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gelingen. Diese Erkenntnis teilt der späte Thomas Mann mit dem Autor des Lefeu. Kann und wie kann Kunst noch in Kunstwerken glücken? Die Parodie ist eine problematische Form, wie Adorno mit direktem Bezug auf den Doktor Faustus in der Philosophie der neuen Musik zwischenbemerkt®; die Problematik macht vor Amerys RomanEssay nicht halt, wie die Pappel-Sprachspiele offenkundig werden lassen. Gleichwie, Lefew deutet die Möglichkeit von Kunst an, wie sie in der Philosophie der neuen Musik bestimmt worden ist: „Falsch ist der Untergang von Kunst in der falschen Ordnung. Ihre Wahrheit ist die Verneinung der Fügsamkeit, in welche ihr zentrales Prinzip, das des bruchlosen Stimmens, sie hineingetrieben hat.“*' Alles andere gerät zum „höheren Schwindel“, wie der Diable im Doktor Faustus, auf die verfehlte „Subsumtion des Ausdrucks unters versöhnlich Allgemeine“ anspielend, unzweideutig pointiert. Der Titel Zefeu oder Der Abbruch ist ernst zu nehmen, wie der Bruch zwischen Roman und Essay. Prof. Dr. Friedhelm Kröll lehrt seit 1990 am Institut für Soziologie der Universität Wien Soziologische Theorie, Kultur-, Alltags- und Religionssoziologie. Publikationen: Der Prozess gegen Erhard Milch. In: Gerd R. Ueberschär (Hg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943-1952 (1999); Die Archivarin des Zauberers. Ida Herz und Thomas Mann (2001); Einblicke. Grundlagen sozialwissenschaftlicher Denkweisen (2009). Dr. Karin Stögner lehrt am Institut für Soziologie der Universität Wien Gesellschafistheorie und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Konfliktforschung in Wien. Anmerkungen 1 Vgl. Petra Kiedaisch (Hg.): Lyrik nach Auschwitz? Adorno und die Dichter. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1995. 2 Theodor W. Adorno: Kulturkritik und Gesellschaft. In: Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann. Bd. 10.1. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, 30. 3 Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Gesammelte Schriften. Bd. 4. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997, 268. 4 Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte. Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser. Bd. 1.2. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, 691-704. 5 Jean Amery: Lefeu oder Der Abbruch. Stuttgart: Ernst Klett Verlag 1974. Die im Text in Klammern angeführten Seitenzahlen beziehen sich auf diese Ausgabe. 6 Theodor W. Adorno: Philosophie der neuen Musik. Gesammelte Schriften. Bd. 12. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, 118. 7 Ebd., 20. 8 Ebd., 10. 9 Walter Benjamin: Über einige Motive bei Baudelaire. Gesammelte Schriften. Bd. 1.2. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991, 646f. 10 Theodor W. Adorno: Soziologie und empirische Forschung. Gesammelte Schriften. Bd. 8. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1997, 197. 11 Vgl. dazu den Brief Adornos an Benjamin vom 29.2.1940: „Das Vergessen ist in gewisser Weise Grundlage für beides, für die Sphäre der ‚Erfahrung‘ oder memboire involontaire, und für den reflektorischen Charakter, dessen jähe Erinnerung selber das Vergessen voraussetzt. Ob ein Mensch Erfahrungen machen kann oder nicht, ist in letzter Instanz davon abhängig, wie er vergißt. ... Wäre es aber nicht die Aufgabe, den ganzen Gegensatz von Erlebnis und Erfahrung an eine dialektische "Theorie des Vergessens anzuschließen? Man könnte auch sagen: an eine Theorie der Verdinglichung. Denn alle Verdinglichung ist ein Vergessen: Objekte werden dinghaft im Augenblick, wo sie festgehalten sind, ohne in allen ihren Stücken aktuell gegenwärtig zu sein: wo etwas von ihnen vergessen ist. Und es stellt sich die Frage, wieweit dies Vergessen das erfahrungsbildende ist, ich möchte sagen, das epische Vergessen und wieweit es das reflektorische Vergessen ist.“ Zitiert nach: Theodor W. Adorno; Walter Benjamin: Briefwechsel 1928-1940. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994, 417. 12 Wolfdietrich Schnurre: Dreizehn Thesen gegen die Behauptung, daß es barbarisch sei, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben. In: Petra Kiedaisch, wie Anm. 1, 125: „7. Nicht auf die Hereinnahme eines so unfaßbaren "Themas wie Auschwitz kommt es an im Gedicht. Es kommt darauf an, daß der Gedichteverfertiger es sich klarmacht, nach Auschwitz zu dichten. Er kann schreiben, worüber er will. Auch über Bäume. Aber seine Bäume müssen andere sein als die, die in den Gedichten rauschten, die vor Auschwitz entstanden.“ 13 Jetzt in: Jean Amery: Jenseits von Schuld und Sühne. In: Werke. Hg. v. Irene Heidelberger-Leonard. Bd. 2. Stuttgart: Klett-Cotta 2002, 55-85. 14 Ebd. 68. 15 Ebd., 85. 16 In: Jean Améry: Jenseits von Schuld und Sühne (wie Anm. 13), 149-177. 17 Walter Benjamin: Das Passagen-Werk. Gesammelte Schriften. Bd. V.1. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991, 58. 18 Ebd., 88. 19 "Th. W. Adorno, wie Anm. 6, 10. 20 Max Horkheimer; Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997, 11. 21 Theodor W. Adorno: Die Kunst und die Künste. Gesammelte Schriften. Bd. 10.1. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997, 452. 22 Theodor W. Adorno: Negative Dialektik. Gesammelte Schriften. Bd. 6. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997, 360. 23 Ebd., 358. 24 “Etwa wie wenn man, verlassen auf einer Insel, verzweifelt einem davonfahrenden Schiff mit einem Tuch nachwinkt, wenn es schon zu weit weg ist zum Rufen. Unsere Sachen werden immer mehr solche Gesten aus Begriffen werden müssen und immer weniger Theorien herkömmlichen Sinns. Nur daß es eben dazu der ganzen Arbeit des Begriffs bedarf.“ (Brief Adornos and Max Horkheimer, 21.8.1941, zitiert nach van Willem van Reijen; Gunzelin Schmid Noerr (Hg.): Vierzig Jahre Flaschenpost: Dialektik der Aufklärung 1947 bis 1987. Frankfurt am Main: Fischer 1987, 9.) 25 Willem van Reijen; Gunzelin Schmid Noerr, wie Anm. 24, 9. 26 Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra. Werke in drei Bänden. Band II. München: Karl Hanser Verlag 1999, 455. 27 Detlev Claussen: Eine kritische Differenz: Zum Konflikt Jean Amerys mit Theodor W. Adorno und Max Horkheimer. In: Stephan Steiner (Hg): Jean Amery [Hans Maier]. Basel; Frankfurt am Main: Stroemfeld Verlag 1996, 203. 28 Vgl. Max Horkheimer: Vernunft und Selbsterhaltung. Gesammelte Schriften. Hg. v. Alfred Schmidt u. Gunzelin Schmid Noerr. Bd. 5. Frankfurt am Main: Fischer 1987, 320-350. 29 Th. W. Adorno, wie Anm. 22, 355. Vgl. auch Theodor W. Adorno: Metaphysik. Begriff und Probleme. Nachgelassene Schriften IV. Bd. 14. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, 167. 30 Th. W. Adorno, wie Anm. 22, 355. 31 Ebd. 32 Ebd. 33 Th. W. Adorno, wie Anm. 29, 165. 34 Th. W. Adorno, wie Anm. 6, 108. 35 Ebd., 11. 36 Helmuth Plessner: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens (1941). Gesammelte Schriften. Bd. VII. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003. 37 Dan Bar-On: Die Last des Schweigens. Gesprache mit Kindern von NS-Tatern. Hamburg: edition Kérber-Stiftung 2003. 38 J. Améry, wie Anm. 13, 15. 39 Ebd., 18. 40 Th. W. Adorno, wie Anm. 6, 165. 41 Ebd., 108. November 2012 39