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diese Deserteure ein Problem. Nun mussten sie sich verstecken, und das, nehme ich an, glaubten sie in der Heimat besser bewerkstelligen zu können. Sie kehrten 1941 in die Zeller Gegend zurück und versteckten sich zunächst ein Jahr in Scheunen und Almhütten. Erst im Frühsommer 1942 begannen sie getarnte Erdbunker in den Wäldern um Zell zu bauen.'” Hier gewinnt der volkstümliche Begriff von der „freien Republik Zellanien“ seine Bedeutung. Jene, die sich dem deutschen Aggressionskrieg verweigerten, konnten in einem abgeschlossenen Gebiet mit beinahe ausschließlich slowenischer Bevölkerung relativ gut untertauchen. Nur die Funktionäre - also der Lehrer, der Gendarm etc. — waren in Zell deutsch und hatten ihren Germanisierungs- und Verfolgungsauftrag. Wer waren diese „grünen Kader“? Sie waren Bauern- und Knechtskinder, die wegen ihrer slowenischen Sozialisation sich nicht am deutschen Krieg beteiligen wollten. Für die Partisanen, die in Kärnten noch kaum verankert waren und von Oberkrain aus agierten, waren die „grünen Kader“ Rekrutierungsobjckte. Dass die „grünen Kader“ eine eigenständige politische Kraft waren, die sich gegen die Partisanen stellte, wie Baum es klassifiziert, dürfte keine realitätsgerechte Einschätzung sein. Die bäuerliche Selbstständigkeit, die von nationalem Unabhängigkeitswillen gestützt war, hat bei einfachen, aber klugen Menschen dazu geführt, dass sie einen eigenständigen Weg des Überlebens gesucht haben. Sie hofften, durchtauchen zu können und vertrauten aufden baldigen Zusammenbruch des NS-Regimes. Sie entzogen sich und haben, glaube ich, vorerst für kein politisches Programm gekämpft, sondern ihre Menschenwürde in einer brutalen Zeit durch den Rückzug in den Wald zu wahren gesucht. Als sich die Befreiungsfront/Osvobodilna fronta (OF) ausbreitete, wurden deren Ziele und Politik für die „grünen Kader“ interessant. Durch das Anlegen der unterirdischen Verstecke und die Organisation von Nahrung durch Wilderei mussten die „grünen Kader“ mit Jägern und Förstern, vor allem mit den „Herrschaftsjägern“, in Konflikt geraten. Bereits am 12.8.1942 kam es zur Ermordung des Jägers Hugo Urbas aus Ebriach. Thomas Olip wurde Zeuge dieser Tat und verzeichnete sie mit Trauer: „erste schreckliche Tat. Wann wird mit dem ein Ende.“ Am 12. Oktober 1942 wurde der Deserteur Maks Kelih vom Förster Rohr angeschossen. Der schwer verletzte Kelih wurde nach Klagenfurt gebracht und verstarb in der gleichen Nacht. Für die „grünen Kader“ war dieser Mord eine große Beunruhigung, weil sie nicht wussten, ob ihr Freund Kelih etwas über ihre Bunker aussagen würde oder dicht halten konnte.” Über die Erinnerungen des Försters der Herrschaft WittgensteinMaresch in Hollenburg, Jakob Rohr, der seinen Dienst 1917-1957 meist im Barental tat, gibt es eine Gegenerinnerung zum Mord Hans Rohrs an Maks Kelih. Jakob Rohr war ein Cousin von Hans Rohr; Hans Rohr war Jager und Ortsgruppenleiter der NSDAP in Zell Pfarre. Jakob Rohr überliefert die Schießerei und das Schicksal seines Vetters so: Vetter Hans stand am 10. Oktober in Zell drei Wilddieben gegenüber und musste der Lage entsprechend von der Waffe Gebrauch machen, wobei einer getroffen liegen blieb. [...] Hans suchte schleunigst den nächsten Gendarmerieposten auf, um den Verwundeten zu bergen. Die Patrouille ... fand den Mann am Tatort schwer verletzt, aber bei vollem Bewusstsein auf. In der Zwischenzeit hatten ihn seine lieben Komplizen nicht verbunden, sondern noch die Handpulsadern geöffnet, damit nichts mehr verraten werden konnte. Der Verwundete, ein harmloser Mitläufer, sagte aber angesichts des Todes noch alles aus und starb erst am Abtransport. Der Fall wirbelte in Zellpfarre einen gewaltigen Staub auf. Die beiden Komplizen, 46 ZWISCHENWELT angesehene heimische Bauernsöhne, und noch mehrere Zellaner waren vom Wehrdienst desertiert und hausten in einem Bunker nächst Kliputschnig. Die Fahnenflüchtigen hatten sich nach Krain abgesetzt und konnten nicht festgenommen werden, das Bad austrinken mussten nun die Zivilisten, die mitgeholfen hatten. Wie die Gestapo damals arbeitete ist bekannt. Tatsache ist, dass neun oder elf Einheimische dabei umgebracht wurden. Nun konnte der Jäger Rohr auf seinem Dienstposten nicht mehr bleiben und Herr Chef versetzte ihn nach Niederösterreich. [...] [Dort blieb Hans Rohr nur kurz, bald darauf wurde er wieder ins Bärental versetzt.] Hans war anfangs von seiner Versetzung gar nicht erbaut, auch litt er wie ich öfters bemerken konnte an seelischen Depressionen. [...] [Am 18. Mai 1943 kam es zu einem Partisaneneinsatz im Bärental. Jakob Rohr war auf der Jagd gewesen und hatte von den Partisanen nichts bemerkt.] ... Blass wie eine Mauer kam mir meine Tochter Huberta mit den Worten, „Gott sei Dank dass du da bist“ enigegen. Man hatte daheim nach dem Vorfall auch um mich gebangt, indem eine starke Gruppe der Banditen gegen die Klagenfurter Hütte abgezogen war. Um halb vier Uhr morgens gab Frau Forstdirektor telefonisch die Nachricht, dass die Banditen die Götzsäge in Feistritz abgeheizt, die Jungfer-Werke beschädigt hätten” und jetzt gegen Bärental im Rückzug wären. Huberta, ein unerschrockenes Mädel, lief daraufhin zu den Nachbarn, um sie von der Gefahr zu verständigen. Von Brandstätter, Pegrin, und Gröblacher zum „Skafer“ hinüber, wo Hans wohnte. Leider zu spät, Vetter Hans hatte ausgekämpft und gelitten, er lag nur mit Unterkleidern bedeckt ermordet vor seiner Haustüre“” Wie bei allen „Zeitzeugen“ verschwimmt auch bei Jakob Rohr, der seine Erinnerungen in der Pension verfasste, das Faktische. Aber die Struktur der Erinnerung ist hier zudem geprägt von Ressentiments, der Ideologie des Oberkärntner, also besonders deutschen Jägers, von Schuldabwehr und der Nichteinfühlung in die slowenischen „grünen Kader“. Das Erstaunlichste ist die Wahrnehmungsverweigerung der Tatsache, dass Krain Teil des Kärntner Gaues und eine Flucht dorthin sinnlos war. Das Bild von den Verantwortlichen, die sich absetzten, und die armen Unterstützer vor dem Volksgerichtshof büßen lassen, entspricht nicht den Fakten und soll den Eindruck Verantwortungslosigkeit der die Fäden ziehenden „Banditen“ verstärken. Darauf zielt auch das „Öffnen der Handpulsadern“. Die „Banditen“ opfern ihr Mitglied, um nicht verraten zu werden. Der Sterbende verrät und führt damit den Prozess herbei. Der Sinn dieser Engführung ist deutlich: Schuldumkehr und Entlastung des Täters. Die Schuld wird auf der Seite der den Tod befördernden „grünen Kader“ und der Seite des „Verräters“ gesucht, während Hans Rohr nur Wilderer jagte. Dass Mitglieder des Widerstandes oft vor dramatischen Entscheidungen standen, um Verrat zu verhindern, soll nicht verhehlt werden, verschärft dies doch die Tragik ihres Widerstandskampfes. Wenn man denken muss, dass Menschen, die in die Gefahr der Folterung kommen, besser von eigener Hand getötet werden, zeigt doch überdeutlich die Brutalität des NS-Regimes. Interessant ist, dass der Schutz Hans Rohrs überliefert wird. Er wird sofort nach Niederösterreich abgezogen. Er hat Depressionen. Die Schuldfrage und eine traumatische Angst überwältigen ihn mit großer Wahrscheinlichkeit. Und Jakob Rohr überliefert, dass sein Cousin seine relativ schnelle Rückkehr auch selbst betrieb. Der Familienvater wollte wohl schnell zu seiner Familie zurück und möglicherweise an den Ort des Geschehens, an den seine überfordernden Gefühle gebunden waren. Die Ermordung von Hans Rohr wurde von Jakob als Rachegeschichte dramatisiert, ohne das Wort Rache je zu verwenden. Welchen Ängsten musste