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„der Antisemitismus geradewegs zum Nationalsozialismus führt“ und der „heutige Jude ... mitten im Krieg“ stehe.?' Amery hat diese Ahnung der Überlegungen zur Judenfrage zugespitzt und der Erfahrung der total gewordenen Ohnmacht von einst abgerungen, daß im Zuge der Gefahr der Wiederholung, der „metaphysische Horizont“ ganz zurücktreten müsse zugunsten pragmatischer Überlegungen. Die dringende Intervention habe hier notwendig die an sie gebundenen Widersprüche zu tragen.” Die Wahl der Bedrohten sei nach Améry durch diese Einsicht stets unfrei und vorgezeichnet. D.h. die Wahl sei undialektisch — oder, um in der Sprache Sartres zu bleiben — „radikal positiv“ gefesselt an die möglichst realistische Verhinderung der conditio inhumana. Bei Amery ist hierbei bereits die Einsicht in die von der gegeben Wirklichkeit ausgehende Gefahr eine idiosynkratische Voraussetzung, ein — wenn auch fragwürdiges — Privileg im Kampf gegen den Antisemitismus. Am£rys Verhältnis zu Angst und Wut macht dies deutlich. Die Angst ist bei Améry Medium des Kategorischen Imperativs nach Auschwitz. Indem sie sich zu Wut kanalisiert, in revoltierende Solidarität mit den Bedrohten wandelt, erlangt sie Würde im Dienste der Menschwerdung des Juden. Sie dient der Verhinderung einer jüdischen Situation, die mit sich selbst ganz und gar identisch, d.h. von jeder menschlichen Freiheit entleert ist — einer Situation, in der der sich absolut setzende Geist des Antisemiten tatsächlich jeden „im individuellen Innenraum erhobenen Anspruch“ des Juden, ein Mensch zu sein, zum Wahn erklärt.”” Daher Amerys uneingeschränkte Solidarität mit dem jüdischen Staat, von dem er sagt: in ihm „haben die Juden ... den aufrechten Gang gelernt“”, daher auch seine frühe Kritik gegen den im Antizionismus sich bahnbrechenden Antisemitismus der Linken, an der es Sartre, in seiner dem „metaphysischen Horizont“ entsprungenen Begeisterung für die antikolonialen Bewegungen oft auf fatale Weise mangelte: Für jeden Juden in der Wels, er stehe politisch wo auch immer, ... ist der Bestand des kleinen Judenstaates eine existentielle Frage ... so ist denn der jüdische Linksintellektuelle engagiert von seinem Geschick und an dieses. Sein Engagement ist nicht das Ergebnis einer freien Wahl, sondern eines unausweichlichen Zwanges. Er ist, seit sich die feindlichen Armeen um Israelsammeln, ... kein Linksintellektueller mehr, nur noch ein Jude: denn hinter ihm liegt Auschwitz und vor ihm vielleicht das seines Stammesgenossen, zu denen er gehören muß, weil die Welt es so will, zu bereitende Auschwitz II am Mittelmeer.” Das Problem der Überlegungen zur Judenfrage ist es, daß sie, da sie sich primär an Nichtjuden richten, in ihrem Fokus auf die Aktion, der Hoffnungslosigkeit keinen Platz einräumen. So verleiht zwar die Abwesenheit von Resignation dem Text eine durchaus aufrichtig anmutende Emphase, die einer politischen Kampfansage entspricht: Der Nichtjude wird mit Verweis auf die Abwesenheit antisemitischer Bedrohung zur Verantwortung angehalten und ihm wird zudem aufgrund der Annahme einer unauflöslichen Freiheit noch der letzte Ausweg aus dieser menschlich-moralischen Bürde versperrt. Jedoch wird genau in dieser generellen Voraussetzungslosigkeit der Freiheit, d.h. beim Ignorieren der Grenze des Geistes, der von Amery eingeforderte undialektische Unterschied zwischen Täter und Opfer unwillentlich wieder verwischt: Wer sich unmoralisch verhält, weil er in großer Qual und Deprivation dazu gezwungen wird, bleibt angesichts der eigenen Ohnmacht Opfer— wird eben nicht Täter. Wenn also Sartre den menschlichen Status des Juden immer, d.h. auch im Nazilager annimmt, dann trifft dies formal selbstverständlich zu — wer würde zu sagen wagen, daß Menschen, die unmenschlich behandelt werden, darum Nichtmenschen würden? —, indem er jedoch auch hier das Menschsein an die Freiheit zur Wahl, letztlich die Freiheit zur Revolte bindet, straft die tatsächliche Ohnmacht der Opfer die Annahme Sartres Lügen. Die, wie Adorno im Aphorismus „Hans-Guck-in-die-Luft“ treffend beschrieb, „Unfähigkeit, jene Formen der Gewalt mit aufzunehmen“, die die formale Wahrheit vieler Erkenntnisse außer Kraft setzen, verweist auf die Schwierigkeit, einen Text zu verfassen, der beabsichtigt, jene psychologischen Momente zu befördern, die politisches Handeln motivieren, ohne dabei der Lüge und der Manipulation zu verfallen. Sartres Scheitern in diesem Punkt ist der „fast unlösbare[n] Aufgabe“ geschuldet, „weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.“ Miriam Mettler lebt in Berlin, ist Diplom-Psychologin und studiert Philosophie und Geschichte in Potsdam. Anmerkungen 1 Jean-Paul Sartre: Überlegungen zur Judenfrage. Reinbek: rororo 1994, 38f. 2 Ebd., 44-57. 3 Ebd., 58. 4 Ebd., 82f. 5 Ebd., 57. 6 Ebd., 56, 82. 7 Ebd., 85. 8 Ebd., 28. 9 Ebd., 65. 10 Jean Amery: Jenseits von Schuld und Sühne. Werke. Hg. von Irene Heidelberger-Leonard. Bd. 2. Stuttgart 2002, 151f. 11 Ebd., 153, 160. 12 Ebd., 172f. 13 Ebd., 155f. 14 Ebd., 156. 15 J.-P. Sartre, wie Anm. 1, 82. 16 Ebd., 27. 17 Ebd., 44. 18 Ebd., 157. 19 Jean Amery: Widersprüche. Frankfurt am Main: Ullstein 1980, 228. 20 J.-P. Sartre, wie Anm. 1, 81. 21 Ebd., 80. 22 Ebd., 80f. 23 J. Amery, wie Anm. 16, 177. 24 J.-P. Sartre, wie Anm. 1, 83. 25 Ebd., 66. 26 Theodor W. Adorno: Negative Dialektik. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1982, 29. 27 Vel. Theodor W. Adorno: Auf die Frage: Was ist deutsch. Gesammelte Schriften. Hg. v. Rolf Tiedemann. Band 10. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, 697. „Der energische Wille, eine freie Gesellschaft einzurichten, anstatt Freiheit ängstlich nur zu denken und selbst im Gedanken zu freiwilliger Unterordnung zu erniedrigen, büßt sein Gutes nicht darum ein, weil seiner Realisierung durchs gesellschaftliche System Schranken gesetzt sind.“ 28 Vgl. ].-P. Sartre, wie Anm. 1, 20, 28, 36. 29 Ebd., 89. 30 Ebd., 62. 31 Ebd., 89. 32 Vel. hierzu auch Amérys Essays ,,Zwischen Vietnam und Israel von 1967, sowie „Israel ohne Juden“ von 1969, welche beide in dem von Amery selbst zusammengestellten Sammelband Widersprüche unter der Überschrift „Die Jüdische Unruhe“ 1972 neu herausgegeben wurden. 33 Vgl. hierzu J. Amery, wie Anm. 16, 159. 34 J. Améry, wie Anm. 25, 239. 35 J. Améry, wie Anm. 16, 239f. 36 Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschadigten Leben. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, 63. November 2012 33