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Krassnojarka, dem ,,Todesnest“, wie sie den Ort nannten, trafen sie sich wieder. Ihre Ehe beginnt mit geliehenen Eheringen, der spätere, von der Mutter organisierte, wird abwechselnd von Margit und Kurt getragen. Die Geschichte „Die gelichenen Eheringe“ hat diesen Inhalt. 1954 wurde Anita, die Tochter, geboren, die kleine Familie Bartfeld-Feller teilte sich ein Zimmer in Tomsk. Anita Chayuts Beschreibung der Eltern, die Beschreibung der quecksilbrigen Mama und des aristokratisch vornehmen Papas, „Ein großer Molodetz“, erschien ebenso im Buch „Am östlichen Fenster“ und wird von Gerald Stourzh gelesen. „Musik in der Wildnis“ und „Eine grausame Nachricht“ folgen. Margit Bartfeld-Feller las die „Rabensuppe für die Nachbarin“ und „Der verrückte Tausch“. Weiteren Texten aus dem Buch von 2002 lauschten die Zuhörer gespannt und aus „Mama Cilly“, dem Buch von 2009, das Margit in Erinnerung an die tapfere Mutter, die so viel Elend erlebt hatte, schrieb, wählte sie „Ein gesegnetes Vermächtnis“. 1979 starb Kurt Feller, der inzwischen in Tomsk ein bekannter Architekt und Baumeister geworden war. Über die Klassenkameradinnen und Freundinnen Selma Meerbaum-Eisinger und Ilana Schindler-Shmueli erzählte Margit. Schr wichtig war ihr, über die Freundinnen zu sprechen. Selma starb an Typhus 1942 in einem Lager in Transnistrien. Sie hinterließ die zauberhaften Gedichte „Ich bin in Sehnsucht eingehüllt“, die sie, das junge jüdische Mädchen, ihrem Freund schrieb. Auf Umwegen gelangten diese Gedichte nach Israel. Am 23. August 2012 ist unsere liebe Freundin und Mitarbeiterin Sophie Haber, geb. Mehl, verstorben. Uber ihre Flucht aus Osterreich berichtete sie in MdZ Nr. 4/1995, S. 3. Ihre drei Briider waren bereits im August 1938 in die Schweiz gegangen, als die Grenzen noch offen waren. Als Sophie Mehl ihnen im Oktober 1938 folgte, waren die Grenzen eigentlich schon gesperrt. Der Polizeihauptmann von St. Gallen, Paul Griininger (1891 — 1972), fand jedoch Mittel und Wege, Sophies Aufenthalt in der Schweiz zu legalisieren — wie in hunderten anderen Fallen auch. Er widersetzte sich damit den Weisungen der von Heinrich Rothmund geleiteten Eidgenössischen Fremdenpolizei und wurde im Dezember 1940 wegen Amtspflichtverletzung und Urkundenfälschung gerichtlich verurteilt und unehrenhaft entlassen. Ruth Roduner-Grüninger, die Tochter Grüningers, der Historiker Stefan Keller und der Rechtsanwalt Paul Rechsteiner erreichten eine Wiederaufnahme des Verfahrens, das im November 1995 zu einem Freispruch und in der Folge zu einer Entschädigung für die Nachkommen Grüningers führte. Diese Entschädigung brachten Ruth Roduner-Grüninger und ihre Kinder in eine Stiftung ein, die seit 1998 einen Preis für besondere Menschlichkeit und besonderen Mut verleiht. Sophie Haber setzte sich parallel dazu in Österreich leidenschaftlich für eine Anerkennung Grüningers ein; u.a. wurde 1997 ein Schulzentrum in Wien-Floridsdorf nach ihm benannt. Sophie, geboren in Krakau, war mit den Eltern 1930 nach Wien übersiedelt, wo diese bereits ein Haus besaßen; ihre Fleischerei wurde 1938 arisiert, sie selbst 1942 nach Theresienstadt, im April 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert und ermordet. In der Schweiz heiratete Sophie 1941 Karl Haber (1919 — 1998); 1944 wurde der Sohn Paul, heute Präsident des jüdischen Sportvereins 54 ZWISCHENWELT Hakoah und international anerkannter Sportmediziner und Pulmologe, 1946, bereits in Wien, die Tochter Ruth geboren, die Prokuristin in einer internationalen Handelsfirma wurde. Die Anfänge waren für die Zurückgekehrten, die voll Idealismus am Aufbau eines neuen, demokratischeren Österreich mitwirken wollten, sehr schwierig. In MdZ Nr. 2/1998, S. 10, schreibt Sophie: Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß weder mein Mann noch ich das zurückerhalten haben, was man uns gestohlen — will sagen arisiert — hat. [...] Die ersten Jahre in Wien, mit meinen zwei Kindern, waren voller Entbehrungen. Wir hatten weder von der Regierung noch von irgendwo sonst Unterstützung. Das Haus meiner Eltern hätte ich auf Grund eines Gerichtsurteils zurückbekommen, aber — ich hätte den „Käufern“ dieses Hauses 60.000 Schilling zurückzahlen müssen. Dies war damals ein Vermögen, wir hatten nur zwei kleine Kinder, keinen richtigen Wohnsitz und fixen Arbeitsplatz. Unser Schicksal war nur ein Beispiel unter tausenden anderen. Die Familie brachte es dennoch mit der Zeit zu bescheidenem Wohlstand, nachdem Karl Haber sich 1956 selbständig gemacht hatte. Dem erfolgreichen Engagement in Sachen Grüningers folgte Sophie Habers Tätigkeit im Jüdischen Synagogenverein der ihrem Wohnort Mödling naheliegenden Stadt Baden. Baden beherbergte einst die größte jüdische Gmeinde Ilana Schindler und Margit besuchten zwei Jahre zusammen das Jüdische Gymnasium in Czernowitz. Auch Ilana und ihre Familie wurden zur Deportation nach Sibirien in einen Waggon gepfercht, kurz vor der Abfahrt wurden sie befreit, kamen ins Czernowitzer Ghetto und fliichteten nach Palästina. Ilana und Margit hatten fünfzig Jahre nichts voneinander gehört. Margit arbeitete bis zu ihrer Ausreise nach Israel als Musiklehrerin in einer Tomsker Schule. Mama Cilly, Anita mit Ehemann und die beiden Söhne konnten zusammen mit Margit nach Israel auswandern. In Tel Aviv, der neuen Heimat von Margit, entdeckte sie Ilanas Namen in einer Suchanzeige in der „Stimme“. Wieder gefunden hatten sich die beiden Freundinnen nach fünf Jahrzehnten. Niederösterreichs. Sophie setzte sich dafür ein, daß die 1938 geschändete Synagoge nicht abgerissen, sondern saniert und umgestaltet werde. Nach Überwindung vieler Hindernisse war es dann 2005 endlich so weit, dass die Wiedereröffnung der Synagoge stattfinden konnte. Mit ihrer Tochter Ruth gemeinsam organisierte Sophie Haber in dieser Zeit viele Veranstaltungen zu jüdischen Themen, wobei sie bestrebt war, Begegnungen über die Grenzen der Religionen hinweg zu initiieren. Als „Zeitzeugin“ ging sie in die Schulen. Ein Videofilm (als didaktisches Material für die Schulen von erinnern.at hergestellt) dokumentiert diese Seite ihrer Tätigkeit. Der temperamentvolle Einsatz für die gerechte Sache und ihre herzliche Offenheit werden allen, die ihr einmal begegnet sind, in lebendiger Erinnerung bleiben. Wir werden sie sehr vermissen. Cecile Cordon, Konstantin Kaiser