OCR
Benjamin Kaufmann Else Lasker-Schülers in den Jahren 1940 bis 1941 im Jerusalemer Exil entstandenes letztes Bühnenwerk JchundIch fand bisher vergleichsweise wenigBeachtung, Überraschen kann dasnicht, war das Werk doch lange Zeit unter Verschluss. Zwar organisierte Else Lasker-Schüler zwei Lesungen ihrer theatralischen Tragödie für geladene Gäste, veröffentlichte sieaberzu Lebzeiten nicht. Einer, der zu diesen Vorträgen eingeladen war, war der Publizist Erich Gottgetreu. In der Zeit Nr. 6/1969 schreibt er, dass viele Else Lasker-Schüler in ihren Jerusalemer Jahren für geistesgestört hielten, selbst Max Brod eine regelrechte „Furcht“ vor ihrempfand. Dessen Intimus Kafka konnte ihre Werke nie leiden, das Verhaltnis zu seinem Protegé Werfel war mal von gegenseitiger Bewunderung gepragt, mal von Ablehnung. Als 1960 die erste Gesamtausgabe der Werke Lasker-Schiilers herausgegeben werden sollte, entbrannte Streit darüber, ob die Veröffentlichung von IchundlIch ihrem Ruf zuträglich sei, oder ob es sich um ein Fragment einer Dichterin handle, über die die „geistige Nacht“ bereits hereingebrochen war. Besonders der Schauspieler, Else-Lasker-Schüler-Freund und -Herausgeber Ernst Ginsberg setzte sich damals gegen eine Veröffentlichung ein. Schließlich bat Werner Kraft, textkritischer Mitarbeiter der Gesamtausgabe, Martin Buberumeinen Schlichtungsspruch. Dieser empfahl den Iextin Auszügen zu veröffentlichen. Nachdem derdamalsnoch völligunbekannte Klaus Völker, später unter anderem langjähriger Leiter des Stiickemarkts des Berliner Theatertreffens und Rektor der Ernst Busch Schauspielschule, durch den Abdruck der Ausziige im Hortulus auf IchundIch aufmerksam wurde, bewarb er sich mit seiner Studentenbühne A /8 um die Aufführungsrechte. Nachlassverwalter Manfred Sturmann genehmigte jedoch nur eine Lesung. Einer jener Menschen, die sich am herausragendsten um /chundIch bemiihthaben, ist Michael Gruner. Erbesorgte fastzwanzig Jahre spater, 1979, endlich die Uraufführungam Düsseldorfer Schauspielhaus. Damals noch hielt er sich eng an die ausführlichen Regieanweisungen, diespektakuläre, apokalyptische Bilder zeichnen, Kostümfarben vorschreiben und sogar schon Videoprojektion. Ganz anders 2012 im Theater Nestroyhof/Hamakom, wo Gruner, nach 1990 am Staatstheater Stuttgart, IchundlIch nun schon zum dritten Mal auf die Bühne bringt, und damit auch zur österreichischen Erstaufführung. Der Saal des Jugendstiltheaters ist mit langen schwarzen Stoffbahnen zur black box verhängt. Musik aufkurzem Loop, ein ruhiger Puls, Sirenengeräusche, Stahlhämmern, Synthieklimpern. Zwei niedrige Zuschauertribünen, einander gegenüber. So empfängt das’Iheater die Besucher einer reduzierten, aber nicht weniger intensiven Auffiihrung. Auf Requisite wird weitestgehend verzichtet, Toneinspielungen sollen auf unsichtbar bleibende Gegenstände verweisen. Durch die unzureichende 72 ZWISCHENWELT zeitliche und räumliche Abstimmung dieser Einspielungen wird das Verständnis aber nichtgerade erleichtert. Kaum zuordenbare Geräusche, wie etwa das Setzen von Schachfiguren, lassen sich aus dem Iextzwar ableiten, doch erst viele Zeilen nach der Einspielung. Zu dichtund vielschichtig ist der Text, zu sehr fordert er die unbedingte und ununterbrochene Aufmerksamkeit, als dass, wer den Text nicht kennt, diese Gerausche noch im Nachhinein zuordnen könnte. Engan den Goetheschen Faustangelehnt, führt die Dichterin selbst durch dasStück, beginnendbei ihrer Version des Vorspiels auf dem Theater. Das Publikum direkt ansprechend, Zurufe aus dem Zuschauerraum diktierend, verwischt sie behinde die Grenze zwischen Publikum und Biihne, ohne in die Gefahr zu geraten sie zu verletzen. Denn sie spielt nicht nur mitderalten Idee des Theaters im Theater, sondern macht das Theater selbst zum Inhalt. Max Reinhardt lässt sie zur Inszenierung ihres Werkes aus Hollywood einfliegen, Mephisto seine Strichvorschläge ablehnen. So erklärt sich auch die kluge Platzierungder Tribünen, die jeden einzelnen Zuschauer zwingt nicht nur auf die Bühne, sondern auch ins Publikum zu blicken. „Undlausch vor meiner Herzensbühne im Parquet mein Höllenspiel.“ Schon unter dem’Titel Erster Aktfolgtein Prolog im Himmel aufdem Höllengrund. Der Übergang, von dem Höllengrund genannten Tal unweitder Jerusalemer Altstadt, in die lodernden Flammen der Unterwelt ist ein fließender. Ein naiver und besonders deutscher, gottesfürchtiger Faust, den jeder Forschergeist verlassen hat, trittdortmiteinem miiden Mephisto in Dialog. Jakob Schneider mimt diesen Mephisto mit großem Körpereinsatz, sich biegend und windend, wie eine Schlange oder ein Wurm. Durch das Eintreffen von Göhring (sic), Göbbels, Hess und von Schirach in der Höllewird das Zwiegespräch zwischen Faust und Mephisto jäh unterbrochen. Die vier Neuankömmlinge tragen das Bärtchen nach Hitlers Weise, ein eleganter Seitenhieb aufeine Ikonographie, die Teil der Popkultur geworden ist. Mephisto bereitet ihnen einen freundlichen Empfangundlädt, in einer an Auerbachs Keller angelehnten Szene, zu Wein und Engelsflügeln. Zunächst schwärmt er von den teuflischen Qualitäten Adolfs und lässt die Nazi-Granden ihre Bitte um Petroleum für Germania und für Rom vortragen, einzig Faust zeigtsich von dieser Gesellschaft angewidert. Doch als die vier beginnen, Faustzu beleidigen, verlieren sie Mephisto, der Teufel aller Teufel [...] kapituliert, gibt sich geläutert und wünscht sich in das Himmelsreich zurück. Noch während die Truppen der Wehrmacht, beim Versuch auch die Hölle einzunehmen, in den Lavamassen versinken — „Adolf, Adolf, warum hast Du mich verlassen?!“ —, schreiten Mephisto und Faustgemeinsam vor Gott. Zweiter Schauplatz. Wie die Höllezum Höllengrund, stehtdas Himmelsreichzu Abraham Tichos Garten. Als „derberühmte Augenarztdes Heiligen Landes“ kommt Ticho schon in Lasker-Schülers Hebräerland vor. Die Dichterin unterhält sich in seinem Garten miteiner Vogelscheuche, dieschon weiland mit Goethe eng verbunden war. Patrick Jurowski begeistert in dieser Rolle ebenso wieschon mit seiner expressiven Meisterleistung auf dem Höllengrund als schwachsinniger Teufel van der Lubbe. Bald tritt Gerschon Swet hinzu, ein weiterer Freund Else Lasker-Schülers, in Huldigungen als der geniale Redakteur erwähnt. Seine Frau Judith Swet war die langjährige Sekretärin des Verlegers Salman Schocken, der Else Lasker-Schüler bis zuletzt finanziell unterstützte. Der Redakteur der Haaretz soll das Stück besprechen und bittet die Dichterin um Hinweise. „Fragt nicht so viel steht denn nichtalles sachgemäss im Spiel?“,schleudert ihm die Vogelscheuche entgegen, die Dichterin selbst ist bereits zuschwach, um zu antworten. Sie stirbt, „das Stück istaus— Ich weiß nicht weiter ...“, einen verstörten und verwirrten Eduard Wildner als Swet zurücklassend als Person, die einen Autor sucht, sein bester Moment. Ichundlchist nicht nur ein zynisch buntes Schauspiel. Es ist auch eine scharfe Analyse der Ichspaltung. Ich und Ich, das sind Faust und Mephisto, Mord und Mordlust, Theater und Dichtung, Marte und Else, Phantasie und Wirklichkeit, Heinrich und Wolfgang, Schwarz und Weiß. In ihrer Doppelrolle, als Dichterin und Marte Schwertlein, bringt Juliane Gruner diese Ichspaltung besonders eindrucksvollaufdie Bühne. Brillanthebtsie, auch im anderen Kostüm, die verträumte Dichterin von Marte Schwertlein ab, die sie fast schon aggressiv in ihrer Verwirrung zeichnet. Wenn Else Lasker-Schüler in Arthur Aronymus und seine Väter den Holocaust vorhersah - „Der Hexenglauben ist auferstanden. Aus dem Schutt der Jahrhunderte. Die Flamme wird unsere unschuldigen jüdischen Schwestern verzehren“ -, so