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„Bewahrt Euch vor dem Vergessen Wir trauern um unser Mitglied Ilse M. Aschner (1918 — 2012), die am Mittwoch, 10. Oktober 2012, im 95. Lebensjahr in Wien gestorben ist. Die Verabschiedung findet am Mittwoch, 28. November, um 14 Uhr am Wiener Südwestfiedhof statt (Halle 2. Eingang 12., Wundtg. 1a). Am 26. September 1918 in Wien als Ilse Romer geboren, wurde sie gleich ihrem Bruder Wolfgang (1913 — 2000) evangelisch getauft. Beide wußten bis zum „Anschluß“ 1938 nicht um ihre jüdische Herkunft. Ehe sie der Universität verwiesen wurde, studierte sie in Wien Germanistik und Kindespsychologie. 1939 kam sie über Vermittlung der Quäker in eine Landpfarre im englischen Yorkshire, wo sie einen fünfjährigen Buben zu betreuen und später auch zu unterrichten hatte. Ab 1942 lebte sie Manchester und schloß sich dort der „Young Austrian Youth“ an. Dort lernte Ilse auch ihren späteren Mann Peter Aschner (1918 — 1984), Journalist, Lektor und Übersetzer, kennen. 1946 kehrte sie nach Wien zurück und wurde Mitglied der „Freien Österreichischen Jugend“ und der KPÖ. In Wien erfuhr sie erst nach und nach, daß ihre Eltern sowie die gesamte Verwandtschaft von den Nationalsozialisten ermordet worden waren. Sie wollte ihr Studium fortsetzen und die „arisierte“ Wohnung ihrer Familie wieder beziehen, wurde aber wenige Wochen nach ihrer Ankunft zur Jugendarbeit nach Sazburg geschicht. An 1950 war sie in Linz tätig, dann in Prag, wo ihr Mann Korrespondent der kommunistischen „Volksstimme“ war. 1962 wieder in Wien, wurde sie Redakteurin der KPÖZeitschrift „Stimme der Frau“, trat aber 1969 im Protest gegen die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ aus der KPÖ aus. Sie war aus dem englischen Exil nach Österreich zurückgekommen, um am Aufbau eines neuen demokratischen Österreich mitzuwirken. Doch rückblickend erwies sich ihr schon die österreichische Landschaft als fremd geworden: Das Land zeigt sich im Frühnebel, gespenstisch fast, mit seinen riesigen felsigen Bergen, so fremd und ungewohnt, fast bedrohlich nach den rollenden grünen Hügeln Englands. Das wahrhaft Bedrohliche begegnet mir später, als ich erkennen muß, daß das ganze Land in den Gesichtern von Millionen Toten erstarrt ist. [...] Alle hier hatten ihre Pflicht getan, nur wir — pflichtvergessen — hatten uns auf die Seite des Feindes gestellt. [...] Niemand verstand, daß es nicht Feinde Ilse, 1930er Jahre proben den „Zwischenwelt-Sketch des Jahres“. waren, die unserem Land Befreiung gebracht, es vor der Auslöschung bewahrt, den Österreichern eine freie Heimat zurückgegeben hatten. So beschrieb sie in MdZ Nr. 4/1995, S. 19f., unter dem Titel „Entflogen“, warum Österreich ihr nicht wieder zur Heimat werden konnte, und resümierte: „Wenn ich an Heimat denke, dann denke ich an England. Wenn ich dort ankomme, bin ich zuhause.“ Dennnoch hat Ilse M. Aschner nie aufgehört, diese schwerfällige Materie, dieses Österreich unermüdlich weiter zu bearbeiten, mag sein, mit kleinen Stößen, die das Massiv der Verdrängung kaum ins Wanken bringen konnten. Dies aber ist unser aller Schicksal, die wir ausgesetzt waren und sind auf das „Wuchern des Toten“. Use wirkte beim „Neuen Forum“ mit, das sich janach dem Abgang Friedrich Torbergs auch vom „Kalten Krieg“ verabschiedet hatte. 1978-1988 war sie im Sekretariat der Grazer AutorInnenversammlung (GAV) tätig. Dort lernte sie den Schriftsteller Josef Haslinger kennen, der ihre Erzählungen 1995 in seinem Österreich-Essay „Politik der Gefühle“ in einem eigenen Kapitel wiedergab. Die GAV verdankt ihr wervolle Impulse; es gibt sogar eine wissenschaftliche Diplomarbeit, die sich mit Ilses Tätigkeit in der GAV auseinandersetzt. Und seit den 1980er Jahren ging Aschner auch als „Zeitzeugin“ in Schulen, um durch ihr authentisches Zeugnis aufzuklären und neue Verbindungen zu Menschen zu suchen. Ihr Engagement für das „Erste Wiener Lesetheater“, von den 1990er Jahren bis 2007, enthüllte ihre Begabung als Rezitatorin und Dramaturgien ungezählter szenischer Lesungen an den verschiedensten Orten. Auch die Theodor Kramer hat sie bei vielen Veranstaltungen als Rezitatorin unterstützt. Ilse M. Aschner schätzte viele Autorinnen und Autoren, doch erwähnt werden soll, daß sie die Gedichte Stella Rotenbergs liebte und oft gelesen hat. Use war äußerst belesen und meiner Ansicht nach schr klug. Alles, was sie sagte, war treffend. Man konnte darauf vertrauen, daß sie, was sie vorlas, von verschiedenen Seiten zu erwägen vermochte. So bleibt sie mir in Erinnerung: eine kleine Frau, die trotzig zu mir aufblickt und ihre Zigarette fest zwischen den Fingern hält; eine wunderbare Stimme, tief und rauh, die dennoch die Worte ganz klar und in ihrem Rhythmus faßt. Hat jemand schon geschrieben, daß eine Stimme eine Heimat sein kann? Konstantin Kaiser 46 ZWISCHENWELT