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Karin Stögner Feminisierung des Faschismus Häufig ist in Auseinandersetzungen mit Erinnerung an den Nationalsozialismus vom Beschweigen und Verdrangen der Vergangenheit die Rede, davon, dass man nicht darüber reden und statt dessen einen Schlussstrich unter die Vergangenheit setzen wolle, um die Nachkriegsgeschichte quasi bei einem Nullpunkt beginnen zu lassen. Dieses Beschweigen und Schlussstrich-Ziehen ist jedoch nicht nur wörtlich zu verstehen, denn es wurde und wird auch sehr viel über den Nationalsozialismus und die Shoah gesprochen. Die Art und Weise, in der darüber gesprochen wird, ist aufschlussreich. Sie besagt viel über den Umgang mit dem Vergangenen, in ihr drückt sich das Verhältnis von Vergangenem und Gegenwart aus. In diesem Verhältnis spannt sich Erinnerung auf, die nach Walter Benjamin ja nicht das Vergangene selbst abbildet, sondern vielmehr Ausdruck des Vergangenen in der Gegenwart ist. Die Art, wie erinnert wird, und was Erinnerung beinhaltet, sagt also nur in zweiter Linie etwas über das Vergangene selbst aus, in erster Linie drückt sich darin die Gegenwart selbst aus, in der die Erinnerung stattfindet. Erinnerung benennt das Verhältnis der Gegenwart zu ihrer Vergangenheit. Erinnerung soll auch Kontinuität herstellen. Sie schafft Orientierung, indem sie Brüche kittet und die geschichtlichen Gegenstände in ein lineares Zeitkontinuum einordnet. Sie schafft Sinn, ordnet das Sinnlose in den Lauf der sinngebenden Zeit ein. Das kann, speziell im Hinblick aufden Holocaust, über verschiedene, scheinbar entgegengesetzte Strategien geschehen. Eine gängige Form ist das Ausblenden des Holocaust aus der Geschichte, das bis zur offenen Leugnung verschiedene Schattierungen annehmen kann. Wesentlich dabei ist, dass eine Kontinuität zur Geschichte vor dem Nationalsozialismus hergestellt werden kann, indem der Holocaust als Zivilisationsbruch nicht anerkannt wird. Eine zweite, nicht weniger gängige Form der Herstellung von Kontinuität kann aber auch in manchen Formen des extensiven Sprechens über den Holocaust erblickt werden: Wenn der Holocaust zwar anerkannt, aber als etwas gesehen wird, das aus dem Verlauf der Geschichte herausfällt. Der Zivilisationsbruch wird thematisiert, jedoch nicht als der Zivilisation selbst zugehöriger, gesellschaftlich und historisch induzierter Bruch. Eher wird der Holocaust als etwas außerhalb der Zivilisation Stehendes gefasst, als etwas Fremdes, das den linearen Verlauf der Geschichte gestört haben mochte, ihr jedoch nicht eigentlich innig zugehört. Ausgeblendet wird die Dialektik von Zivilisation, das Bewusstsein mithin, dass Zivilisation von Barbarei durchdrungen ist und die Erinnerung von ihr nicht gesäubert werden kann. Die Folge davon ist nicht eine für Bewusstsein schaffendes Eingedenken notwendige bestimmte Kritik der Zivilisation, sondern deren Apologie. Stillgestellt ist die Dialektik der Geschichte, diese droht zu etwas Abgeschlossenem, Determiniertem zu werden, repräsentiert in einer Quasi-Naturwüchsigkeit. Ist dies der Fall, tritt menschliche Geschichte den Menschen verdinglicht als Naturgeschichte gegenüber, als eine Katastrophe, die von außen über die Menschen hereinbricht, ohne dass sie etwas dagegen tun könnten oder auch nur Verantwortung dafür zeigen müssten. Letztendlich spricht solche Betrachtung der Geschichte einem Entlastungsbedürfnis das Wort. Solche Naturalisierung von Geschichte arbeitet oft mit spezifischen Gendercodes, die einerseits eine Naturwüchsigkeit des geschichtlichen Verlaufs suggerieren sollen und andererseits Kontinuität von Vorher und Nachher herstellen. Im Hinblick auf den Nationalsozialismus sprechen Silke Wenk und Kathrin Hoffmann-Curtius! von einer weitverbreiteten “Feminisierung des Faschismus”, wobei sie die grundlegende Entlastungsfunktion aufdecken, die solches Vorgehen erfüllt. Weiblichkeitsbilder und -vorstellungen fungieren in solcher, auf Entlastung ausgerichteten Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus als Metaphern für etwas, von dem man sich kollektiv zu distanzieren wünscht. Dabei geht es zentral um (bewusste oder unbewusste) Abwehr von Schuld und Distanzierung von Verantwortung. Auffällig sind Feminisierungen im Umgang mit visuellem Bildmaterial, wenn etwa weibliche Ikonen als bildliche Repräsentationen des Nationalsozialismus herangezogen werden. Noch gängiger und alltäglicher findet die Assoziation von Weiblichkeit und Faschismus statt, wenn herausgestrichen wird, dass Hitler v.a. auf Frauen eine betörende Wirkung ausgeübt habe und die weibliche Anhängerschaft seinem Reiz ohnmächtig ausgeliefert gewesen sei. Es ist ein zählebiges Stereotyp, dass Hitler von Frauen häufiger als von Männern gewählt worden sei, das sich in einschlägigen Forschungen als falsch herausgestellt hat.’ Hitler fand bei Frauen und Männern gleichermaßen Anklang, wurde von beiden gleichermaßen unterstützt, beide liefen gleichermaßen in Scharen dem Führer nach, winkten ihm zu und wählten ihn. In der Überlieferung jedoch heißt es nicht selten, dass Hitler von den Frauen “entdeckt, gewählt und vergöttert” (Joachim Fest) worden sei; in der patriarchalen Gesellschaft seien Götter zwar von Männern gemacht, aber von Frauen angebetet.? Damit wird aber explizit die ansonsten cher selten thematisierte Verantwortung und Rolle der MitläuferInnen in einem entscheidenden Maß feminisiert. In der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus finden sich Feminisierungen aber auch auf einer anderen Ebene: Das von Hitler und seiner männlichen Clique “verführte” deutsche Volk wird nicht selten als ein ohnmächtiges, sich hingebendes, “verweiblichtes” Kollektiv dargestellt, das nicht unmittelbar Anteil am Geschehenen gehabt habe und von daher nicht zur Verantwortung zu ziehen sei. Hier wird Weiblichkeit zur Metapher in einer umfassenden Schuld- und Verantwortungsabwehr: Das mit den kulturellen Codes von Weiblichkeit identifizierte deutsche Kollektiv habe Hitler gewähren lassen, weil es schwach und verführbar gewesen sei — Marker, die im patriarchalen Diskurs durchwegs einem weiblichen Geschlechtscharakter zugesprochen werden. Lässt sich hier eine Parallele zum völkischen Diskurs über die Gefahren der Weiblichkeit ziehen? Jahrzehntelang baute die rassistische und antisemitische Hetze, welche mit dem Wahn der “Reinheit des deutschen Blutes” einherging, auf der angeblichen Verführbarkeit von Frauen auf, die dem Übel in Gestalt des “Juden” Tür und Tor öffnen würden. Frauen und ihre (nicht vollständig kontrollierbare) Sexualität galten dabei als Unsicherheitsfaktor für eine ersehnte “arische Reinheit”, als Einfallstor für die Verunreinigung des “arischen Blutes”, da sie sich aufgrund Mai2012 6/