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ein Mensch, ganz ein Mensch, mit dem metaphysischen Horizont, den die conditio humana enthält.“ * Was hat es also mit der metaphysischen Inauthentizitat auf sich? Die Antwort fallt in einem Nebensatz bei der Beschreibung einer anderen inauthentischen Reaktionsweise — der des Masochismus: „Sich als Jude bekennen heißt zwar, sich authentisch zu erweisen, doch sie haben nicht begriffen, daß sich die Authentizität in der Revolte zeigt.“” Angst, so läßt sich folgern, ist zwar eine authentische Reaktionsweise, bleibt jedoch nach Sartre defensiv und überschreitet damit nicht (im metaphysischen Sinn) das Gegebene, bleibt demnach „radikal positiv“. Authentisch ist der Kämpfer, nicht der Flüchtling. Daher der Verweis auf die Wahl zwischen Inauthentizität und Märtyrertum. Zum Ausdruck kommt in diesem Hinweggehen über das Schicksal des Einzelnen, welches doch von dem frühen Wahrnehmen der Bedrohung und der Flucht vor Gefahr - also der Unruhe- abhängen kann, ein Hang zu Heroik, der den Primat der Aktion postuliert. Der Vorrang der Aktion bezeichnet zugleich die Stärke und die Schwäche des Textes: So ist Sartre, dem nicht selten der Vorwurf gemacht wird, daß seine Philosophie dem „deutschen Idealismus“ nahestünde, gerade darin nicht Idealist, daß er etwa vom bereits verwirklichten absoluten Geist des Menschen ausginge. Die Freiheit Sartres bleibt, wie das menschliche Bewußtsein bei Marx, stets an Gesellschaft und Natur — bei Sartre unter dem Begriff Situation gefaßt — gebunden, vermag diese jedoch vermittels der Wahl gedanklich zu überschreiten. Nicht der sich wählende Mensch meistert die Wirklichkeit, sondern die „Freiheit der Wahl“ bezeichnet das letzte Residuum des Individuums, das doch tagtäglich von der Gesellschaft überwältigt wird. Die Wahl ist somit der Situation des Individuums im doppelten Sinne entsprungen: Einerseits aus den gesellschaftlichen und physischen Grundbedingungen hervorgegangen, jedoch andererseits mit diesen im Bewußtsein dieser Bedingtheit gerade nicht identisch. Sie markiert den freien Raum der Verantwortung im falschen Ganzen, das spekulative Moment, und nähert sich damit der Negativen Dialektik Adornos an: „Worin der Gedanke hinaus ist, über das, woran er widerstehend sich bindet, ist seine Freiheit.“ ?° Sartres Freiheit ist zudem eine, die nicht nur, wie Adorno es bezugnehmend auf deutsche Tradition einmal formuliert hat, ängstlich gedacht wird.” Sie verzichtet nicht auf die Verwirklichung des Gehalts der Erkenntnis. Sie ist damit nicht einfach eine menschliche Ehre, die den Menschen über die Natur stellt, sondern eine unhintergehbare Bürde, der sich der Mensch ethisch verpflichten muß - Sartres Philosophie ist hierin im besten Sinne undeutsch. Vom absoluten unendlichen Geist des deutschen Idealismus ist bei ihm lediglich die Fähigkeit zur Resistenz und Auflehnung gegen das Schlimmste als menschlicher Würde und Verantwortung angesichts der eigenen Ohnmacht geblieben. Das Problem der Sartre'schen Darstellung der Überlegungen zur Judenfrage bleibt jedoch, daß er die gesellschaftlichen Kategorien tendenziell — d.h. auch hierin widersprüchlich — in ontologische Begrifflichkeit kleidet. So wird etwa einerseits die Angst des Antisemiten vor seiner Freiheit als „existentielle“ Urangst vor der Wahrheit festgehalten und damit ahistorisch gefaßt,” jedoch im Folgenden von den gesellschaftlichen Bedingungen abhängig gemacht: „Antisemitismus ist eine mythische und bürgerliche Vorstellung vom Klassenkampf, die in einer klassenlosen Gesellschaft nicht existieren könnte.“ Die Situation des verfolgten Juden jedoch — so muß man Sartre zudem entgegenhalten — meint nicht nur gesellschaftliche 32. ZWISCHENWELT Unfreiheit in diesem — durch das Kapitalverhältnis — vermittelten Sinn — daß man etwa dazu genötigt ist, einer stupiden Tätigkeit nachzugehen, um die Zeche für das Bier zahlen zu können, das einem das Elend noch erträglich macht. Sie zielt ihrem Wesen nach auf die unmittelbare physische Vernichtung. Zwar bleibt die Situation des Nichtjuden auch verwiesen auf die Schranken des Körpers — das eigene Leben und fadenscheinige Glück hängt doch an dem Körper, den es zu erhalten gilt — doch ist diese Drohung ein „stummer Zwang“. Bei der Situation, die der Antisemit für den Juden vorgesehen hat und die in der Shoah kulminierte, steht die Physis unter unvermittelter Gewaltandrohung — ist dem Wunsch des verdrangenden Nichtjuden nach Vernichtung ausgeliefert. Die Todesdrohung, von der Améry spricht, meint auf die Freiheit bezogen, daß sich diese, beizunehmender Gefahr, bei zunehmender auf das Überleben des einzelnen gerichteter Pression in das Physische zurückziehen muß. Die sadistische Folter, das nationalsozialistische Ghetto, das Vernichtungslager führen als Situationen von größtmöglicher Unfreiheit und Hilflosigkeit zum Rückzug des Geistes, bis lediglich das Potential davon im Überleben - sofern man überlebt - übrigbleibt. Dies ist der Kern des Würdeentzugs, von dem Amery spricht. Die allgemein menschliche Freiheit, die conditio humana, selbst wenn sie in der bürgerlichen Gesellschaft dazu verkommt, sich für das Schlechte oder das noch Schlimmere entscheiden zu können, wird hier gänzlich verneint, indem der Mensch auf seine Unwillkürlichkeit reduziert wird. In der Psyche stellt sich der Zustand der Dissoziation ein: Das Bewußtsein wird abgespalten und zurückgedrängt hinter die Physis — der Geist schiebt den Körper — das Reflexhafte - vor die Psyche, um sich am Leben zu erhalten. Die Freiheit der Distanznahme vom unmittelbaren Impuls wird ohnmächtig im Zustand extremen physischen Schmerzes und körperlicher Deprivation. Eine ohnmächtige Freiheit ist jedoch keine. Das Postulat jüdischer Freiheit zur Wahl bei Sartre indes unterstellt eine Gleichstellung des Juden als Menschen selbst innerhalb einer Gesellschaft, die ihm diesen Status verwehrt. Die Grenze des Geistes wird von Sartre nicht eingestanden, der Geist im Zustand der Todesdrohung nicht an seine Voraussetzung — den Körper — zurückgebunden. Dies die Lüge der Sartre'schen Freiheitskonzeption, die zwar nicht den Geist absolut setzt, jedoch die Möglichkeit der absoluten Ohnmacht des Geistes angesichts der physischen Zurichtung nicht denken will. Zwar verleiht dieses Absehen von dem gesellschaftlichen Ausschluß der Juden - nicht nur aus der Gesellschaft, sondern aus der Menschheit — dem Text einen positiv-utopischen Gehalt: Wenn Sartre behauptet, die Metaphysik würde die Hauptsorge des Menschen sein, sobald die Menschen sich befreit haben, und kurz daraufdieses Privilegschon beim authentischen Juden vorzufinden behauptet. Jedoch spielt diese Annahme eines noch zu verwirklichenden Zustands wider Willen dem kritisierten Status Quo in die Hände. Im Dienste des „Prinzips Hoffnung“ wird eine utopische, weil vom Antisemitismus unabhängige Figur zur Realität erklärt und damit ein Zustand postuliert, in dem der Jude bereits von der Gefahr der conditio inhumana befreit ist. Sartres Überlegungen zur Judenfrage ahnen bereits in ihrer Selbstwidersprüchlichkeit hiervon, zumal wenn sie festhalten, daß „der Jude ... für den Juden der einzige Mensch (ist), mit dem er ‚wir‘ sagen kann“ und Sartre die Abschaffung des antisemitischen Bedürfnisses zwar „notwendig und hinreichend“ von der „sozialistischen Revolution“ abhängig macht, es jedoch als eine „faule Lösung“ bezeichnet, dieser die „Klärung der Judenfrage“ zu überlassen, da