschwörung. Die Armen, ja die Armen schlossen sich ebenfalls zusammen. Die Jungen unter ihnen bauten Schulen, die Väter arbeiteten in Fabriken, auf den Feldern 58 _ ZWISCHENWELT und diejenigen die anderen Berufe hatten, übten diese voller Eifer aus. Wie Dein Vater. Er bemühte sich, die gute Nachricht über die Geschehnisse des Landes zu verbreiten. Alles war in Aufregung, alle beteiligten sich am Aufbau eines schöneren gerechteren Reiches — für Euch, die Kinder dieses Landes. Überall war Schönheit für kurze Zeit. Die Reichen aber hatten Angst, sie wollten nichts verlieren, weder das angehaufte Geld, noch die Privilegien, die sie durch so viel Gemeinheit erzielt hatten. Sie suchten einen Ausweg, verbündeten sich mit den Männern mit Waffen, die nichts von Gerechtigkeit oder Freiheit verstanden. Die Soldaten stürmten die Straßen. Sie gehorchten den Bösen, die ihnen befohlen hatten, die Güte zu töten. Sie brachten den König ums Leben, metzelten das Volk nieder, zerstörten Schulen, verbrannten Bücher, sperrten die Gerechten ein, vernichteten unsere Träume. Liebling, weine nicht, denn die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Ja, die Reichen regieren, doch das Volk schließt sich zusammen. Wir alle, Du und ich, mein Liebes, haben gelernt, dass trotz allem dieses Königsreich bestanden hat, und dass wir in der Zukunft, dieses wunderschöne Reich, voller Gerechtigkeit und Gleichheit neuerlich errichten werden. Ich habe diese Geschichte erzählt, weil Du, mein Liebling, hier anders lebst. Aber Du sollst wissen, dass in jenem fernen Land, jenseits des Meeres, Menschen arbeiten, sich zusammenschließen, um den Tyrannen zu stürzen und die Brüder wieder zu finden.