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Waltraud Barton Maly Trostinec erinnern Vom Fehlen unserer Nachbarn 27. November 2011: Auftaktveranstaltung zur Konferenz „Maly Irostinec erinnern“: Andrea Eckert, Gabriele Schuchter und Alexander Strobele lesen Texte von Eugenie Fink, Lili Grün, Alma Johanna Koenig, Oswald Levett und Arthur Ernst Rutra. Schon im Vorfeld bin ich oft gefragt worden: Wie gibt es das, dass wir von ihnen noch nie gehört haben? Meine Gegenfrage: Haben Sie denn schon von Maly Trostinec gehört? Nein, Sie haben diesen Namen noch nie gehört. Dabei sind an keinem anderen Ort so viele aus Österreich als Opfer der Shoa ermordet worden wie in diesem kleinen Dorf in Weißrussland. Diese österreichischen Autoren und auch zehntausend andere aus Wien. Vom Sammellager in der Kleinen Sperlgasse 2a aus zum Aspangbahnhof transportiert, deportiert und ermordet. 28. November 2011: Konferenz „Maly Trostinec erinnern“: Frage aus dem Publikum an Sybille Steinbacher, Professorin am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien: Wann waren diese’Iransporte von der Kleinen Sperlgasse zum Aspangbahnhof? Um welche Uhrzeit? Konnte das die Bevölkerung sehen?“ Ja, sagt Sybille Steinbacher, ja, es war am helllichten Tag, zu Mittag. Und alle sahen es. Zehntausend Menschen verschwinden aus einer Stadt, aus Wien, zehntausend allein nach Weißrussland und eine ganze Stadt schaut zu. Stellt keine Fragen. Fragt nicht: wohin? Was geschieht mit unseren Nachbarn? Und fragt 70 Jahre lang nicht: Wohin sind sie gekommen, unsere Nachbarn. Was ist mit ihnen geschehen? Und wo? Auch 70 Jahre später kennt man den Namen Maly Trostinec nicht. Wer wundert sich da, dass man die Namen der dort Ermordeten nicht kennt? Reicht es nicht, wenn wir alle wissen: Es waren 6 Millionen Juden. Und wenn wir Auschwitz kennen. Das muss doch reichen. Nein, das reicht nicht, weil es zu abstrakt ist. Weil das noch einmal und immer wieder eine Grenze zieht: wir hier und die dort. Und weil es wichtig ist, sich das immer wieder ins Gedächtnis zu rufen: Es waren Wiener und Wienerinnen wie wir auch, sage ich zu der 7a und 7b Klasse des Sperlgymnasiums, die einen Beitrag gestalten werden für die Konferenz. Sie waren unsere Nachbarn, hier — gerade aus eurer unmittelbaren Nachbarschaft sind die meisten gekommen, sage ich und heute wohnen wir in den Wohnungen, aus denen sie vor 70 Jahren abgeholt worden sind. Das hat es mit uns zu tun und mit euch. Ich schaue in ihre jungen Gesichter. 60.000 Wohnungen sind damals in Wien „auf einmal frei“ geworden — da sollten wir 70 ZWISCHENWELT uns doch wenigstens fragen: Wohin sind denn diese Mieter gekommen? Die in der Wohnung lebten, in der ich heute wohne. Und dort, wo ihr in die Schule gegangen seid, in die Volksschule Kleine Sperlgasse 2a, dort war ihr Sammellager. Glück gehabt, sagt ein Mädchen, ich bin in eine andere Volkschule gegangen und das Gymnasium ist ja Kleine Sperlgasse 2c. Glück gehabt. Am 28.November 1941 begannen die Massendeportationen der Wiener Juden und Jüdinnen nach Weißrussland. Auch ich war entsetzt, als ich vor wenigen Jahren erstmals vom Vernichtungsort Maly Trostinec erfahren habe. Ungläubig und fassungslos, dass ich das nicht schon längst gewusst hatte, hatte ich zu fragen begonnen und zu recherchieren. Hatte 2010 die erste österreichische Gedenkreise nach Maly Trostinec veranstaltet und beschlossen, das, was ich dort geschen hatte, nicht für mich zu behalten. Ich hatte dort nämlich nichts geschen — NICHTS. Nichts erinnert in Maly Trostinec an unsere ermordeten Nachbarn. Gleich nach ihrer Ankunft wurden sie erschossen oder in Gaswagen erstickt — aber ihre Namen stehen auf keinem Stein, obwohl sie doch fein säuberlich auf den Iransportlisten aufgeführt sind. Ordnung muss sein, da waren die Nazis genau. Und beim Ermorden auch, von den Zehntausend haben nur 17 überlebt.... 70 Jahre später also diese Konferenz, um das was in Maly Trostinec geschehen ist, bekannter zu machen, um den Namen Maly Trostinec im kollektiven Gedächtnis von Wien zu verankern. Je näher die Konferenz rückt, umso mehr steigt die Unruhe: Wer wird kommen? Wird es genug Interesse geben? Oder wird der Konferenzort, das Wien Museum leer bleiben? Die Angst ist unbegründet. Noch vor Beginn der Auftaktveranstaltung am 27. November muss das Schultor des Sperlgymnasiums zugesperrt werden, weil der Festsaal bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Und auch im Wien Museum gibt es kaum einen freien Sitz. Als ich zum ersten Mal gefragt hatte, ob wir die Konferenz im Wien Museum veranstalten dürften, hatte das Wien Museum sofort zugesagt und auf Mieteinnahmen verzichtet. Selbstverständlich war es ja, weil ein wichtiger Teil der Wiener Stadtgeschichte thematisiert werden würde. Und weil es nicht zum ersten Mal betroffen machte, dass es keinen ofhiziellen Vermittlungsort in Wien gibt, keinen einzigen Vermittlungsort, der die Vernichtung der größten deutschsprachigen jüdischen Gemeinde durch die Nationalsozialisten zum Thema hat — und weil auch das Wien Museum zu wenig Ausstellungsraum fiir diesen Abschnitt der jiingsten Geschichte hat. Das Wiener Wiesenthal Institut fiir HolocaustStudien war Kooperationspartner geworden, die ERSTE Stiftung hatte bereitwillig finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, der Nationalfonds und der Zukunftsfonds der Republik Österreich ebenso wie das Kulturamt der Stadt Wien, das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung und das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten. Aus Amerika, Australien und England sind Besucher gekommen. Kinder und Enkelkinder, die mehr über das Schicksal ihrer ermordeten Verwandten erfahren wollen, aber vor allem Wiener und Wienerinnen, junge und alte — der Saal ist voll, bei jedem Beitrag, den Vorträgen der österreichischen und deutschen Historiker und Historikerinnen und der weißrussischen Referate. Und als Sima Margolina, Frida Reisman und Maja Krapina erzählen, wie sie als Kinder in der Ghettohölle von Minsk überlebt haben, fällt den sonst so professionellen Übersetzerinnen das Dolmetschen hörbar schwer. Emotional aber auch gleich der Beginn der Konferenz, als Margit Fischer, die Frau des österreichischen Bundespräsidenten, von ihrem Sitz aufsteht und von der Deportation ihrer Großmutter und ihrer Tante nach Maly Trostinec berichtet. Alle, die gekommen sind, hören bewegt zu. Aber warum, frage ich mich, ist kein offizieller Vertreter der Stadt Wien gekommen, der Bürgermeister nicht und kein Stadtrat und auch kein offizieller Vertreter der Republik Österreich? Wie viele Jahre wird es brauchen, bis auch die Stadt Wien als solche, die Republik Österreich den Ermordeten ein ehrendes Angedenken zuteil werden läßt, dort, wo sie ermordet worden sind — und auch in Wien? Um sichtbar zu machen, dass fehlen, die einst hier gelebt haben und die nicht bekannt werden konnten — Eugenie Fink z.B. oder Lili Grün, Alma Johanna Koenig, Oswald Levett und Arthur Ernst Rutra, weil sie ihr Leben nicht zu Ende leben durften. Wenn sie nur einen Grabstein hätten, in Maly Trostinec und in Wien — denn wovon legt ein Grabstein Zeugnis ab, wenn nicht vom Leben der Toten? Sie brauchen kein Ehrengrab, habe ich noch vor der Konferenz zur 7a und 7b gesagt, nicht so wie Falco — aber da hatten sie mich ohnehin fragend angeschaut diese 17-jährigen, weil sie nichts mehr mit diesem Namen anfangen konnten, einfach einen Ort, der an sie erinnert. Und da hatten sie genickt. Das fehlt in Wien für die, die uns fehlen. Waltraud Barton hat 2010 den Verein IM-MER gegründet, der u.a. die Konferenz „Maly Trostinec erinnern“ veranstaltet hat (27.-29.11.2011). 2012 finden zwei Gedenkreisen nach Weifrussland statt. (27.-30.5. und 17.-20.6.2012). Nähere Informationen: www. IM-MER.at; Spendenkonto: ERSTE Bank KtNr 29443302000; BLZ 20111