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REZENSIONEN Die Botschaften aus dem Exil waren den früheren politischen Weggefährten und Gegnern und den stets Ahnungslosen ins Stammbuch geschrieben und hätten gleich in den ersten Nachkriegsjahren zugestellt werden sollen. Aber erst jetzt, fast siebzig Jahre später, erreichen sie — mit vielen aktuellen Beziigen — andere ZeitgenossInnen in der Zeit einer anderen Krise. Zufalle und ein paar engagierte Menschen ermöglichen die späte Begegnung mit einem österreichischen Publizisten, der in den 1920er und 1930er Jahren vergeblich versucht hatte, Brücken über die tiefen gesellschaftlichen Klüfte zu bauen. Zwanzig Jahre nach dem Tod Kurt Neumanns fand seine Tochter das verschollene Roman-Manuskript „Bürger der Pause — Gefangen zwischen zwei Kriegen“ in einer amerikanischen Garage. Wieder ein paar Jahre später wurde Maria Neumann Ramas vom Verein „Prenninger Gespräche“ kontaktiert. Der Verein hat sich die Förderung von Weltoffenheit, Widerstandsgeist und Solidarität zum Ziel gesetzt und plante im Landhaus Feuerlöscher eine Ausstellung über Kurt Neumann, der in erster Ehe mit Anna Feuerlöscher verheiratet und ein wichtiges Mitglied der widerständigen KünstlerInnenund Intellektuellengruppe gewesen war, die sich in der Zwischenkriegszeit in diesem Haus in Prenning bei Deutschfeistritz getroffen hatte. Beim Ausstellungsbesuch der Tochter entstand die Idee zum Buch. Der bekannte steirische Historiker und Leiter von CLIO, dem Verein für Geschichts- und Bildungsarbeit, Heimo Halbrainer, gab den Roman gemeinsam mit Christian Teissl heraus und setzte Vita und Werk des Autors aus einer Vielzahl von Quellen neu zusammen. Die Abteilungen Wissenschaft und Kultur des Landes Steiermark und der Stadt Graz unterstützten den Druck dieses wichtigen zeitgeschichtlichen und literarischen Dokuments. Eingeleitet wird das gewichtige Buch mit den Erinnerungen der Tochter („Mein Vater Kurt Neumann“). Seine Erfahrungen aus dem Österreich der Zwischenkriegszeit hatte er nicht weitergegeben, schreibt sie, wohl aber seine „tiefverankerten demokratischen und egalitären Werte“ und den Glauben an „eine kollektive soziale und politische Kraft“. In dritter Ehe mit der aus Kroatien stammenden Primaballerina des berühmten Balletts Russe de Monte Carlo, Mia Corak Slavenksa, verheiratet und seit 1957 — nach dem Ende der McCarthy-Ara — USStaatsbürger, widmete er sich in den amerikanischen Jahren vorrangig dem Management der Ballettkompagnien seiner Frau und seiner Arbeit für eine bekannte Künstleragentur. Der Roman gliedert sich in fünf „Bücher“. „Bürger der Pause“ enthält Erinnerungsfragmente des Romanhelden an die bürgerliche Kindheit und das Studium, eine Zeit, die ihn dem deutschnationalen Vater entfremdet und der Sozialdemokratie näher bringt. „Auf eigenem Boden“ beschreibt die Anfänge als Architekt und die Zeit der großen Ideale, die „an der Kleinlichkeit und Intoleranz im Kampf der Interessen und Ideen in der österreichischen Provinz“ zerbrechen. „Das Gemeindehaus“ mit den Arbeiterwohnungen, das der junge Architekt bauen darf, suggeriert neuen Aufbruch, der abrupt endet. Über den Februar 1934 räsonniert der Protagonist im Gefängnis — „Zwischen Kreuz und Galgen“ - in der Gesellschaft von nationalsozialistischen Zellengenossen. Als „Arche Noah“ nimmt ihn Paris auf. Wie bei CLIO-Publikationen dankenswerterweise üblich, begleiten den Roman eine Vielzahl von Kontext-Informationen. Mitherausgeber, freier Schriftsteller und Verlagslektor Christian Teissl hält in seinen „Anmerkungen des Bearbeiters“ u.a. fest, dass der reiche Inhalt dieses „Opus summum“ Stoff für mehrere Romane beinhalte, „einen Liebesroman im Stil der neuen Sachlichkeit, einen Familienroman mit tragischem Vater-Sohn-Konflikt nach expressionistischem Vorbild, einen Künstlerroman rund um einen jungen, verkannten Architekten, angesiedelt in der Grazer Bohéme von anno dazumal, einen unter Emigranten spielenden Paris-Roman und schließlich einen halb dokumentarischen, halb satirischen Partei-Roman über Glanz und Untergang der Sozialdemokratie“. Der Beitrag „Filmografische Auswahlmaterien zu Kurt Neumann“ von Thomas Ballhausen, Lisa Leitenmüller und Raffaela Rogy beleuchtet ein weiteres Lebenskapitel des feschen Steirers. Wie zahlreiche deutschsprachige, von den Nationalsozialisten Verfolgte besserte auch Kurt Neumann zeitweise sein Einkommen mit Rollen als SS- oder Gestapo-Mann in Hollywood-Produktionen wie Fritz Langs „Hangmen also Die“ auf. Zeitweise arbeitete er auch als Drehbuchautor. „Von Judenburg nach Hollywood — Kurt Neumann (1902 — 1984)“ nennt Heimo Halbrainer — in Anlehnung an den Titel der Ausstellung der „Prenninger Gespräche“ — daher seinen Überblick über das ungewöhnliche Leben. Die biografischen Marksteine erlauben den LeserInnen das anregende Spiel des Vergleichs zwischen den Lebensstationen des in der steirischen Arbeiterbewegung — erst sozialdemokratisch, nach dem Februar 1934 kommunistisch — engagierten Zeitungsredakteurs und promovierten Staatswissenschafters Kurt Neumann und jenen seines Romanprotagonisten, des Architekten Peter Wendel. Auch die Freunde aus dem Feuerléscher-Haus wie der Grazer Architekt und Widerstandskampfer Herbert Eichholzer, der 1943 wegen „Hochverrats“ in Wien hingerichtet wurde, und Axl Leskoschek, der Maler und Grafiker, steuerten Facetten für den Romanhelden bei. Kurt Neumann wurde 1902 in Judenburg geboren, ging in Marburg an der Drau, dem heutigen Maribor, in die Volksschule, bevor er in Graz maturierte und in Leipzig, Wien und Graz studierte. Der Vater war k.k. Baurat und Hofrat im Dienste der Landesregierung. Im Roman wurde der Student Peter Wendel im Frühsommer 1920 mit einer der großen destruktiven Kräfte der Zeit konfrontiert. „Es sind Deine Couleurstudenten‘“, sagte Peter vorwurfsvoll und herausfordernd zu seinem Vater. „Sie hausen wie Banditen auf der Hochschule. Man kann nicht studieren, die Vorlesungen können nicht abgehalten werden, weil diese Strolche mit ihren Stöcken es nicht dulden wollen. Einen haben sie heute schwer verletzt, blutig geprügelt, nur weil er ein Jude ist ... “ Wahrend der Studentenzeit in Graz hatte sich Kurt Neumann den Sozialistischen Studenten angeschlossen. Im Roman beschreibt er — anfangs noch als einer der bewaffneten Studenten auf der Gegenseite — eine Konfrontation mit der Arbeiterschaft, die zu einer Demonstration auf die andere Seite des Flusses, von den grauen Zinskasernen und roten Fabrikschloten zu den Renaissancepalasten und Barockkirchen drangte. Wie tief die Graben zwischen den Schichten und Lagern waren, wurde Kurt Neumann schmerzlich bewusst, als er seine Stelle bei der Kurt Neumann CLIO GRAZ Oktober 2012. 55