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Neuausrichtung der Politik der KPÖ nach dem Februar 1934 als deren führendes Mitglied. '” Obwohl die Kommunistische Partei Österreichs nach 1945 nie bedeutenden Einfluss im Land selbst erlangte, waren ihre internationalen Kontakte und das Ansehen einiger ihrer führenden Persönlichkeiten im Ausland beachtlich. Und Fischer spielte bei der Entwicklung von Konzeptionen der internationalen kommunistischen Politik gegenüber Nationalsozialismus und Faschismus auch in Auseinandersetzungen mit Kalibern wie Dimitroff und Togliatti keine geringe Rolle. Und im Nachkriegsösterreich war er immerhin so bedeutend, dass er als Regierungsmitglied (Unterricht, bis Ende 1945), Journalist (u.a. als Chefredakteur von Neues Österreich, bis Ende 1947) und Nationalratsabgeordneter (bis 1959) von Österreichs späterem Bundespräsidenten (1951-57) Theodor Körner mit dem vermutlich eher freundlichen Spitznamen „Menschenfischer“ bedacht wurde. Mit dem zeitlichen Abstand zu seinem Wirken scheint sich ein Urteil zu verfestigen, Ernst Fischer sei eigentlich mehr Schriftsteller und weniger Politiker gewesen. Fischer selbst hat dieses Urteil befördert, indem er in seiner Autobiographie von sich selbst als einem spricht, „dessen Talent es war zu träumen, nicht die Wirklichkeit zu gestalten, den aber die Wirklichkeit nötigte, das zu werden, was seiner Natur widersprach: Politiker.“'? Umso interessanter scheint es, wenn ein junger Forscher in seiner Diplomarbeit (Wien 2006) zum Schluss kommt, dass „Ernst Fischer mehr Politiker (war), als er selbst von sich dachte“. Es ist eine sonderbare Ironie der Geschichte, dass auch die Arbeit dieses Autors in einem deutschen Kleinverlag publiziert und in Österreich überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurde. Nicht eine einzige Rezension des Buches von Sebastian Baryli: „Zwischen Stalin und Kafka. Ernst Fischer von 1945 bis 1972“ (Bonn 2008), ist eruierbar.'4 Baryli beschränkt sich ausschließlich auf die Untersuchung des Weges Fischers als politischer marxistischer Denker in den verschiedenen Zeitabschnitten von 1945 bis zu Fischers Tod. Die essayistischen, literaturkritischen Schriften Fischers werden vom Autor insoweit herangezogen und analysiert, als sie für die Beurteilung der politischen Überlegungen Fischers erforderlich waren. Und Baryli kommt zum Schluss: „Das Bild einer Entwicklung vom ‚Stalinisten‘ zum ‚Revisionisten‘ sollte überwunden werden und durch ein Verständnis der konkreten Problemstellungen ersetzt werden.“ Erst durch ein solches Verständnis könne, so Baryli, „seine intellektuelle Entwicklung nachvollzogen werden. Aus der Perspektive Fischers ging (es) nicht darum, die abstrakten, großen Probleme der marxistischen Philosophie und Politik zu behandeln, sondern durch die Behandlung dieser Themen konkrete politische Aufgabenstellungen zu lösen.“ Die mehr als zweihundert Seiten, bevor Baryli zu diesem Schluss kommt, sind in fünf Abschnitte gegliedert (Der Kampf um ein neues Österreich 1945-1948, Der Kalte Krieg 1948-1955, Die Attraktivität des Sozialismus 1955-1963, Die Entfremdung 19631968, Die Neue Linke 1968-1972). Was immer man an einer solchen Einteilung aussetzen mag, die politische Gedankenwelt Ernst Fischers wird von Baryli auf eine angenehm nüchterne Weise aufbereitet und ohne langweilige Reminiszenzen an vermeintliche frühere parteiliche oder fraktionelle Frontstellungen nachvollziehbar gemacht. Baryli hütet sich vor Glorifizierungen. Bei ihm finden sich keine Hymnen und, womit er sich vielleicht angreifbar macht, auch selten negative Urteile. Er hat damit jedenfalls eine brauchbare Voraussetzung für eine fruchtbare und unvoreingenommene Beschäftigung mit einem nicht unerheblichen Teil der politischen Gedankenwelten und Leistungen Fischers geliefert. 34 ZWISCHENWELT Man muss ja nicht unbedingt dem britischen Theaterkritiker und Autor Kenneth Tynan folgen, der meinte, Ernst Fischer sei „ein marxistischer Aristoteles“' gewesen. Vertretbar allerdings könnte es sein, sich dem Urteil von Eduard März anzunähern, wonach Ernst Fischer „die bedeutendste Persönlichkeit der österreichischen Arbeiterbewegung in der Periode der Zweiten Republik“'° gewesen sei. Jedenfalls war er eine der heute zu Unrecht weithin vergessenen Geistesgrößen dieses Landes. Es wäre höchste Zeit, sich mit dessen schriftstellerischer und politischer Hinterlassenschaft gründlich zu beschäftigen und sie im Sinne von Karl-Markus Gauß in diesem Land überhaupt erst richtig einzubürgern. Aus Anlaß von Ernst Fischers 40. Todestag veranstaltet CLIO, Verein für Geschichts- und Bildungsarbeit, eine Vortragsreihe in Graz, bei der am 4. Oktober Sebastian Baryli über den „Politiker Ernst Fischer von 1945 bis 1972“ und am 11. Oktober Jürgen Egyptien über „Ernst Fischers schrifistellerische Anfänge in Graz“ sprachen. Am 6. November 2012, 19:30, spricht Konstantin Kaiser über „Ernst Fischers Schrift „Krise der Jugend“ und das Werk Jura Soyfers“ im Literaturhaus Graz. (Nähere Informationen siehe auch: www. clio-graz.net). Anmerkungen 1 E.F: Von Grillparzer zu Kafka. Von Canetti zu Fried, Hg. v. Karl-Markus Gauf unter Mitarbeit von Ludwig Hartinger, Frankfurt/M. 1991, S.421. 2 In: Weg und Ziel Janner 1962; bzw. in: E.E: Von Grillparzer zu Kafka, Wien 1962; bzw. in: E.E: Von Grillparzer zu Kafka, von Canetti zu Fried, wie Anm.l. — Er bezog sich dabei insbesondere auf die in der Zeitschrift „Forum“ im Herbst 1954 erschienene Rubrik Friedrich Torbergs „mit dem menschenfreundlichen Titel“ (Gauß) „Der Fischer stinkt vom Kopfe“, in dem er über das Verhältnis der Kommunisten zu Kraus höhnte, es sei „doch der Kommunisten Brauch, ihr Diebsgut immer wieder so zu präsentieren, als ob sie’s von ihm geerbt hätten.“ (Nachwort zu E.E, Von Grillparzer zu Kafka, von Canetti zu Fried, $.417). 3 Osterreich 1848. Probleme der demokratischen Revolution in Osterreich. Wien 1946, S.130. 4 Die Entstehung des österreichischen Volkscharakters. Wien 1945. 5 Die Fackel 546-550 (Juli 1920) und 554-556 (November 1920), siehe auch: Karl Kraus — Rosa Luxemburg. Büffelhaut und Kreatur. Berlin 2009. 6 E.F: Ursprung und Wesen der Romantik. Frankfurt/M. 1986, S.273. 7 Das Schwert des Attila, Wien 1923 (Uraufführung 1924). 8 Vogel Sehnsucht (1920), Herz und Fahne (1948), Denn wir sind Liebende (1952) und: Elegien aus dem Nachlass des Ovid (1963); hiezu kommen Übertragungen von Baudelaire bis Shelley, die unter dem Titel „Die Schwarze Flamme“ 1947 erschienen. 9 In Liblice, damals CSSR. 10 Z.B.: E.E: Kunst und Koexistenz. Beitrag zu einer modernen marxistischen Ästhetik. Reinbek 1966; E.E: Aufden Spuren der Wirklichkeit. Sechs Essays. Reinbek 1968; E.E: Überlegungen zur Situation der Kunst. Zürich 1971. 11 Z.B: Der Kampf um die demokratische Republik. In: Weg und Ziel (theoretisches Organ der KPÖ), August 1936, unter dem Pseudonym Peter Wieden. 12 Erinnerungen und Reflexionen. Frankfurt/M. 1987, S. 7. 13 Seltsamerweise brachte das Magazin NEWS eine Kurzrezension. Nebenbei: Dass der zumindest früher als DKP-Verlag geltende Pahl-Rugenstein-Verlag, in dem das Buch broschiert erschienen ist, mit einem Lektorat ausgestattet ist, muss bezweifelt werden. Eine derart schlampig und fehlerhaft lektorierte Publikation ist mir noch nie untergekommen. 14 Helmut A. Niederle (Hg.): Ernst Fischer. Ein marxistischer Aristoteles? das pult Sondernummer St. Pölten 1980. Siehe auch, E.E.: Kunst und Koexistenz, Klappentext. 15 Helmut A. Niederle (Hg.): Ernst Fischer. Ein marxistischer Aristoteles? S.97