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1938 Priester geworden. Für seine Rettungsaktionen wird er 2004 postum als Gerechter unter den Völkern gechtt. Abbe Glasberg entsandte Michel Herr, der Deutsch sprach, nach Lastic in den Hautes-Alpes, und zwar zu einer Gruppe von 15 im Versteck lebenden deutschen und österreichischen Interbrigadisten. Dort traf Michel Herr auch Antonia (Toni) Lehr‘, welche ab 1942 wichtige Funktionen im „travail allemand“ (TA) innehatte. Toni Lehr erzählte davon in einem Interview: Wir versuchten, mit unseren Materialien den Soldaten die Ausweglosigkeit des Kriegs und die Ausweglosigkeit ihrer Situation klarzulegen und sie aufzufordern, bei passender Gelegenheit auf die andere Seite zu wechseln. Sie wird 1944 bei einem Einsatz in Wien, wo sie, als französische Fremdarbeiterin getarnt, eine Widerstandsgruppe in der Floridsdorfer Lokomotivfabrik aufbauen sollte, von der Gestapo verhaftet. Diese hatte nämlich in Frankreich eine Liste der in Österreich als FremdarbeiterInnen getarnten WiderstandskämpferInnen in die Hände bekommen. Toni Lehr wird in Folge Auschwitz, den Todesmarsch und Ravensbriick, von wo sie mit Gerti Schindel und Edith Wexberg flichen konnte’, überleben. Nach 1945 wird sie als hohe Funktionärin der KPÖ und als Sekretärin von Johann Koplenig tätig sein. Wie Michel Herr später erzählen wird, wird er in Lastic Kommunist, Mitglied der „Francs-tireurs et partisans — main-d’ceuvre immigrée“ (FTP-MOD) und, ein nicht gerade alltägliches Ereignis in den französischen Alpen, Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs. Somit gehörte er - als Franzose — der, vor allem aus Exilanten aus allen möglichen Ländern bestehenden, weit verzweigten Resistance-Organisation von Missak Manouchian und Arthur London an. StudienkollegInnen, Lehrkräfte und Familienmitglieder intervenierten bei den ehemaligen Vorgesetzten von Michel Herr und erwirkten, dass dieser für seine Desertion nicht bestraft werde. Michel Herr kehrt nach Paris zurück und studiert erneut an der ENS, diesmal Philosophie, ein Studium, das er bald mit einer Arbeit über Immanuel Kant abschließen wird. Gleichzeitig arbeitet er weiter als Kurier in der Gruppe Manouchian, seine Kontaktperson ist eine Zeit lang Toni Lehr. Ein Mitarbeiter Abbé Glasbergs, Jean-Marie Soutou, bat Michel Herr, sich um einen jungen Spanier zu kümmern, der mit seiner Familie nach Frankreich geflohen war: Jorge Semprün. Jean-Marie Soutou, ein enger Mitarbeiter von Emmanuel Mounier und seiner liberal-katholischen Zeitschrift „Esprit“, war seit 1936 mit der Familie Semprün befreundet und heiratete 1942 auch Jorge Semprüns Schwester Maribel. Nach dem Krieg wird Jean-Marie Soutou Diplomat und 1953 Kabinettchef von Pierre Mendeés-France. Michel Herrs Mutter half ebenfalls; sie nimmt im Laufe der Zeit viele bedrohte Menschen, vor allem SpanierInnen, in ihrer Wohnung auf. Manchmal, heißt es, mussten bei ihr drei Leute in einem Bett schlafen. Jorge Semprün, der sich um die Aufnahme an die ENS bemühte, beschreibt in seinem Roman „Die große Reise“ den Beginn seiner Freundschaft mit Michel Herr: In der Praxis lagen die Dinge damals für uns schon sehr klar. Nur unsere Ideen kamen noch nicht mit. Wir mussten sie erst der Wirklichkeit des Sommers 1941 anpassen, die in krasser Deutlichkeit vor uns lag. So leicht es aussieht, überholte Ideen einer Wirklichkeit anzupassen, die in voller Entwicklung begriffen ist, so schwer fiel es uns. In der Vorbereitungsklasse für die Ecole Normale Superieure hatte ich Michel kennengelernt, und auch später waren wir Freunde geblieben, nachdem ich längst abgesprungen war, weil das abstrakte, totemistische Studentenleben sich nicht mehr mit der Notwendigkeit des Geldverdienens vereinen ließ. Michel hatte mich mit Freiberg, einem deutsch-jüdischen Studenten, bekannt gemacht, dessen Vater in seiner Familie aus und ein gegangen war und dessen Spur sich in den Judenverfolgungen des Jahres 1940 verlor. [...]. Alles erlebten wir nur durch Bücher. Später, wenn Hans manchmalallzusehr der Haarspatterei verfiel, schimpfte ich ihn, um ihn zu ärgern, einen österreichischen Marxisten. [...] [Hans] zog aus seiner Mappe triumphierend Bücher hervor, von denen wir noch nie gehört hatten und von denen ich nicht einmal weifs, woher er sie bezog. Wir lasen Masaryk, Adler, Korsch, Labriola. ,, Geschichte und Klassenbewusstsein “ hielt uns eine ganze Weile auf, und zwar wegen Michel, der trotz Hansens Erklärungen nicht mehr davon lassen wollte und die ganze Metaphysik zutage förderte, die Lukdcs‘ Thesen zugrunde lag. Auch erinnere ich mich an eine Sammlung von Heften der Zeitschrift „Unter dem Banner des Marxismus“, die wir wie Musterscholiasten zerpflückten. Ernst wurde es jedoch erst bei der Marx-Engels-Gesamtausgabe, die Hans natürlich auch besaß und die er die „Mega“ nannte. Als wir dort angelangt waren, brach plötzlich wieder die Wirklichkeit in unseren Kreis. Seither sind wir in der Rue Blainville nicht mehr zusammengekommen. Wir reisten in Nachtzügen und brachten Nachtzüge zum Entgleisen. Wir verschanzten uns im Wald von Othe, im Untergrundnest , Tabu; seidig öffneten sich in den burgundischen Nächten die Fallschirme. Unsere Ideen hatten sich so ziemlich geklärt, sie erwuchsen, aus der Wirklichkeit des Alltags.’ Hans Freiberg war ein für den Erinnerungsroman erfundener Freund, bzw. eine Erfindung aus vielen Freunden und Freundinnen aus dem deutschen und dem österreichischen Exil, die Jorge Semprün in diesen Jahren kennengelernt hat, „Ich habe ihn erfunden, damit er in meinen Romanen den Platz einnehme, den Koba und andere jüdische Kumpel in meinem Leben eingenommen haben.“® Koba gab es wirklich, er war ein junger jüdischer Kämpfer der MOI, sein wahrer Name ist nicht bekannt. Doch das Pseudonym hatte schon einmal jemand verwendet, nämlich Stalin bis 1912. Wiewohl Stalins Vorbild, der ursprüngliche Koba, auch nur eine Romanfigur war. 1943 erhielt Michel Herr über Toni Lehr von der FTP-MOl den Auftrag, sich einer von London unterstützten Widerstandsgruppe im Burgund anzuschließen, der Gruppe Jean-Marie des Netzwerkes des Special Operations Executive (SOE), in Frankreich unter der Leitung des britischen Nachrichtenofhiziers Maurice Buckmaster. Da gaullistische Gruppen und die des SOE selbst recht gut per Oktober 2012 27