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nach wie vor der Lyrik und seinen von hohen literarischen Ansprüchen getragenen Übersetzungen. 1961 erschien sein Buch „Die Frühzeit der französischen Lyrik. Gedichte aus fünf Jahrhunderten“ im Berglandverlag, Wien, ein von ihm ausgewählter und übersetzter Lyrikband. „Diese Übersetzungen aus dem Französischen gehören zu den besten, die überhaupt bis jetzt vorliegen“ (Alfred Döblin). Anton Pariser starb am 22. Jänner 1965 in Paris. Er hat ein ganzes Konvolut von übersetzten Francois Villon-Gedichten hinterlassen. Wir drucken die wirklich gelungene Übersetzung der „Ballade des Dames du temps jadis“ ab, jenem Villon Gedicht, das als Chanson von Georges Brassens vertont und gesungen, wohl am bekanntesten wurde. Frangois Villon: Ballade von den Frauen aus alter Zeit? Sagt mir, wohin enischwunden sind Flora, die schöne Römerin, Und Thais, ihr Geschwisterkind, Und Archipiada? Wohin? Und Echo, deren Stimme hin Über den Fluss tönt und den See, Die schon war, wie man keine find t — Wo blieb vom Vorjahr wohl der Schnee? Wohin vertrug der Zeitenwind Der Weisheit holde Jüngerin, Um deren Minne zart und lind Einst Mönch ward Abälard? Wohin? Wo blieb die stolze Königin, Die Buridan ersäufte, weh, Im Seinestrom fühllos und blind? — Wo blieb vom Vorjahr wohl der Schnee? Die lilienweisse Rosalind‘ Mit ihren süßen Melodien, Beatrix und Amalaswinth, Bertha, die freite Herrn Pipin, Johanna, gut lothringisch Kind, Die hinsank im Autodafe, Künd’ uns, Marie, wo man sie find tf — Wo blieb vom Vorjahr wohl der Schnee? Drum forscht, mein Fürst, nicht, wo sie sind — Die Klage klingt seit eh und je — Sonst fragt mein Kehrreim Euch geschwind: Wo blieb vom Vorjahr wohl der Schnee? 44 ZWISCHENWELT Adolf Unger kam am 11. Juni 1904 in Wien als Sohn des Schuhmachers Samuel Unger und seiner Frau Mindel, geb. Kress, zur Welt. Er absolvierte | eine Schuhmacherlehre, nach der Gesellenpriifung folgten mehrals vier Jahre Arbeitslosigkeit, Hungerjahre. Um seinen Eltern nicht zur Last zu fallen, schlugersichalsZeitungsze kolporteurdurchundging aufdie Walz. 1930 heiratet er Sobel Leifer und arbeitet schließlich als Handelsangestellter. Anfang 1935 wird seine Tochter Hanna geboren. Unger arbeitete in der von Ernst Schönwiese geleiteten Fachgruppe der Volkshochschule Leopoldstadt, Zentrum Zirkusgasse mit. Die 1920 gegründete Volkshochschule Leopoldstadt besaß eine eigene kleine Buchhandlung in der Zirkusgasse 48. Diese hatte am Wochenende zwischen 19 und 21 Uhr geöffnet und wurde vor allem von Studierenden eifrig benützt. 1932 bekam die Buchhandlung einen neuen Leiter, er war neunzehn Jahre alt und machte gerade eine Buchhandelslehre, sein Name: Hans Mayer. In der Volkshochschulbuchhandlung fand sich vieles von dem wieder, was es gerade an zeitgenössischer Literatur gab: Neben russischen AutorInnen, wie Isaak Babel, Ilja Ehrenburg, Alexander Block, auch englische und amerikanische, wie Virginia Woolf, Julien Green, Aldous Huxley und Walt Whitman, William Faulkner, Thornton Wilder, John Dos Passos, und natürlich auch franzésische, wie: André Gide, Marcel Proust und Romain Rolland. Die Volkshochschule war dem Schulabbrecher Hans Mayer seine Universitat und die Buchhandlung dem Lehrling Hans Mayer das erste Tor zur französischen Welt. Josef Luitpolt Stern förderte Adolf Ungers literarisches Talent, der in dieser Zeit den Roman „Sieniawa, kleine Stadt im Osten“ verfasste, dessen Manuskript allerdings verschollen ist. 1933 wurde Unger Mitglied der „Vereinigung sozialistischen Schriftsteller“. Im gleichen Jahr wurde ihm der Julius-Reich-Dichterpreis der Wiener Universität zuerkannt. Er schrieb dazu: Durch Zufall fiel das Erscheinen meines Gedichtbandes „Im Trott“ mit der Preiszuerkennung zeitlich zusammen. Trotz meinem jetzigen Erfolg bleibe ich der, der ich war: Arbeiter. Und wenn ich die Frage, was mich Dichter werden ließ, beantworten sollte, so kann ich nichts anderes sagen als: Das Leben und die Arbeit. Die anderen Preisträger/innen waren Hilde Spiel, Ernst Waldinger und Ludo Gervald. Drei Gedichtbände konnte Unger veröffentlichen: neben dem schon erwähnten „Im Trott“, Wien 1933, „Zeitstrophen“, Wien 1935, „Die Linie“ Wien 1937. Im Oktober 1933 stellte er eine Revue „Da stimmt was nicht“ für das „Rote Kunstkollektiv“ zusammen. Im März 1938 flüchtete Unger mit seiner Frau und seiner Tochter nach Belgien. Am 10.5.1940 wurde er als „feindlicher Ausländer“ von den belgischen Behörden verhaftet und im Viehwaggon nach Frankreich verschickt, dort u.a. in den Lagern Gurs, Rivesaltes, Mont Louis interniert. Am 4.9.1942 wurde das Ehepaar Unger nach Drancy, am 11.9. nach Auschwitz-Birkenau deportiert und