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gibt, dass es anders sein könnte. Der Philosoph verbirgt es in der Ontologie sogar vor sich selbst, wie um es nicht zu ‚berufen‘, weil es durch das bloße Aussprechen bereits denunziert würde, oder aus Scham, oder darum, weil er glaubt, nur so am wirksamsten der Ontologie des Todes wiedersprechen zu können. So bleibt es dabei: „Das Denken“, sagt Jean Amery über seine Situation nach der Folterung, „ist fast nichts als ein großes Erstaunen.” 2. Auf den vielen hunderten Seiten von Z’Etre et le Neant mag am schockierendsten die Aussage sein, dass wir auch unter der Folter unsere Freiheit nicht verlieren.' Diesen Satz hätte allerdings auch Kant genau so sagen können — nur dass zu seiner Zeit die Bestrebungen, die Folter abzuschaffen, erfolgreich schienen, wahrend Sartre nicht allein erlebte, dass sie ein fiir allemal negiert werden sollten, sondern Folter, um mit Heidegger zu sprechen, „in vorlaufender Entschlossenheit“ praktiziert wurde, in der Entschlossenheit zur Vernichtung um der Vernichtung willen. Es ist merkwürdig, dass Am£ry sich nirgendwo ausdrücklich auf das Diktum Sartres bezieht, auch nicht im berühmten Essay über die Tortur. Und dennoch ist der ganze Essay eine Auseinandersetzung mit ihm, weil er das zum Thema macht, worüber der Satz blind oder gleichgültig hinweggeht. Er enthält in nuce die ganze Problematik von Sartres Philosophie, die aber in bestimmter Hinsicht gerade als ein aus der Situation der Tortur, oder besser: der Angst vor dieser Situation gewonnenes Denken begriffen werden kann. Diese Situation kennt kein Transzendentalsubjekt mehr. Wer Anspruch hätte, das Verhalten eines anderen unter der Folter also in Bezug auf ein Allgemeines abzuwägen, müsste nicht nur mit derselben Intensität gefoltert werden, er müsste denselben Leib haben (später wird ihn Sartre im „versklavten Volk“ konstruieren!). Bei jeder anderen Situation zwischen zwei Individuen mag es genügen, von Vergleichbarem auszugehen, das einem einzelnen zugefügt wird, bei der Tortur ist der Vergleich nicht möglich. Am£rys Essay über die Tortur umkreist beständig diese Fragen." Die Folter nimmt dem Menschen nicht die Freiheit, wie Sartre und Kant sie verstehen, aber — und das lässt sich mit Sartre erkennen — wie keine andere Situation setzt sie den kategorischen Imperativ, den Kant formulierte, außer Kraft. Es ist dem, der gefoltert wird, zwar möglich, sich zu sagen, handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde, das heißt etwa: verrate niemanden, denn nur dadurch kannst Du zugleich wollen, dass auch die anderen niemanden verraten. Aber wie kann er, was ihm angetan wird, auf einen anderen überhaupt noch beziehen? Diese Möglichkeit der Verallgemeinerung ist ihm vom Folterer genommen, der sich vorsätzlich nur auf ihn konzentriert und eine alles andere ausschließende, im fürchterlichsten Sinn intime Beziehung zu ihm schafft. Als unmittelbarer Herr über den Tod nimmt er dem Einzelnen die Möglichkeit zur Verallgemeinerung wie sonst nur der unmittelbare Vorgang des Sterbens selber. Wenn Sartre schreibt, das Schmerzbewusstsein sei Entwurf auf ein späteres Bewusstsein, „das leer von jedem Schmerz wäre, das heißt, ... dessen Da-sein nicht schmerzhaft wäre“'?, dann ist das Schmerzbewusstsein in dieser Perspektive betrachtet noch etwas Vergleichbares. Im Schmerzbewusstsein der Tortur jedoch ist der Entwurf auf ein späteres Bewusstsein, das leer von jedem Schmerz wäre, nur Mittel im Entwurf auf den Tod, der vom Folterer stammt. Sie besteht darin, den einzelnen allein deshalb (noch) nicht zu töten, um ihm zu demonstrieren, dass er tötbar ist: Das ist die einzige Bedeutung, die der Leib für den Gefolterten annimmt, und das eigene Schmerzbewusstsein, das doch auf die Abschaffung des Schmerzes zielt, wird zum bloßen Gegenstand dieser Demonstration, das fühlt der Gefolterte als seine ihm ganz eigene Erniedrigung. So schen denn auch die Versuche aus, die Folter per Gesetz, z.B. in Form des sogenannten Waterboarding, auszugrenzen bzw. zu begrenzen: Sie bestehen darin, dem Häftling wie der Öffentlichkeit im voraus zu garantieren, dass er nicht zu Tode kommen wird, um dann im Vollzug der Folter in ihm genau dieses Gefühl, dass er jederzeit getötet werden kann, zu erzeugen. Der Leib, an dem die Tötbarkeit vom Folterer demonstriert wird, schließt aber kategorisch aus, die Freiheit, die der Mensch nicht verlieren kann, und die Freiheit, die ihm unter der Folter genommen wird, noch aufeinander zu beziehen." Sartre jedoch fehlen für diese Freiheit, die der Gefolterte nicht mehr besitzt und die durch gesellschaftliche Vermittlungsformen geschaffen wird, die Begriffe, er hat sie an die Ontologisierung verloren. Später, als er den Existentialismus zum Humanismus erklärte, wollte er das Problem durch eine Ideologie des Allgemein-Menschlichen lösen: Es komme, so sagte er dann, ein Augenblick, wo Folterer und Gefolterter übereinstimmen: jener, weil er einem einzigen Opfer symbolisch seinen Hass auf die gesamte Menschheit gestillt hat, dieser, weil er sein Vergehen nur ertragen kann, wenn er es bis zum äußersten treibt, und weil er den Hass, den er gegen sich selbst hegt, nur erdulden kann, wenn er mit sich alle anderen Menschen hasst. Später wird der Peiniger vielleicht gehängt werden; wenn das Opfer ihm entgeht, wird es sich vielleicht rehabilitieren; aber wer wird jene Messe auslöschen, bei der zwei Freiheiten die Kommunion der Zerstörung des Menschlichen begangen haben?‘ Sartre versucht sich in die Situation der Gefolterten zu versetzen; er versucht es als einer, der einige Zeit ständig unter der Bedrohung der Folter gelebt hat, aber er weicht der Todesdrohung selbst aus, verwandelt sie in eine Bedrohung der Menschlichkeit: Diese über sie gebeugten Gesichter, dieser Schmerz in ihnen, alles trug dazu bei, sie glauben zu machen, daß sie nur Insekten wären, daß der Mensch der unmögliche Traum der Kakerlaken und Kellerasseln wäre und daß sie wie alle Welt als Geschmeiß erwachen würden. Jener Mensch, es galt ihn zu erfinden mit ihrem gemarterten Fleisch, ihren gehetzten Gedanken, von denen sie bereits verraten wurden, ausgehend von nichts, für nichts, in der absoluten Zwecklosigkeit: denn innerhalb des Menschlichen kann man Mittel und Zwecke, Werte, Vorzüge unterscheiden, aber sie waren noch bei der Schöpfung der Welt, und sie hatten lediglich souverän darüber zu entscheiden, ob es darin etwas andres als das Tierreich gäbe.” Sartre versetzt sich in die Situation der Folter, indem er über die Todesdrohung hinweggeht, sie in der Tötung der Menschheit aufhebt. In diesem Begriff der Menschheit oder Menschlichkeit, die nur noch als Differenz zum Tier, zur Natur festgehalten wird, ist der kategorische Imperativ auch darin noch aufgehoben, dass es in bestimmter Hinsicht nicht mehr möglich ist, zwischen Opfer und Täter zu unterscheiden, da doch beide qua Freiheit die Menschlichkeit gleichermaßen zu Grabe tragen. So geschen ist die Suspendierung des kategorischen Imperativs in Z’Eire et le Neant einerseits Extrapolation dessen, worin das Grauen der Folter besteht, andererseits wird gerade in der direkten Beschreibung dieser Situation das Dilemma der Sartreschen Philosophie deutlich. Amérys Tortur-Essay hingegen kann gelesen werden als Versuch, den kategorischen Imperativ November 2012 13