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Kaffeehaus, würdig und selbstbewusst im Parlament, wo sie geehrt wurde für ihre Rolle im Widerstand gegen Lüge und Passivität. Aufder Autofahrt nach Linz, Salzburg, Krems, wo ich, als Theodor Kramer-Preisträgerin, Lesungen halten sollte, hatte ich die Gelegenheit, ein paar intensive Tage mit ihr und ihrem Mann, Konstantin Kaiser, zu verbringen, Es war nach ihrer ersten Chemotherapie, ihr Gesundheitszustand war prekär und jede Art von Laune wäre verzeihlich gewesen, aber Siglinde war meistens heiter, immer im Moment lebend, frei sich zu geben oder in sich selbst zu flüchten. Wie es der Augenblick gebot. So konnte sie innerhalb eines Tages den Gast mit historischer und geographischer Information unterhalten, über Österreich und Weltpolitik reden, traurig sein, lustig sein, lachen, streiten, und leise, intensive Gespräche mit Konstantin, unserem Chauffeur und ihrem vertrauten Freund und Partner führen. Dass die beiden sich liebten, war unverkennbar. Nie habe ich in Amerika so eine lebendige Beziehung, voll Spiel und Ernst und tiefem Wissen zwischen lang verheirateten Ehepartnern geschen. Auf dieser Reise hatte ich das Privileg, Siglinde hauptsächlich in ihrem privaten Wesen zu schen. Aber auch hier gab es keinen Moment, in dem ich mir nicht des gedanklichen und emotionellen Wertsystems bewusst war, das — dem Privatmenschen wie der engagierten öffentlichen Persönlicheit (der public persona) — Form und Inhalt gab: Freiheit, sich zu geben, wie sie im Augenblick war, zornig mit Entrüstung, wenn es um die Verdrängung von Wahrheit ging, leidenschaftlich in ihren Meinungen, selbstsicher in ihrem großen Wissen, engagiert für ihre Ideale, die ich ganz kurz als Wahrheit und Menschenrecht zusammenfasse. Sie war, was meine norddeutschen Bekannten, aber vielleicht die Österreicher auch, eine „tolle Frau“ nennen. Mein Sohn, Uri Berliner, Journalist am Public Radio, der ein sympathischer Mensch ist, aber kein Wort Deutsch spricht, begleitete mich auf einem Teil meiner Reise. Er war im Auto mit uns, Konstantin und Siglinde taten ihr Bestes, sich mit ihm auf Englisch zu unterhalten. Uri fand Siglinde schon vom ersten Blick an sympathisch. Ich glaube, er hatte das Gefühl, sieschon lange zu kennen. Sie behandelte ihn freundschaftlich, mit liebenswürdiger Wärme. Ihre ganze Art, ihn wilkommen zu heißen, schien mir etwas über Siglindes innerste Überzeugung zu sagen, etwas, das die private Person mit der öffentlichen persona vereint: Dass zwei Menschen, die etwas von ihrer spontanen Gegenwart dem anderen schenken, sich, wenn’s sein muss, auch ohne Sprache verstehen. Es scheint mir, als ob Siglinde, die Radikale und Feministin, das Kunststiick vollbracht hat, sogenannte feminine und maskuline Ziige auf eine Weise zu integrieren, dass daraus ein erfrischend neuer Mensch entsteht: eine Frau, die sich kennt und sich die Freiheit nimmt, sich zu verändern, Und, in ihrem Fall, eine große Vitalität und Liebesfähigkeit an den Tag legt, in den kleinen wie in den großen Momenten des Lebens. Für die Gelegenheit, diese wunderbare Frau ein bisschen kennengelernt zu haben bin ich schr dankbar. Und danke, Konstantin, dass Du das ermöglicht hast. Von Hubert Christian Ehalt kam die Botschaft: Der Tod ist ein brutaler Eingriff in unser gemeinsames Leben. Manchmal wähnen wir, in Arkadien zu sein. Dann, wenn alles ruhig, froh und voll erscheint, schlägt plötzlich ein Blitz ein. Ein geliebter Mensch wird uns entrissen. Dort, wo ein lebendiger 12 ZWISCHENWELT Mensch wie du, strahlende Siglinde, fehlt, deine Aura, deine Körpersprache, dein fühlbares Brennen für die Arbeit, für die Sache, klafft plötzlich eine Lücke, eine schreckliche Leere tut sich auf. Es ist ein Albtraum, dieser Raub des Lebens, der Lebendigkeit. Wir Menschen sind Gefühlswesen. Wir verbinden unsere Herzen mit den Gefühlen der Freundschaft, der Liebe, der Solidarität. Die gewaltsame plötzliche Trennung der Kette von Liebe und Freundschaft, mitder wir unsere Menschenwelt erträglich machen, ist schrecklich. Liebe Siglinde, ich sche dich als Agitatorin, als Rednerin, als Kämpferin für die gute, richtige Sache und Seite vor mir. Ich erinnere mich an dich als Kollegin, kreative Anregerin, Diskutantin in der heißen Zeit des Verlages für Gesellschaftskritik, der Zeitschrift „Aufrisse“, der Gründung der „Zwischenwelt“, der Zusammenarbeit mit Willy Verkauf-Verlon, immer mit Konstantin an deiner Seite, mit dem ich so viele Projekte gemeinsam gemacht habe. Lebendig und jugendlich stehst du vor mir. Diese Lebendigkeit und Jugendlichkeit in meiner Erinnerung kann mir niemand nehmen. Der Tod ist eine schreckliche Kränkung. Er entreißt, und wir können nichts tun außer trauern. Wir können uns nicht, wie überall sonst im politisch-gesellschaftlichen Leben, wehren. Wir können kein trojanisches Pferd in den Hades schaffen, um dort die Festung des Todes endgültig niederzureißen. Wir können nur dafür sorgen, dass der Lethefluss kein Strom des Vergessens ist. Das hast du, liebe Siglinde, dein Arbeitsleben lang gemacht. Dafür sind wir dir als Freundinnen und Freunde dankbar. Wir werden die Stafette weitertragen und dabei immer an dich denken. Die Verabschiedung endete mit einem von Dagmar Schwarz gesprochenen Gedicht Konstantin Kaisers. ZWISCHEN DEN HINTERHÄUSERN die einst so schmale Linde ist emporgewachsen ein heiterer Turm Den farbigen Überzug den wir bestellten für unsere alte Sitzbank habe ich abgeholt und auch die Wäsche Das Büro, ich verspreche es wird endlich ausgemalt und die Bücher werden geordnet Die Bretter, die wir ausmaßen, werde ich bestellen Was du anstrichst in den Büchern bedenke ich Mit Olivia diskutiere ich über das Verschwinden der Figur und über die „Große Kette des Daseins“