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nicht weniger und nicht mehr“ spricht aus und legt fest, was Adorno, durch die verkürzte Rezeption seiner Reflexionen über die Unmöglichkeit eines Gedichts nach Auschwitz, zugeschrieben wird: Für Améry ist es nicht nur barbarisch, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, sondern geradezu unmöglich. Denn Literatur ist an den Sinn des Satzes gebunden, will sie nicht zum Geplapper werden. Der Sinn aber ist durch Auschwitz zerstört. Was bleibt, ist die leere Sinnlosigkeit, ohne Sinn als Pendant; nicht wieder ist Sinn in die Welt zu bringen. Die Gefahr lauert hier, dass auf platt existentialistische Weise gerade diese Sinnlosigkeit zum Sinn sich aufschwingt — nichts kann sie mehr durchbrechen, keine Vernunft und kein Projekt zur Einrichtung der menschlichen Gesellschaft als vernünftige. Es hat schon seinen Grund, dass Am£ry zwischenhin gerade die poetischen Anstrengungen Ingeborg Bachmanns („Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“) würdigt. Selbst die Erinnerung daran, dass es möglich ist, die Totalität des schlechten Ganzen denkend zu transzendieren, wird noch abgeschnitten. Der „Tigersprung“ ins ganz Andere (Benjamin) ist vor der Totalitat des Bestehenden nicht nur nicht möglich, er kann auch nicht mehr gedacht werden. Dadurch aber gleitet das Warten, das Herankommenlassen der Dinge, das bei Benjamin, noch vor Auschwitz, als aktives gedacht war und eine revolutionäre und eingedenkende Haltung bedeutete, in den Bereich der Resignation und stummen Verweigerung ab. Doch die Sehnsucht nach dem Zurück blitzt dann doch wieder durch: „Ich rede und träume vom Sinn der Sätze — jetzt, auch jetzt noch.“ (116) Ludwig Wittgenstein klopft an Lefeus Tür und dieser bittet ihn, in Gestalt der Düsseldorfer Herrn von Ars nova, vormals Mayersohn und Sohn, herein (74). Jener aber bestritt den Sprachgehalt, der über das Bestehende hinausweist, nicht; bestritt nur die Tauglichkeit solcher Sprachmomente für Philosophie und Wissenschaft: deren Sprache müsse von solchen Momenten gereinigt werden, um zum reinen Satz vorzudringen. Die Pappelallee kehrt wieder, vor ihr gibt die Sprache die Dinge preis und macht sich selbständig. Es gibt nur die eine Alternative für die Sprache: zu bezeichnen, was der Fall ist, oder sich den Dingen gegenüber selbständig zu machen und sie so preis-, nicht freizugeben. So eindeutig aber ist Lefeu nicht in seinem Beharren auf dem Sinn, der nach Auschwitz unmöglich geworden ist. Da der Widerspruch zwischen der Notwendigkeit, Sinn in die Rede zu bringen, und dem Versagen eines jeglichen Sinns vor der überwältigenden Faktizität von Auschwitz nicht aufzulösen ist, flüchtet Lefeu sich gleichsam zur Nein-Sage. Sie bietet ihm ein letztes Refugium, dem Widerspruch standzuhalten. Das Nein, die Abwendung von der Welt, „deuten auf die Abwesenheit von Dingen hin, nicht aber auf die Dinge“ (114). Die Region aber, in welche die Neinsage vorstößt, indem sie „für das redende Subjekt den durch logische Scheinwerfer erhellbaren Raum“ transzendiert, lässt sich „nicht mehr sprachlich erfassen“ (115). An den Grenzen der Sprache könnte der Klang, könnte das Bild helfen. Doch auch dieser Versuch, konstelliert durch die Verschiebung der Figur Lefeu von der Literatursphäre in die der bildenden Kunst in der nicht zufälligen Gestalt eines pictor doctus, eines malenden Intellektuellen, endet in der Gegend des Scheiterns. Dass Amérty sich fiir die Bildsphäre entschieden hat, mag gewiß auch seinen Grund darin gehabt haben, dass die Figuration bildender Künstler bestens korrespondiert mit „Düsseldorf“, Modellstätte für den Glanzverfall im Nachkriegsdeutschland-West; nicht entgangen sein dürfte Amery der unsägliche Streit darüber, ob die neu 36 ZWISCHENWELT gegründete Universität Düsseldorf den Namen Heinrich Heines sich zueignen soll. Noch bedeutsamer aber dürfte das Durchspielen der Frage gewesen sein, ob die „Sprachnot“ (I. Bachmann) durchs Bild zu lösen sei. Auch hier vertraut Amery der Kunst der Assoziationen weckenden, ticketförmige Verhärtungen lösenden Anspielung. Exemplarisch trifft dies für das Bildwerk „Loiscau de malheur“ zu, in Kapitel VI. „Nachtflug“ wird es, im Übergang zum Essay-Teil, als ein doppeltes Selbstporträt bezeichnet: Ein tatsächlich ins Metaphysische transformiertes Selbstportnit. Unter dem struppigen Gefieder des langen Vogelhalses erkennen Sie das Geknitter meiner alten und durch schlechte Luft vergilbten Haut; der scharfe Krummschnabel ist jene Nase, an der Meyerson und Sohn einen der Ihren erkannt hätten ... (145) Der Kommentar zur bildreflexiven Physiognomik ist schon eine Reihe von Jahren vorher geschrieben worden; es ist Amérys Essay Über Zwang und Unmöglichkeit, Jude zu sein.'° Erst im Kontext der von Lefeu visierten „neue(n) Arbeit: Paris brüle“ (165) beginnt das subtil gesponnene Netz der Bezüge sich zu erschließen. „Actionpainting“ (ebd.) wird aufgerufen, da die Malerei an ihr Ende kommt, bereits hinübergleitend zum Motiv der „Gegengewalt“ (162), nachdem Lefeu hat wissen lassen, „bin Maler, oder war's, und kein Redenschreiber“ (158). Der Abbruch, Abgesang auf die Möglichkeit des Bildnerischen an den Grenzen des „Sprechdenkens“, das nicht währt, kündigt sich an: „Und wiederum ist nichts anderes zur Hand als das Mittel der Reflexion“, sinnt Lefeu, „darum bin ich wohl letzten Endes auch kein rechter Maler, weil ich der Einbildungskraft nicht vertraue, so daß mein Realismus günstigstenfalls ein reflexiver ist und kein phantastischer oder gar metaphysischer“ (137). Améry, ein ungewöhnlich lese-, kunsterfahrener Autor mit der Kraft zum ästhetischen Urteil. Der „Loiseau de malheur“? „Paris brüle“? Assoziationen werden, sollen ausgelöst werden, spielen an auf das Nichtgesagte, Unausgedrückte, das zur Sprache gebracht werden soll. Vogel? Feuer? Paris? Am Horizont scheint der Ton auf, ohne zu erklingen; Strawinskys frühe Fantasie Feu d artifice, und zumal die Ballettmusik Zoiseau de feu. Ausgelöst und in Bewegung geraten, scheint Benjamins Passagen-Werk auf, zumal Passagen aus Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts; dort geht die Reflexion auf Haussmanns „Lembellissement stratägique“, gleichsam Urbild des „Glanzverfalls“, dazu Benjamins lakonische Notiz zu „Paris brüle“: „Der Brand von Paris ist der würdige Abschluß von Haussmanns Zerstörungswerk.“” Schließlich rücken bei Benjamin die Sesamworte ins Bild für den Nexus in Lefeu zwischen dem Paris der Gründerjahre jenes 19. Jahrhunderts und dem Düsseldorf des an Glasfassade und Glamour orientierten Wiederaufbaus in den fünfziger Jahren jenes 20. Jahrhunderts. Düsseldorf, die Stadt am Rhein, die sich gerne im Bild des „Petit Paris“ sonnt und mit der Kö, Galerien und Luxusmeile mit Stadtgraben, einen Boulevard zu besitzen glaubt. Eröffnet wird die lefeunahe Passage im Passagenwerk mit dem Protokollsatz: „Mit den dramatischen Aufschriften der magasins de nouveautés tritt die Kunst in den Dienst des Kaufmanns.“'? Sodann die Sesamworte: „Verfall“, „Genremalerei“, „Photographie“, „Mode“ und „Ballett“. Im Lichte der Kulturphysiognomik in Zefeu wird vollends ersichtlich, warum Adorno der Schönberg-Studie von 1940/41 nach 1945 einen Teil über Strawinsky hinzugefügt und zur Philosophie der neuen Musik zusammengezogen hat. Der „antipsychologische Strawinsky“!?, so Adorno in der kalifornischen „Vorrede“ von 1948, werfe, wenn