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Gespräch der Betroffenen Zum Abschluss des Symposiums „Das Exil von Frauen — historische Perspektive und Gegenwart“ fand ein von Joana Radzyner moderiertes Podiumsgesprich statt, mit den Diskutantinnen: Rosa Emilia Cortés-Aravena, Erwachsenenbildnerin und Ubersetzerin, Beraterin beim Wiener ArbeitnehmerInnen Forderungsfonds (waff), 1985 Mitbegründerin des Vereins LEFO zur Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen. Hannah Fischer, Pädagogin und Psychologin, nach Rückkehr aus dem Exil Psychologin im Zentralkinderheim der Stadt Wien, ab 1984 Direktorin der Bildungsanstalt für Kindergärtnerinnen. Nadjet Hamdi, Erzieherin, Menschenrechtsaktivistin, Vertreterin der Frente Polisario (Westsahara) in Österreich und der Slowakei. Nina Kusturica, Filmemacherin (Regisseurin, Cutterin, Autorin, Produzentin), Mitbegriinderin der Produktionsfirma Mobilefilm. Maria Dorothea Simon, Sozialwissenschafterin und Psychoanabtikerin, Studium der Sozialarbeit im englischen Exil, PsychologieStudium in Wien, Dozentin in den USA, Direktorin der Akademie für Sozialarbeit, Wien. Johanna Tausig, Dienstmädchen und Fabriksarbeiterinimenglischen Exil, nach Rückkehr Sekretärin bei der KPÖ, danach Sachbearbeiterin in einer Spedition. Christine Kanzler: Joana Radzyner hat sich freundlicher Weise bereit erklart, die Moderation zu tibernehmen. Sie ist Korrespondentin des ORF in Warschau, Bratislava und Prag. Sie istin Warschau geboren und 1959 mit ihrer Familie nach Österreich geflüchtet, hat dann an der Universität Wien Soziologie und Politikwissenschaft studiert, auch an zwei polnischen Universitäten (Warszawski und Jagiellonski). Nach journalistischen Anfängen bei der Presse und beim Profil ist sie schließlich zum ORF gekommen und war 1984-2010 ORFKorrespondentin in Warschau, Bratislava und Prag, Seither arbeitet sie als freie Journalistin. Joana Radzyner: Ich habe „meine drei Länder“ glücklich vom Kommunismus bis zur EU-Mitgliedschaft begleitet und damit meine Aufgabe beim ORF erledigt. Ich freue mich schr, dass ich an dieser Tagung teilnehmen zu konnte, denn erstens ist mir die Exilproblematik schr nahe, da ich ja auch selbst einen Migrationshintergrund habe. Ursula Stern, hat mir, wie ich diese Moderation übernehmen sollte, mit lächelndem Gesicht einen Text gebracht, den ich 1985 für den Katalog zur Ausstellung: „Die Vertreibung des Geistigen aus Österreich“ geschrieben habe. Und der kam mir so zeitlos vor, dass ich einige Zeilen daraus vorlesen möchte: Erinnerst du dich an die Fliegen zuhause? Fragt ein Emigrant den anderen. Nein, ich erinnere mich nicht, ich will mich nicht erinnern, ständig hör ich nur dein: Erinnerst du dich? Erinnerst du dich an dieses, erinnerst du dich an jenes. Immer, dauernd, seit Jahren. Dieses Zitat aus dem 1975 uraufgeführten Stück „Emigranten“ des polnischen Schriftstellers Stawomir Mrozek ist zeitlos. Denn ob es jetzt Fliegen sind oder nationale Traditionen oder ob es sich um Sprache handelt, die in einer neuen Welt keinen Wert mehr hat und mit der man nichts anfangen kann, das ist die „Anwesenheit des Abwesenden“, und das ist ein wunderbarer Begriff von Jean-Paul Sartre über die „condition humaine“ von Menschen, die Flucht und Exil erleben. Wir hatten eine sehr interessante Tagung, bei der über das Phänomen des politischen Exils, die Flucht und über Betroffene gesprochen wurde, und ich finde eswunderbar, dass jetzt endlich die Betroffenen selber zur Sprache kommen, und aus ihrer Sicht sagen können, was meistens jenseits vom Typologischen liegt. Ich möchte mit jener Generation beginnen, die unter dem Nationalsozialismus aus Österreich iehen musste, weil sie rassistisch verfolgt wurde, und diese schrecklichen Jahre in Großbritannien überleben konnte. Ich beginne mit Frau Dr. Fischer: Sie waren ein Kind, eine 13-jährige. Können Sie sich noch an die Gefühle erinnern, wie sie dort angekommen sind? Wie haben Sie diese ersten Tage, Monate erlebt? Wissen Sie das noch? Wohin und zurück Hannah Fischer: Eigentlich nur noch schrblass. Es war so viel, dasauf mich eingeströmt ist, dass ich mich an keine Details erinnern kann. Ich weiß noch, dass ich mir, wiewir mit dem 60er zum Westbahnhof gefahren sind, in der Lainzerstraße gedacht habe, ich komme wieder hier her! Also ich war entschlossen, schon damals, wieder nach Hause zu kommen, ich bin nicht gerne weggefahren. Ich war mit meinem Bruderallein, das war schon im September 1938, also lange vor einem Kindertransport. Wir sind also zur Bahn, nach Brügge und über den Kanal — das war eine lange Fahrt - und dort wurden wir dann vom Leiter des Kinderheims empfangen, in dem wir untergebracht wurden. Ich möchte nicht viel über dieses Kinderheim sagen, außer dass es dort eine starke Diskriminierung gegeben hat zwischen den Kindern, deren Eltern bezahlt haben, und uns, für die ein Komitee bezahlt hat. Das heißt, mein Bruder und ich, wir mussten Haushalt und Garten besorgen, während dieanderen ihre Freizeit hatten. Und wir sind in die Hauptschule gegangen, die anderen in eine höhere Schule. Ich hab diese starke Unterscheidung das erste Malin meinem Leben kennengelernt. Ich habe wohl gewusst, dass es armere und reichere Leute gibt, aber ich hab es nie am eigenen Leib erfahren. Radzyner: Sie waren ja die Tochter eines Rabbiners, wie war das plötzlich, zu begreifen, dass ihr nicht erwünscht seid, dass ihr verschwinden müsst... war das ein Schock? Fischer: Das Verschwinden aus Österreich war kein Schock. Dazu muss ich sagen, dass meine Mutter schon seit dem Jahr 1936 eine Organisation für die Vermittlung von jüdischen Mädchen und Frauen nach England, betrieben hat und daher sozusagen aufällig war, wir hatten eine Hausdurchsuchung durch die Nazis, und abgesehen davon, dass sie die ganze Wohnung zerstört haben, haben sie auch das Material dieser Vermittlungsstelle konfisziert, und das mussten wir dann vom Amtshaus an der Hietzinger Brücke, heute Kennedybrücke, abholen. Meine Mutter hat mich mitgenommen, weilsie dachte, die werden ein bisschen netter sein, wenn ein Kind dabei ist, das war aber nicht so. Der Mann dort hat also ganz furchtbar mit meiner Mutter geredet, ich war entsetzt darüber, und zum Schluss hat er gesagt: Und ich denke, es istam besten, Sie nehmen sich selber so eine Stelle und schauen, dass sie von hier weg kommen. Meine Mutter hat das sehr ernst genommen - sie kam ja aus Deutschland und all ihre Verwandten hatten Deutschland bereits verlassen, und daher habe ich gewusst, dass das Lebensgefahr bedeutet, weil meine Mutter meinen Bruder und mich natürlich aufgeklärt hat. Mai2012 59