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Frage als jene an, ob nach Auschwitz ein Gedicht sich schreiben lasse: „die minder kulturelle Frage, ob nach Auschwitz sich noch leben lasse“!. Adorno und Am£ıry sind darin sich einig, dass alles Weiterleben nach Auschwitz nolens volens ein Einverständnis mit der Kultur impliziert, die dahin führte und wiedererrichtet werden soll. Amérys Roman-Essay ist ein Ringen mit dieser Aporie, Lefeu zerbricht an der Unmöglichkeit eines kontinuierlichen Sinnzusammenhangs in der Welt nach Auschwitz. Noch Celans Todesfuge, insbesondere die (auch) ins Tröstliche hinübergleitende Rede vom „Grab in den Lüften“, integriert das Grauen und den Hohn der Nazi-Schergen im KZ, die „ihren Opfern ansagten: morgen wirst du als Rauch aus diesem Schornstein in den Himmel dich schlängeln“??. Amerys Lefeu sperrt sich gegen solche sinnstiftende Wirkung des Kunstwerks, gegen die „Supposition des Sinnes aus Lüge“. Das Werk widerspricht darin immanent dem affirmativen Charakter der Kunst, ohne diesen durch die bloße Wiederholung der gesellschaftlich vermittelten Sinnlosigkeit zu ersetzen. Dennoch ist die Frage offen, nicht nur wie, sondern ob Kunst noch möglich sei. Was Adorno für die Musik konstatiert hat, dass deren „Möglichkeit ... ungewiß geworden (ist)“*‘, diese Ungewissheit erstreckt sich über die Künste hinweg; davon erzählt, berichtet Amerys Roman-Essay. Adorno beschließt seine Vorrede zu Philosophie der neuen Musik mit dem „Vertrauen auf die helfende Kraft der bestimmten Negation“, möchte die Doppelstudie über Schönberg und Strawinsky als einen „ausgeführten Exkurs zur Dialektik der Aufklärung“, als Zeugnis fürs „Standhalten“* gelesen wissen. Das in Lefeu einzig zwischen zwei Satzzeichen, Schlusspunkte, gesetzte Wort „Suicide“ (155) so wenig wie Amerys Entscheidung, aus dem Leben zu scheiden, dementieren, Lefeu oder der Abbruch könne anders denn als Einspruch gegen den Tod gelesen werden. Als Kunstwerk wider seine eigene Möglichkeit widersteht das Werk inmitten von Verzweiflung der Versuchung, den Spalt Hoffnung zu nihilieren. Ist die Philosophie der neuen Musik ein Seitenarm der Dialektik der Aufklärung, so Thomas Manns Doktor Faustus von 1947 ein anderer. Wer Ame£rys Lefeu nahe genug an sich heran kommen lässt, dem könnten die Ohren klingen, Denken in Konfigurationen könnte sich freisetzen. In das Lachen des „Malers Lefeu recte Feuermann“ drängt sich „ein Wehlaut“ (123), heißt es im Erzählzug, der einsetzt mit ,,c’est lou Gaz du Lacq. Blitze aus der Erdentiefe. Feuer aus den Eingeweiden des Bodens“. Dann die Aufforderung, die Fahrt zu unterbrechen: ,,Halten Sie an: ich erinnere mich“ (121). Alsbald steigert sich der „Wehlaut“ Lefeus zu einem „unterdrückten Lachwehlaut“ (124). Der auf die Grenzen der Sprache verweisende Ausdruck kehrt wieder, mal als „wilder Lachwehlaut“ (153), mal als „lüsterner Lachwehlaut“ (155), als „Koloratur“ aus dem Munde Irenes, die ansonsten, auf der Ebene des Sprechdenkens, zum Papperlapapp neigt. An den „Grenzen des menschlichen Verhaltens“, im „Lachen und Weinen“, wie Helmuth Plessner 1941 sorgfältig ausgeführt hat, in Schmerz und Lust, versagt, vergurgelt die Sprache.°° Améry, durch Widerfahrnis und Studien bis in die nervlichen Verästelungen hinein in schmerzlichem Wissen um die „Grenzen des Geistes“ stößt mit seinem Erzählbericht Lefeu bis an die Grenzen des Erzählens und Berichtens vor, lotet im Medium versierter Anspielungskunst die Möglichkeiten des Sagbaren aus. Zwischendurch fällt unter anderem der Name Thomas Manns. Es wäre an der Zeit, die unterirdischen Beziehungen zwischen Amérys Lefeu und Manns Doktor Faustus ernsthaft freizulegen. Lefeu und Leverkühn sind fraglos kontrapunktische Stimmen, 38 _ ZWISCHENWELT antithetische soziobiographische Perspektiven; in ihrer epochalen Konstellation ergeben sie eine aufschlussreiche Dissonanz. Im Faustus verwandelt sich das chronische Lachen des Protagonisten Leverkühn, das „Tränen-lachen-können“, zuletzt in den „Klagelaut“; nachdem der Komponist als letztes Werk die symphonische Kantate Dr. Fausti Weheklag komponiert hat. Das Werk „ohne Parodie“. Es hat sich noch nicht hinreichend herumgesprochen, dass Adorno wesentliche Denk- und Gestaltungsmotive in Thomas Manns Werk implementiert hat, wenn der technizistische Ausdruck zulässig ist. Mehrfach nimmt darin Adorno romanhaftessayistische Gestalt an; vor allem in Kapitel XXV., wo der Diable spottvogelgleich die Grundlinien von Adornos ästhetischer Theorie referiert und für die Kunst punktiert: „Freund, es geht nicht mehr... Es ist aus damit. Der Anspruch, das Allgemeine als im Besonderen harmonisch enthalten zu denken, dementiert sich selbst.“ [Fußnote fehlt] Hier, im Doktor Faustus von 1947 wird in den Schuld- und zumal Verblendungszusammenhang gebohrt, geht es um schuldhafte Mitwirkung an Vernichtung und namenlosem Leid. Ist in Zefeu die Möglichkeit des Sich-selbstErzählens der Lichtspalt, so bezeichnet im Doktor Faustus das „hohe G eines Cellos das letzte Wort, de(n) letzte(n) verschwebende(n) Laut“, die kaum noch vernehmbare Hoffnung. Das Cello sei, so der israelische Psychologe Dan Bar-On, der diesem Instrument praktizierend zugetan gewesen ist, im Gespräch über den Doktor Faustus und seine Studie Die Last des Schweigens. Gespräche mit Kindern von NS-Tätern?” , dasjenige instrumentale Organ, das der menschlichen Stimme am nächsten komme. Allerdings, und hier klingt Dissonanz zwischen der Form des Doktor Faustus und der des Lefeu auf, gegen jedweden Anflug von falscher Versöhnung, das trauerlose Glattreden dessen, was geschehen ist, legt Amery vehement Einspruch ein. Zuletzt, mit Blick auf die ausstehende Analyse der Konstellation Doktor Faustus — Lefeu, eine Notiz zur Anspielungstechnik in Lefeu, die der Anspielungskunst Thomas Manns durchaus ebenbürtig ist. Der Name Irene, die sprechende Pappel in Lefen, verweist auf Irenik, den Streit in der Absicht von Aussöhnung. Der Ausgabe von Jenseits von Schuld und Sühne von 1977, schickt Ame£ry ein Vorwort voran, das schroff ein Veto einlegt gegen die „faule, gedankenlose, grundfalsche Versöhnlichkeit“®, und in eine Klärung einmündert: Aufklärung ist nicht gleich Abklärung. Ich war nicht abgeklärt, als ich dieses Büchlein zu Papier brachte, ich bin es heute nicht und hoffe, daß ich es niemals sein werde. Abklärung, das wäre ja auch Erledigung, Abmachung von Tatbeständen, die man zu den geschichtlichen Akten legen kann. Gerade dies zu verhindern, will mein Buch beitragen. Nichts ist ja aufgelöst, kein Konflikt beigelegt, kein Er-innern zur bloßen Erinnerung geworden. Was geschah, geschah. Aber daß es geschah, ist so einfach nicht hinzunehmen. Ich rebelliere: gegen meine Vergangenheit, gegen die Geschichte, gegen eine Gegenwart, die das Unbegreifliche geschichtlich einfrieren läßt und es damit auf empörende Weise verfälscht.” In die Sphäre der Kritik der Ästhetik transformiert, der Erzähler kann nach Auschwitz nicht länger der „raunende Beschwörer des Imperfekts“ sein, wie Thomas Mann im Vorsatz zum Zauberberg von 1924 noch unbefangen formulieren konnte. Mit Beginn der Niederschrift des Doktor Faustus im Jahre 1943 ist die Erkenntnis bereits gewonnen, dass, wenn, anders erzählt und komponiert werden müsse; deshalb konnte die Zusammenarbeit mit Adorno