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Elazar Benyoetz schrieb aus Jerusalem: Lieber Konstantin, noch habe ich Siglinde warm in Händen, warm ihre Sümme im Ohr. Und viele Bilder von ihr. Kurz und intensiv war unsere Freundschaft, intensiv war alles bei ihr und ewig, wie das Rauchen und der EINSATZ. Was es heißt, sich einzusetzen, konnte man bei ihr lernen. Einsatz für Einsatz — sie kommen alle bald auf Dich zurück, nicht aufzuhalten, nicht zu ermessen, zahllos. Das wirst Du erleben. So kehrt sie, kaum gegangen, wieder. Lieber Konstantin, ich klage mit Dir um Siglinde, was machst Du jetzt? Oi weh! Dein Elazar Aus England schrieb T. Scarlett Epstein: Worte fehlen mir um Ihnen mitzuteilen den Schock, den ich gefühlt habe, als ich die Nachricht erhielt, dass Siglinde gestorben ist. Ich weiß, was es bedeutet einen so wunderbaren Partner wie Siglinde zu verlieren, denn mein Mann ist vor elf Jahren gestorben, und er fehlt mir noch immer täglich. Aber das Leben muss weitergehen. Als mein Mann starb, wollte ich nicht allein weiterleben, aber meine Kinder haben daraufbestanden und mir geholfen. So habe ich weiter allein gearbeitet, was ich vorher immer mit meinem Mann zusammen gemacht hatte. Morgen werde ich meinen 90. Geburtstag feiern und ich arbeite noch immer. Ich hoffe, dass Sie, Konstantin Kaiser, auch weitermachen werden, was Sie zusammen mit Siglinde durchgeführt haben, und dass das Ihnen helfen wird. Siewissen wahrscheinlich, 16 dass wir Juden immer sagen: ,,Bis 120 Der Literaturkritiker Hans Haider schrieb: Siglinde gestorben. Da ring ich vergebens nach Worten des Trosts, mir schniirt es die Kehle zu. Ihr wart ein bewundertes Paar in allem. Ich mach schon nicht den Fehler, „Arbeit“ und „Leben“ begrifflich zu trennen, wo doch die Aufhebung dieser Trennung fiir mich als Euer vorbildhaftes Gliick zu beobachten war. An Günther Anders und Liesl Freundlich denke ich jetzt. Und an Eure immense Arbeitsleistung beim Recherchieren, liebevoller Pflege älter und älter werdender Iraumatisierter, Retten von Memoria, Denkmalbauen. Welche Namen, Schicksale hab ich nicht dank Eurer Beharrlichkeit kennengelernt. Mein erster Artikel in der „Presse“ erschien 1973 über Richard Lewinsohn, den „Morus“ der Ossietzkyschen „Weltbühne“. Eure Themen blieben mir trotz aller Deklinationen im Kulturbetrieb unter meiner konservativen Schutzhaut immer nahe, ja manche vertraut, weil in reicher Fülle ins Haus getragen schon „Mit der Ziehharmonika“, wie Eure Zeitschrift früher hieß. Aus Buenos Aires schrieben Alfredo, Gerti und Nani Bauer: Allerbesten Dank dafür, dass Ihr uns, die wir geographisch so weit entfernt und nur mit unseren Gedanken bei Fuch sind, an diesem Abschied, an dieser Ehrung für unsere liebe Siglinde teilnehmen lasst! Was uns mit ihr und mit Euch verbindet, war viel mehr als bloße Freundschaft und Dankbarkeit. Als wir unsere Heimat verlassen mussten, haben wir immer gewusst, dass es nicht Österreich war, das uns verfolgte und vertrieb, sondern die äußeren und inneren Feinde Österreichs, die unermessliche Verbrechen gegen das österreichische Volk und gegen alle Völker der Welt begingen, denen aber die Vernunft und das Rechtsempfinden von Menschen schließlich das Handwerk legten. Dass jedoch die Antihumanität, auf die verschiedensten Weisen, weiter Menschen, Völker bedroht, das haben Menschen wie unsere Siglinde, wie du gewusst; deshalb hat sie, haben wir und zum Glück noch viele andere in allen Ländern mit allen Kräften dazu beigetragen, dass die Opfer, die Bedrohten sich wehren, um allen ein Leben in Frieden, Sicherheit und Freude zu gewährleisten. Wir lieben unser Österreich zumal deshalb, weil auch dort viele Menschen, wie unsere Siglinde, am Werk waren und sind, um zu garantieren, dass nicht das Böse triumphiert, sondern das Gute! Siglinde wurde oft und verdientermaßen geehrt. Wir werden sie nicht vergessen und werden mit allen unseren Kräften dazu beitragen, dass die dankbare Erinnerung an sie lebendig bleibt. Aus New York schrieb Eva Kollisch: Ich lernte Siglinde erst im Jahr 2009 in Wien kennen, als ich — eine entwurzelte, in Österreich geborene jüdische Schriftstellerin — von der Theodor Kramer Gesellschaft, eingeladen wurde, an ihrer Konferenz über Erinnerung und Schreiben teilzunehmen. Bis dahin war ich wohl schon ein paar Mal in Wien gewesen, aber immer als Privatperson, meine amerikanische Maske tragend, während ich auf antisemitische Bemerkungen der Passanten auf der Straße wartete. Siglinde Bolbecher, eine kleine, hübsche Person, fiel mir erstauf, als sie anfıng zu reden. Intensiv und intellektuell, aufeinmal einen Kopf größer gewachsen und eine imposante Frau. Selbstsicher und dramatisch, als sie mit dem Publikum der Kramergesellschaft über Literatur und Diktatur sprach oder argumentierte. Heiter mit Freunden und mit mir, bei einem geteilten Tafelspitz im