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essich fürandere geöffnet har. Ich glaube, kein Mensch geht wirklich gerne- außer auf Urlaub - woanders hin, auch die Migrationen von Europa nach Lateinamerika oder innerhalb Europas waren immer erzwungen, nicht freiwillig. Im Niemandland Joana Radzyner: Frau Nadjet Hamdi, Sie sind die, die politisch weiter um die Befreiung ihrer Heimat kämpft. Sie stehen an vorderster Front und kämpfen weiter, für die Freiheit der Westsahara, um zurückkehren zu können... Nadjet Hamdi: Bei mir gibt es viele Überschneidungen, man verlässt das Land und man hat eine neue Heimat oder auch nicht, man gibt sich mit der neuen Heimat zufrieden oder, in meinem Fall, nicht. Nicht, weil die Behörden in Österreich nichts machen, ich habe eigentlich kaum mit den Behörden etwas zu tun, ich habe einen anderen Status, ich komme, um mein Land zu vertreten, ich kenne wirkliche Freunde, aber nicht persönlich. Ich bin aber auch Flüchtling, nicht nur ein ehemaliger Fliichtling, sondern jetzt auch. Radzyner: Können Sie das erklären? Hamdi: Ich bin nicht Flüchtling in Europa, sondern ein Flüchtling in Afrika, obwohl ich nicht dort lebe. Ich bin als Kind, mit sechs Jahren, mit meiner Familie aus der Westsahara geflohen. Das ist ein kleines Land in Nordwestafrika, hieß bis 1976 Spanisch-Sahara, in diesem Jahrwurde das Land von Marokko und Mauretanien, dassind unsere beiden Nachbarstaaten, militärisch besetzt. Es kam zu einer großen Flucht, tausende Menschen mussten von heute auf morgen das Land verlassen, darunter auch meine Familie und ich, ich wurde nicht gefragt, ich war damals ein Kind. Ich ging einfach mit. Der einzige Weg, der damals sicher für uns war, führte nach Algerien, mit einer Grenze von 30 Kilometern. Es gab keine Wahl: Entweder nach Algerien fliehen, oder unter der Bombardierung von Marokko und Mauretanien zu stehen. Wir hatten Glück im Unglück und kamen über die algerische Grenze. Seit damals, seit 1976 wohnt meine Familie mit ungefähr anderen 200.000 Menschen in dieser Wüste. Das ist in Algerien, aber auch nicht in Algerien, in dem Sinne, dass man nicht, in Stadt gehen kann, dort die Schule besucht, eventuell arbeitet und mit Behörden kämpft, nein, wir leben in Algerien, aber außerhalb des algerischen Verwaltungssystems. Ganz, ganz kompliziert. Wir leben eigentlich im Niemandsland, zwischen Algerien und Westsahara, in einer Steinwüste, es gibt dort keine Städte, es gibt keine Verwaltung, es gibt nichts. Wir verwalten uns selbst. Das sind auch die einzigen Flüchtlingslager weltweit, die 16 Jahre überstanden haben, ohne dass sie UNO-Flüchtlingslager geworden sind, wir haben diesen Status bis heute nicht erhalten. Wir sind also kein UNO-Flüchtlingslager, wo der UNHCR Lebensmittel an die Leute verteilt. Das von uns organisierte Flüchtlingslager wurde und wird hauptsächlich von Frauen organisiert, weil, wie in jedem Kampf oder Konflikt, die Männer an der Front waren. Meine Situation ist also ein bisschen anders, nicht auf der menschlichen, sondern auf der politischen Ebene, sie unterscheidet sich von anderen in dem Sinne, dass ich an ein politisches Projekt glaube und daran arbeite. Das macht das tägliche Leben nicht einfach. Radzyner: Dabei war die kommunistische Partei ja auch ein Halt und ein Motiv, glaube ich, das war auch ein politisches Projekt... Hamdi: Aufjeden Fall gibt es bei uns die kollektive Uberzeugung—das Zuriickgehen ist vielleicht auch ein Unterschied. Bei den meisten gab es die persönliche Entscheidung: Kehre ich zurück oder bleibe ich in der neuen Heimat? Wir sind nur auf Zeit in diesem Territorium, es ist eine Abmachung zwischen der Organisation, der Saharosch, der Polisario, und den algerischen Behérden. Wir sind nicht Fliichtlinge in Algerien, ich habe keinen Fliichtlingspass, bis heute nicht, kein Sahauri wird als Flüchtling angesehen. Und wenn Leute hierher kommen, werden sie auch nicht als Flüchtlinge akzeptiert. Radzyner: Mit welchem Pass können Sie reisen? Hamdi: Ich habe einen algerischen Pass, nichtals Algerierin, ich kann also mit diesem Pass nicht in Algerien arbeiten. Es ist ein Sonderstatus, es ist nur ein Abkommen, dass die Algerier uns unterstützen, wenn wir in Ausbildung stehen oder für politische Arbeit. Wir haben seit 16 Jahre keinen Krieg mehr mit Mauretanien und bekommen Unterstützung. Wir haben mittlerweile Frieden mit Mauretanien, das heißt, dass der Konflikt heute nicht mehr aufkommt. Radzyner: Aber das heißt, dass der Kampf weiter geht. Aber ich möchte etwas, das Sie gesagt haben, als Stichwort für unsere zweite Runde aufgreifen, nämlich die frauenspezifische Dimension der Exilerfahrung und des Sich-zurecht-Findens in der neuen Welt, nicht unbedingt Heimat. Die Veränderung der Verhältnisse Nina Kusturica: Damals war es schwer zu unterscheiden, woher das Problem kommt, weil wir mit sehr Vielem konfrontiert waren, aber mit der Zeithabe ich etwas entdeckt, natürlich während meiner Zeit an der Filmakademie und danach, wo ich als Filmemacherin, auch als Produzentin mit Geld zu tun habe, auch Verhandlungen führen muss. Und da habe ich geschen, dass ich doch anders akzeptiert werde vom System hier, von der männlichen Welt, in der wir leben; und dann habe ich bemerkt, dass es Parallelen gibt, also nicht ich als Frau oder Flüchtling, sondern ich als Frau und Flüchtling. Das heißt also, was Frauen erleben, egal ob sie Österreicherinnen sind oder von irgendwo herkommen, die Gefühle von Ausgeschlossensein, da gibt es bestimmte Systeme, in die man nicht hinein kommt, das waren für mich die, die ich als Flüchtling oft erlebt habe. Ich konnte also nicht das Stipendium bekommen, das ich wollte, ich habe hier schwer Arbeit bekommen, ich habe auch schr lange keine Papiere gehabt, um arbeiten zu können usw. Unabhängig von meiner Qualität, die ich hatte, waren für mich manche Wege, Türen, Arbeiten usw. verschlossen, es war für mich kein Platz da. Und als Frau in der Mai 2012 63