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REZENSIONEN Praxis der Auflehnung Mit der Videoinstallation „Das Ende der Erinnerung — Kärntner PartisanInnen“ hat der Künstler Ernst Logar eine Überwindung geschafft. Die Erzählungen von Kärntner SlowenInnen über Repression und Widerstand unter der NS-Herrschaft lassen mit ihr die Karawanken und die südkärntner Täler hinter sich und wandern seit einigen Jahren durch Ausstellungsorte in Österreich. Das Peripherie des einzigen innerhalb NS-Deutschland organisierten bewaffneten antinazistischen Widerstandes im österreichischen Gedächtnis — die stationären, wenig besuchten Erinnerungsorte an den Rändern, das Partisanenmuseum im Per$fmanhof an der slowenisch-österreichischen Grenze, die Partisanendenkmäler in Südkärnten — wird überwunden und die familiären Tradierungen erhalten eine mobile und öffentliche Variante des Widerstandsgedächtnisses, die aus der Marginalisierung herausführt. Das gleichnamige Begleitbuch, das Ernst Logar 2011 im Drava Verlag publiziert hat, bedeutet darüber hinaus eine transnationale Erweiterung des Erinnerungsraumes der Kärntner Slowenen und Sloweninnen. Das große Verdienst dieses Buches ist die Dreisprachigkeit (Deutsch/Slowenisch/Englisch) aller Beiträge und Interviewauszüge. Brigitte Bailer-Galanda und Wolfgang Neugebauer bieten eingangs einen knappen historischen Überblick über den Widerstand der Kärntner SlowenInnen und bezeichnen ihn als wichtigsten und effektivsten Beitrag zur Befreiung Österreichs von der NS-Herrschaft. Dass daraus keineswegs ein prominenter positiver Ort im Nachkriegsgedächtnis Österreichs resultierte, thematisiert die Kulturwissenschafterin Aleida Assmann. Das Paradoxon verweist auf den postnazistischen Charakter der Zweiten Republik, der in den Erzählungen der hochbetagten zwölf GesprächspartnerInnen Logars gerade durch die weiterhin notwendige Widerstandshaltung ihrer Sprache und Erzählweise erkennbar wird. Die Lokalität historischer Ereignisse und gegenwärtiger geschichtspolitischer Zumutungen zeigt Ernst Logar durch ganzseitige Farbfotografien von Gegenden des Kampfes in Südkärnten und Orten der Hinrichtung (Landesgericht Wien, ehemalige Massengräber), der Haft und Folter (Klagenfurter Burg- ehemalige Gestapostelle), der jahrzehntelangen Nichtumsetzung von Minderheitenrechten (Parlament, leere Ortstafelhalterungen), der Zerstörung von Erinnerung (geschändete Partisanendenkmäler). Dem stellt er Porträts seiner InterviewpartnerInnen und von den Orten der Tradierung des Widerstandsgedächtnisses, ihren Küchen und Stuben, gegenüber. Roland Schöny beschreibt in einem abschließenden Essay Ernst Logars künstlerische Interventionen als Beleuchtungen von Machtzentren und Machtperipherien, die subversive Transfers ermöglichen können. Zu eng gefasst wird allerdings die Bedeutung der historischen Erfahrung der Kärntner PartisanInnen und der Interventionen Logars: Die Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus wäre nicht nur „würdig in den kulturellen Text Österreichs einzuschreiben“, sondern über nationale Kontexte hinaus als universell bedeutsame Praxis der Auflehnung zu vergegenwärtigen. Gerade letzteres schafft dieses verdienstvolle und ausgezeichnet gestaltete Buch, dem auch eine DVD mit den Erzählungen der Zeitzeugen beigefügt ist. Peter Pirker Ernst Logar: Das Ende der Erinnerung— Kärntner PartisanInnen/Konec spomina — koroski partizani in partizankel The End of Remembering — Carinthian Partisans. Klagenfurt/Celovec, Wien: Drava Verlag 2011. 109 S. Euro 24,80 Der jüdische Friedhof Währing in Wien Der Währinger jüdische Friedhof, der von 1784 bis 1885 in Verwendung stand, ist die Begräbnisstätte vieler bedeutender jüdischer Familien. Dieses einzigartige Kulturdenkmal drohte lange Zeit zu verfallen. Erst vor kurzem konnte mit ersten Sanierungsschritten begonnen werden, und die Israelitische Kultusgemeinde Wien adaptierte im ehemaligen Friedhofswärterhaus ein vor wenigen Wochen eröffnetes Bethaus und plant in weiterer Folge die Einrichtung eines Infopoints und Dokumentationszentrums. Die Historikerin Tina Walzer, die sich seit langem mit der Geschichte dieses Friedhofs befasst und auch regelmässig Führungen anbietet, hat mit dem vorliegenden, vom Zukunftsfonds finanzierten Buch eine Zwischenbilanz ihrer Forschungen vorgelegt. Sie stützt sich auf die Inventarisierungen von Pinkas Heinrich; unverständlich ist allerdings, warum die Namen von Patricia Steines und Wolf-Erich Eckstein, die ebenfalls zum Friefhof arbeiteten, nicht genannt werden. An offenen Fragen und Forschungsdesiderata nennt Walzer unter anderen den Verbleib von Gräberstiftungen und deren Vermögens. Ihr Buch ist eine sehr lesenwerte und informative Einführung in die kulturgeschichtliche Bedeutung und komplexe Geschichte der Teilrettung dieses Friedhofs in der NS-Zeit. E.A. Tina Walzer: Der jüdische Friedhof Währing in Wien. Historische Entwicklung, Zerstörungen der NS-Zeit, Status quo. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2011. 196 S. Euro 29,90 Judentum in Leben und Werk von Franz Werfel Dieser fiir ein reines Fachpublikum publizierte Sammelband untersucht in literaturwissenschaftlichen Studien über Werfels Dramen und die Werke „Abiturientag“, „Barbara oder Die Frömmigkeit“, „Cella“, „Stern der Ungeborenen“ und „Zwischen Oben und Unten“ Werfels doppelte, widersprüchliche Bindung an das Judentum und an das Christentum. Die Taufe lehnte der Dichter, der sich „christusgläubig“ nannteund im Gegensatz zu seinen Jugendfreunden Max Brod und Martin Buber dem Zionismus distanziert gegenüberstan, aus Solidarität in Zeiten der Verfolgung ab. Mit dem Roman „Höret die Stimme“ über den Propheten Jeremias, den Gerhard Langer untersucht, publizierte er 1937 ein laut seinem Biographen Peter Stephan Jungk durch und durch jüdischem Buch, „von großem Verständnis für Israels Geschichte , von großer Liebe zum jüdischen Volk erfüllt.“ Frank Stern ergänzt den Band mit einem Beitrag über jüdisches in älteren und neueren Verfilmungen nach Franz Werfel. E.A. Hans Wagener, Wilhelm Hemecker (Hg.): Judentum in Leben und Werk von Franz Werfel. Berlin, Boston: De Gruyter 2011. 180 S. Euro 99,95 Verstreutes Womit wir Schwierigkeiten haben: „Opfer der Schoa“. — Der nationalsozialistische Massenmord an den Juden erscheint als schicksalhaft. Unerbittlich forderte die Schoa ihre Opfer, die nicht einmal wissen konnten, wessen Opfer sie wurden. Das Wort „Shoah“ kam erst in Gebrauch, als das Morden beendet war und das Ausmaß der Verbrechen bekannt wurde. Ein großes Unglück, eine Katastrophe war geschehen. Doch das Unglück ist nicht Urheber seiner selbst, sondern eine Folge der Untaten der Nationalsozialisten, ihrer Helfer und Helfershelfer. Sie dürfen nicht aus dem Blickfeld geraten. November 2012 47