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Brigitte Lehmann, Alexander Emanuely Passend zum ZW-Schwerpunkt „Jean Am£ry und die französische Welt“ stellen wir heute drei AutorInnen der „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“ vor, die ebenfalls in engem Kontakt mit Frankreich waren, sei es schon in den 1920er und 1930er-Jahren, wie Else Feldmann und Anton Pariser, oder im Exil, wie Adolf Unger. Neben kurzen Biographien werden auch einzelne Arbeiten der AutorInnen vorgestellt. Dank des reichhaltigen Bildmaterials der Sammlung Herbert Exenberger, können wir uns auch ein Bild von den AutorInnen und ihrer Welt machen. Else Feldmann Else Feldmann kam am 25. Februar 1884 in Wien zur Welt. Der Vater, Ignaz Feldmann, war Kaufmann und kam aus Ungarn, die Mutter, Fanny, geb. Pollak, stammte aus Deutschkreutz im Burgenland. Den Besuch einer Lehrerinnenbildungsanstalt musste Else abbrechen, als ihr Vater seine Arbeit verlor. Sie wurde Arbeiterin in einer Fabrik, die Eisenfedern für Korsette erzeugte. Ab 1912 veröffentlichte sie Skizzen, Feuilletons, Sozialreportagen und zahlreiche kleine Erzählungen, u.a. in der Arbeiter-Zeitung, dem Neuen Wiener Journal, der Neuen Freien Presse, Der Abend, dem Arbeiter-Sonntag, in Die Frau. Außerdem Romane, die als Fortsetzungsgeschichten erschienen. Am 12. Februar 1916 wurde ihr Theaterstück „Der Schrei, den niemand hört. Ein Bericht aus dem Ghetto“, mit Lia Rosen in einer Hauptrolle, an der „Freien Volksbühne“ uraufgeführt. Ihre erste selbständige Publikation war der Roman „Löwenzahn. Eine Kindheit“ (1921). Else Feldmann verkehrte im engsten Kreis des Sozialreformers Popper-Lynkeus. Im Mai 1922 war sie, gemeinsam mit Otto Neurath, Alfred Adler, Josef Luitpold Stern, Bela Baläzs, Karl Grünberg, Leonhard Frank, Anna Nussbaum u.a. Mitbegründerin der Wiener Gruppe „Clarte“, als Teil einer internationalen, von dem französischen Schriftsteller Henri Barbusse initiierten Else Feldmann 42 ZWISCHENWELT Bewegung zur Bekämpfung des Krieges und seiner Ursachen. Die Zeitschrift „Clarte“ in Paris war bald von Pierre Naville übernommen worden und wurde zu einem wichtigen Sprachrohr der KP-nahen SurrealistInnen. Im Jänner 1933 gehörte Else Feldmann zu den Gründungsmitgliedern der „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“. Nach dem Februar 1934 hatte sie kaum noch Publikationsmöglichkeiten. Zu den wenigen erhaltenen Spuren ihres Lebensweges gehören Kündigungsschreiben wegen Mietrückständen und Delogierungsprotokolle. 1938 setzten die Nazis alle Werke von Else Feldmann auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“. Else Feldmann wurde am 14. Juni 1942 aus Wien deportiert, am 17. Juni im Vernichtungslager Sobibor ermordet. 1921 gab der Wiener Gloriette Verlag eine von Anna Nussbaum, der Vereinigung „Clarte“ und Else Feldmann zusammengestellte Sammlung von Briefen, Aufsätzen und Zeichnungen der Wiener Schulkinder im Ausland unter dem Titel „Das Reisebuch des Wiener Kindes“ heraus. Am 28. Februar 1928 erschien in der Sonntagsbeilage der Arbeiter-Zeitung, neben dem Gedicht des französischen „Nähkastenarbeiters“ Gustav Leroy „Ball und Guillotine“, 1849 geschrieben, neben einem von Josef Kalmer übersetzten Text von Isaak Babel und einer Szene aus Karl (damals noch nicht Carl) Zuckmayers „Der fröhliche Weinberg“, Else Feldmanns folgende po&me-en-prose Szene: Erster Abend in einer Stadt.‘ Es war neun Uhr abends, als der Zug einfuhr. Finster, kalt, stürmisch harter November. Die Lichter des Bahnhofgebäudes funkelten auf und ab, als zitterten sie vor Kälte. Ich stand an meinem Koffer gelehnt, hielt Ausschau, dachte, ein wenig über die nächsten Minuten nach. „Träger! Gepäckträger!“ ri Adolf Unger, Brüssel April 1940