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wieder einzuführen: dem Augenblick, wo Täter und Opfer übereinstimmen, dessen Vorhandensein auch Amery nicht leugnet'‘, die falsche Absolutheit zu bestreiten, die Sartre ihm gibt; die Messe zu unterbrechen, bei der zwei Freiheiten die Kommunion der Zerstörung des Menschlichen begangen haben — und die Freiheit des Täters von der des Opfers zu isolieren. Während Sartre sagt, dass der Peiniger an einem einzigen Opfer symbolisch seinen Hass auf die gesamte Menschheit gestillt habe, verwendet Am£ry zunächst nur die Kurzformel Sadismus, um das Bewusstsein derjenigen zu charakterisieren, denen er sich in Breendonk gegenüber fand, als man ihn folterte. Aber er spürt zugleich etwas vom Ungenügen der bloß psychologischen Bestimmung und transformiert deshalb den Sadismus-Begriff ins Politische. Das Bedürfnis zu vernichten, auf das Améry bei diesen Tätern stößt, lässt sich als individuelles nicht fassen — und hier durchbricht er die Ontologisierung: Weil es sich als individuelles wie beim gewöhnlichen Sadisten nicht fassen lässt, ist es letztlich ebenso notwendig, zwischen der Folter im Nationalsozialismus und der in anderen Staaten und Epochen zu unterscheiden. Anders als Sartre kann Améry über die Folter als seine Erfahrung überhaupt nur sprechen, wenn er zuvor über Auschwitz gesprochen hat. (Darum auch beginnt er, die Reihenfolge seiner Erfahrungen bewusst umkehrend, mit Auschwitz und beschreibt danach erst die Folter, die er davor erlitten hatte.) Es geht ihm auch gar nicht um die Tortur im allgemeinen, um eine Theorie der Tortur gleichsam, sondern darum — wie Adorno, als er den Tortur-Essay las, sofort erkannt hatte —, „die Veränderungen in den Gesteinsschichten der Erfahrung“, die durch Auschwitz bewirkt worden sind, zum Ausdruck zu bringen.'’ Es geht ihm um die „Logik der Vernichtung“, so bezeichnet er im ersten Essay von Jenseits von Schuld und Sühne die Wirklichkeit des Nationalsozialismus, und sie schließt aus, dass die Folter, die im Algerienkrieg angewandt wurde oder in Vietnam und die Folter im Namen des Führers Adolf Hitler kommensurabel sind. Indem er seine Erfahrung unter der Folter vor dem Hintergrund der Vernichtung in den Lagern expliziert, verlangt er, so zu denken, wie es weder dem Ontologen noch dem Positivisten möglich ist: dass Folter immer Folter ist und dass sie dennoch im Nationalsozialismus zugleich etwas anderes war. Amery spricht von den „ernsten, angespannten, nicht etwa von sexualsadistischer Lust verquollenen, sondern in mörderischer Selbstrealisierung gesammelten Gesichtern“ seiner Folterer. Worin das „Selbst“ besteht, das sie realisierten, wird zum Gegenstand der Reflexion und der Unterscheidung: sie wollten zum „vollgültigen Repräsentanten“ des Führers werden — von späteren Generationen um der Austilgung ihrer Barmherzigkeit, um „des guten Gewissens der Schlechtigkeit“ willen bewundert. Mehr vermag Ame£ry darüber noch nicht zu sagen. Erfahrungen und Erkenntnisse über die deutsche und österreichische Gesellschaft nach 1945, die dann den Gegenstand der anschließenden Essays bilden, erlauben es erst, die Identifikation mit dem Führer als politischen Zusammenhang zu entfalten, lassen schließlich das Bild des einzelnen Folterers in das einer ganz bestimmten Gemeinschaft aus Tätern, Mitläufern und Zuschauern umspringen: „Mir schien, ich hätte die Untaten als kollektive erfahren: Vor dem braungewandeten NS-Amtswalter mit Hakenkreuzbinde hatte ich auch nicht mehr Angst gehabt als vor dem schlichten feldgrauen Landser.“'? Am£ry wollte in diesem Sinn dem ganzen Band den Titel „Ressentiments“ geben: so heißt der vierte Essay, worin er die eigenen Ressentiments gegenüber den Deutschen 14 ZWISCHENWELT als notwendige Konsequenz davon begreift, dass der von Massen begangene Massenmord ungesühnt blieb. Eigentlich versucht Amery dabei seine Bestimmung, dass die Folter „die Essenz des Nationalsozialismus“ sei, durchaus im Sinne von Sartres Essenzbegriff zu entwickeln. Die Umkehrung Heideggerscher Begriffe durch das Postulat Sartres, dass die Existenz der Essenz vorangehe, also die Wahl des Einzelnen dem Sein, wendet Amery auf die nationalsozialistische Vernichtung an: Es musste bei jedem Einzelnen, der im Namen der Volksgemeinschaft folterte, eine Entscheidung für die „Logik der Vernichtung“ stattgefunden haben. Der Übergang vom einzelnen, isoliert betrachteten Folterer zur Volksgemeinschaft als Gemeinschaft von Tätern hängt mit einer veränderten Selbstwahrnehmung zusammen: Er habe, schreibt Amery im Vorwort, zunächst, in den ersten Essays, „noch nicht mit hinlänglicher Deutlichkeit geschen“, dass seine Situation „nicht voll enthalten“ sei „im Begriff des ‚Naziopfers‘“: „erst als ich zum Ende kam und über Zwang und Unmöglichkeit, Jude zu sein, nachdachte, fand ich mich im Bilde des jüdischen Opfers“ .'? So wie Améry unter Opfer einfach die Verfolgten und der Vernichtung Preisgegebenen verstanden wissen will, so meint er mit der Bezeichnung jiidische Opfer, die konkret vom Antisemitismus Bedrohten und Vernichteten. Immer wieder betont er, er teile im Übrigen „mit den Juden als Juden so gut wie nichts: keine Sprache, keine kulturelle Tradition, keine Kindheitserinnerungen“.” Er trage auf seinem linken Unterarm die Auschwitz-Nummer: „sie liest sich kürzer als der Pentateuch oder der Talmud und gibt doch gründlicher Auskunft. Sie ist auch verbindlicher als Grundformel jüdischer Existenz“.?! Als Paul Celan diese Stelle las, notierte er: „Wer weiß, aus welchem Umkreis des Alt. Testaments dieser Gedanke genährt wird.“ Die Armatur der französischen Existentialphilosophie erscheint ihm wie ein Deckbild: Dahinter — nämlich darin, wie Amery diese Sprache verwendet, um Opfer und Täter zu konfrontieren — vermutet er die jüdischen Traditionen, die Amery nicht kennt und nicht kennenlernen will. Und tatsächlich scheint Amery mitunter in Ton und Ausdruck so etwas wie die Rolle eines negativen Propheten geradezu biblischer Größe in Anspruch zu nehmen: Er mache ein „trauriges Vorrecht“ geltend, wenn er zu verstehen gebe, dass zwar „die Katastrophe als existentieller Bezugspunkt für alle Juden gelte, doch geistig nach- und vorvollzichen können das katastrophale Ereignis nur wir, die Geopferten“.” 3. Mit dem „Zwang und der Unmöglichkeit, Jude zu sein“ tritt bei Ame£ry jene „Logik der Vernichtung“ erst in aller Deutlichkeit hervor, von der bereits im ersten Essay die Rede war.” Diese Logik zu erkennen, ist das, was Améry sich von der doch so problematischen Bestimmung des „authentischen Juden“ bei Sartre anzueignen vermag: Authentisch sei derjenige, der sich der Vernichtungsdrohung bewusst wird. Ame£ry ruft die Situation in Erinnerung, als er 1935 in einem Wiener Cafe über einer Zeitung saß und die eben drüben in Deutschland erlassenen Nürnberger Gesetze studierte: „Die Gesellschaft, sinnfällig im nationalsozialistischen Staat, den durchaus die Welt als legitimen Vertreter des deutschen Volks anerkannte“ hatte ihn zum Juden erklärt, das hieß: hatte über ihn ein Urteil verhängt: „ich sei fürderhin dem Tod ausgesetzt“. Amery glaubt nicht, dass er damit „unstatthafterweise Auschwitz und die Endlösung schon ins Jahr 1935 rückprojiziere“, wenn er nun diese