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eine mitten im Leben stehende Frau, die viel erlebt hatte und in der europäischen Kulturszene sehr gut vernetzt war. Sie war in einer großbürgerlich-jüdischen Familie in einer galizischen Kleinstadt mehrsprachig, belesen und behütet aufgewachsen, hatte aber zugleich die Problematik der Nationalitätenkämpfe und das Dilemma, in der Spätzeit der Habsburgermonarchie Frau und jüdisch zu sein, wie ihr Mann Berthold Viertel sagte, „mit der Ammenmilch eingesogen“. Sie hatte als modern fühlende Jugendliche gegen den Willen ihrer Eltern ihren unbürgerlichen Berufswunsch Schauspielerin durchgesetzt und diesen Beruf — obwohl der „Durchbruch“ nie kam und sie daneben dreifache Mutter wurde - durchgehend ausgeübt. Sie war dem Schriftsteller und Regisseur Berthold Viertel lebenslang in inniger Beziehung und 30 Jahre in offener Ehe verbunden und hatte sich vor und neben Viertel die Freiheit diverser Affären und Liebesbeziehungen genommen. Sie war immer wieder an innovativen Iheatern beschäftigt gewesen, war in viele Uraufführungen der musikalischen und literarischen Moderne (Schönberg, Brecht, Barlach, Kaiser) aktiv involviert gewesen und hatte sich mit ihrem Mann sogar den — wenn auch kurz währenden — Traum von einem eigenen Ensembletheater der Dichtung („Die Truppe“) erfüllt. Sie hatte den Tod ihr nahestehender Menschen, Krieg, Flucht, Zerstörung, Krankheit, Hunger, Revolutionen, Putsche, Inflation, Schulden und Pfändungen erlebt. Schon 1930 galt sie als sehr lebenskluge, vitale, selbstbestimmte, humorvolle und vor allem mutige Frau und diirfte als solche auch die Garbo fasziniert haben. In einer Bestandsaufnahme ihres Lebens kam Viertel 1961 zu dem Schluss: „Ihe greatest achievement in my life is probably to have created the image ofa very courageous woman. Nobody will ever know what it has cost me. My terrible depressions, my inertia, my fears for others especially for the children.“ (Tagebuch Salka Viertel, Deutsches Literaturarchiv Marbach) Unter anderem auf Basis der letzten beiden Sätze geht Nicole Nottelmann nun davon aus, dass Viertels in „größte Leistung“ — nämlich eine „mutige Frau“ zu sein (was ihr auch von anderen immer und immer wieder bestätigt wurde) — nicht „authentisch“, sondern eine Inszenierung war. Dass auch mutige Personen depressiv, träge und ängstlich sein können, dies aber immer wieder überwinden, steht aufeinem anderen Blatt, das nicht in Nottelmanns Geschichte passt. Und dass Salka Viertel speziell in den USA durch ihren Einsatz für die NS-Verfolgten und durch ihr Engagement für diffamierte Freunde in der McCarthy-Zeit ihren Mut immer wieder durch Taten bewies, gilt auch nicht. Wer Salka Viertel als selbstständige und selbstbewusste Frau sieht, ist für Nottelmann auf den Bluff ihrer Memoiren hereingefallen. Die Bestätigung für ihre These bringt Nicole Nottelmann, indem sie sich Viertels Erinnerungen wie eine Therapeutin nähert und sie fast ausschließlich tiefenpsychologisch deutet. Zeithistorische und gesellschaftspolitische Entwicklungen — Viertels Aufwachsen während der kulturellen und sozialen Umwälzungen des europäischen Fin de siecle, ihre Prägung durch die Macht seiner Ideen und Ideologien, ihr Durchleben zweier Weltkriege, ihre Konfrontation mit europäischem Nationalismus und Antisemitismus, ihre Betroffenheit durch den Holocaust, ihre eigene Exilsituation und den amerikanischen Antikommunismuswahn — werden nicht mit einbezogen. Nur ein Beispiel: Wenn Salka Viertel in ihren Erinnerungen etwa das Deutschland der Zwischenkriegszeit als „hart und grausam“ beschreibt und sich sorgt, wie ihr vor kurzem auf die Welt gekommener Sohn in einer solchen Welt zurechtkommen solle, tut sie das bei Nicole Nottelmann deshalb, weil sie eine psychisch labile Person war. Dass Salka Viertel in ihrer damaligen Lebenssituation in die Wirren des rechtsextremen Kapp-Putsches geriet und die mittägliche Feuerpause nutzen musste, um Milch für ihr Kind zu holen und sich in dieser Situation und nach einer schweren Geburt wohl jede junge Mutter vergleichbare Sorgen machen würde, bleibt unerwähnt. Salka Viertels Buch wird von Nicole Nottelmann also hauptsächlich als „Hilferuf“ verstanden: „Ein Teil ihrer selbst hoffte sicherlich, dass jemand hinter die Fassade blicken würde, [...] hinter aller Ironie und Andeutungen die wirkliche Salka Viertel mit all ihren Schuld- und Scham- und Wutgefühlen, ihren Schmerzen und Verletzungen schen und sie dennoch liebenswert finden würde.“ Die „wirkliche“ Salka Viertel wird im Rahmen dieses „Doppelporträts“ als selbstzerstörerische, unsichere, hochbeeinflussbare Frau dargestellt, die trotz „Größenfantasien“ und „vermeintlicher Überlegenheit“ unter einem Helfersyndrom litt: „Sie wollte die Gebende sein und sich auf diese Weise aus dem Gefühl herausarbeiten, selbst im Leben zu kurz gekommen zu sein.“ Nottelmann sieht sie zwischen „Unbedarftheit“ und „Paranoia“ schwanken, in „tiefer seelischer Not“ und in einem „Kokon aus Zorn und Einsamkeit“, „stark aggressiv“ und „zunehmend verbittert“. Nach außen und in ihrer Erzählung habe Salka Viertel aber stets ihre wahren Gefühle hinter „gedrosselter Ironie und forcierter Empathie“ verborgen, sich immer nach anderen Menschen ausgerichtet und nur „Rollen gespielt“: Die „Rolle“ der Hilfsbreiten, Mütterlichen, die „Rolle“ der Kämpferin gegen den Faschismus und Retterin der NS-Verfolgten und schließlich die „Rolle“ als Opfer und Außenseiterin. Tatsächlich sei Salka Viertel neben Greta Garbo allerdings „die wahre Diva“ mit einer „speziellen Form von Geltungsbedürfnis“ gewesen. Ohne „Zugriff auf ihr Inneres“ und ohne Fähigkeit zur Selbstkritik habe sie die Garbo jahrelang zu steuern versucht. Ihr Verhalten Greta Garbo gegenüber wird von Nottelmann als „passiv-aggressiv“ interpretiert. Viertels „Wut“ und „Neid“ auf die Garbo seien mit Grundlage des „symbiotischen Abhängigkeitsverhältnisses“ gewesen, das sie am Ende verwirrenderweise als „wahre Liebe“ überhöht. All das liest Nicole Nottelmann aus den „nüchternen, fast emotionslosen Schilderungen“ heraus, die „typisch für den Stil von Viertels Erinnerungen“ seien: „Denn sosehr sie auch versuchen mochte, ihre Emotionen unter die Oberfläche zu verbannen, so schr spiegeln sie von dort zurück.“ Die Begründung Nottelmanns für die, fast an „Schizophrenie“ grenzende, „destruktive Entwicklung“ Salka Viertels von Kindheit an ist klassisch: Salkas Mutter — ebenfalls zeitlebens nur eine „Rolle“ spielend - erfüllte der Tochter nie das „existentielle Bedürfnis erkannt und geliebt zu werden“. Deswegen und aufgrund eines abwesenden Vaters konnte Salka Viertel sich auch niemals auf „wahre Intimität“ einlassen und hatte ausschließlich destruktive Beziehungen zu Männern, eben auch zu Berthold Viertel, der im Exil „ihre Dollars weltmännisch verprasste“. Wahre Liebe fand sie schließlich nur Oktober 2012 59