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Dora Schimanko Aufruf Vorgelesen bei der Protestkundgebung gegen den Ball des Wiener Korporationsrings (WKR) in der Hofburg am 28. Jänner 2012. Dieser Ball, ein Treffpunkt Rechtextremer, fand ausgerechnet am Tag des Gedenkens an die Befreinung des KZ Auschwitz statt. An die österreichische Bundesregierung An die Eigentümer und Betreiber des Konferenzzentrums Wiener Hofburg An alle Parteien, die sich zur 2. Republik Österreich bekennen An alle, die zukünftig in Wien Konferenzen und Tagungen abhalten wollen Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Sieg der Alliierten über die Nazibarbarei sind wir, oder unsere Eltern und Großeltern aufatmend aus der Verbannung oder der Illegalität in die neu zu gestaltende Zweite Republik Österreich zurückgekehrt. Niemals wieder sollte es in diesem Lande zu Ausgrenzung und Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Minderheit, einer „Rasse“ oder einer friedlichen Weltanschauung kommen! Jeder menschlich Denkende möge niemals die 1945 beendeten Gräuel vergessen oder entschuldigen. Jetzt, nur 66 Jahre später, treffen sich die Nachfolger jener barbarischen Gesinnung zur Vernetzung, Tanz und Feier in einem der Republik Österreich gehörenden repräsentativen Konferenzzentrum! Wir sind empört und entsetzt! Ist dieses Land noch wirklich identisch mit der von uns bejahten und mit aufgebauten demokratischen Republik? Wir wollen die siegreiche Demokratie verteidigen und fordern alle Adressaten auf: Keine rechtsextremen Veranstaltungen in Räumen der Republik Österreich! Keine friedliche Tagungen und Konferenzen in von extrem Rechten benützten Räumen! T. Scarlet Epstein Keine Anzeichen An meinem ersten Abend zurück in Wien ging ich etwas ziellos durch die Innenstadt und erwartete eigentlich nur geringe Veränderungen. Doch abgesehen von den großen Wahrzeichen hätte ich die Stadt kaum als die meine wiedererkannt. Das Kaffeehaus, in dem Papa immer Karten gespielt hatte, war jetzt ein großes Bekleidungsgeschäft. All die traditionellen Kaffechäuser schienen verschwunden und von den überall gleichen Fastfoodrestaurants ersetzt worden zu sein. Ich hatte erwartet, mich daheim zu fühlen, doch ich konnte nichts Vertrautes in diesem neuen Wien finden und fühlte mich fremd in einem fremden Land. Es kam mir so vor, als hätten meine Wiener Tage zu einem ganz anderen Leben gehört und ich wäre in eine völlig verschiedene Existenz wiedergeboren worden. Ich hatte gehofft, ein Gespür 66 _ZWISCHENWELT To the Government ofthe Republic of Austria to the those responsible for the premises Wiener Hofburg (regal palace) to all political parties loxal to the second democratic Republik of Austria to all intending to organise events, meetings and conferences in Vienna Following the end of World War 2 and the victory of the Allies over the barbaric Nazi regime we — or our parents and grandparents — could breath freely again and return from exile or outlawed hiding places to the new, Second Democratic Republic of Austria. Never again should such conditions prevail in this country that anyone could be prosecuted, harassed or even killed on account of belonging to a minority due to descent, creed or civilised ideology. No humanist should ever forget or make excuses for the atrocities committed by the Nazi regime. Now, only some 66 years after the war, the successors and heirs of the barbaric Nazi ideology are coming here for a ball, and a celebration convening in representative meeting premises belonging to the democratic Republic of Austria. We are furious and horrified! Is this truly the identical country, our democratic Republic of Austria, the state we have helped to rebuild? We wish to defend our democracy and, therefore, appeal to all concerend: No extreme right-wing events on premises belonging to the Republic of Austria! No civilised meetings or conferences in premises open to rightwing radicals. Dora Schimanko, geb. 1934 in Wien, konnte mit einem Kindertransport nach England flüchten, kehrte 1946 zurück, war lange Jahre am Institut für Musiksoziologie der heutigen Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien tätig. Ihre Autobiographie, zugleich eine beeindruckende Darstellung der Familie Schiff, „Warum so und nicht anders“, ist 2011 im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft erschienen. für meine Wurzeln zu bekommen, doch es machte mir große Schwierigkeiten, meine frühen Jahre in Wien mit dem Rest meines Lebens in irgendeine Verbindung zu bringen. Ich wollte die Leute auf der Straße fragen, wo sie nach dem Anschluss gewesen waren und wie sie sich verhalten hatten, denn es schien, als hätte das, was geschehen war, keinerlei Spuren hinterlassen. Ich hatte das Bedürfnis zu erfahren, dass es für sie genauso traumatisch gewesen sei wie für mich, doch ich sah dafür keine Anzeichen. Aus: T. Scarlet Epstein: Es gibt einen Weg. Eine Jüdin aus Wien. Hg. von Siglinde Bolbecher. Aus dem Englischen von Katharina Laher. Wien: Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft 2011.