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Es klopft an der Tür, Josef Burg öffnet, vor ihm steht ein junger Mann mit einem Packen Bücher unter dem Arm. Die jiddischen Bücher wurden in einem Keller gefunden, so der Unbekannte, und da er sie nicht lesen kann, will er sie dem letzten jiddischen Autor Czernowitzs geben. Unter den Büchern findet der Dichter die Ausgabe eines seiner Bücher, die er seinem großen literarischen Vorbild Moishe Altman gewidmet hat. Als Josef Burg durch den Erzählband blättert, erinnert er sich an das Begräbnis Altmanns und an dessen Wunsch, neben dem jiddischen Dichter Elieser Steinbarg auf dem Czernowitzer Friedhof begraben zu werden. Entgegen seinem letzten Willen wird Moishe Altman von seiner Familie auf dem christlichen Friedhof beigesetzt, unweit der letzten Ruhestätte des Dichters Elieser Steinbarg, der jedoch auf dem jüdischen Friedhof liegt. A vilde evleh (Ein großes Unrecht) nennt Josef Burg diese Erzählung aus dem Jahr 1997. Darin zeichnet der Autor das Spannungsfeld nach, in welchem sich sein Schreiben bewegte: Von außen gezogene Grenzen bestimmen das Leben und Schaffen der jiddischen Dichter in dieser Erzählung. Die jiddischen Dichter aus Czernowitz müssen sich der Frage nach ihrer literarischen Verortung immer wieder stellen, zeitlebens verhandelt auch der Autor Josef Burg in seinen Werken seine Zugehörigkeit. Als Czernowitzer Dichter will er in der Tradition der jiddischen Literatur wahrgenommen werden, weiß jedoch auch um das Schicksal dieser Literatur: Die Bücher haben keine Leser mehr, sie müssen aus Kellern und Nachlässen gerettet werden. In Raphaela Kitzmantels Buch Die jiddische Welt von Gestern. Josef Burg und Czernowitz werden die Stationen im Leben Josef Burgs, der 1912 in der habsburgischen Bukowina geboren wurde, erstmals anhand von Dokumenten aus dem Nachlass und Auszügen aus seinem Werk dargestellt. Das Buch über das Leben des jiddischen Dichters führt die Leserin bzw. den Leser durch das 20. Jahrhundert und durch die Bukowina, eine Region, die im Laufe des letzten Jahrhunderts immer wieder anderen Nationalstaaten zugeordnet und von neuen Grenzen durchschnitten wurde. In Österreich und Deutschland ist Josef Burg heute als der letzte jiddische Dichter Czernowitzs bekannt. In der Forschung zur Bukowina stand lange Zeit das deutschsprachige Czernowitz im Mittelpunkt. Paul Celan, Rose Ausländer und viele mehr haben Eingang in die Literaturgeschichten gefunden. Die jiddische Literaturtradition, die ebenso in Czernowitz gepflegt wurde, ist hingegen ein wenig beleuchtetes Kapitel der Kulturgeschichte. Auf der 48 _ ZWISCHENWELT „Czernowitzer Sprachkonferenz“ im Jahr 1908 diskutierten jüdische Dichter und Denker über die zukünftige Rolle der jiddischen Sprache; in der Zwischenkriegszeit wurde die Stadt zu einem Zentrum der jiddischen Literatur. Vergessen wird allzu oft, dass viele der auf Deutsch schreibenden AutorInnen aus Familien kamen, in denen Jiddisch gesprochen wurde. Deutsch war das erworbene Kulturgut, das Aufstieg und Anerkennung versprach. Josef Burg stammt aus einer einfachen Familie von Flößern, seine Familie spricht Jiddisch, er wird in dieser Sprache erzogen und fühlt sich tief verwurzelt in der Welt des Schtetls. Den Wechsel vom Jiddischen zum Deutschen vollzieht er nicht, auch nicht, als er in den Jahren 1934 bis 1938 Germanistik an der Universität Wien studiert. Für den aus Czernowitz stammenden Autor Josef Burg ist Wien in den 1930er Jahren Provinz der Weltgeschichte, nichts scheint man hier wissen zu wollen, von den politischen Ereignissen der Zeit, man tanzt Walzer und trinkt Kaffee. An der deutschsprachigen Literaturszene ist Josef Burg wenig interessiert, in den Kaffechäusern der Stadt trifft er die jiddischen Dichterkollegen Mendel Neugröschel und Ber Horowitz. Raphaela Kitzmantel weist darauf hin, dass sich für das Germanistik-Studium Josef Burgs keine Belege im Archiv der Uni Wien finden. Umso interessanter erscheint die Frage, welche Funktion dieser Wien-Aufenthalt in den Jahren vor dem „Anschluss“ für Burgs literarisches Schaffen hatte. War es für den aus der Peripherie der Habsburger Monarchie stammenden, jiddisch schreibenden Autor wichtig, ein Germanistik-Studium in Wien zu absolvieren, um als Literat ernst genommen zu werden? Josef Burg selbst betont vehement, dass es bei seinem Studium der Germanistik immer um das Jiddische ging. Josef Burgs Erzählungen aus der Wiener Zeit zeigen eine bedrohliche Atmosphäre der Gleichgültigkeit der WienerInnen, eine Flucht in die Welt von Gestern, aber auch die Ablehnung, die dem Jiddischen in assimilierten Kreisen entgegen gebracht wurde, wird thematisiert. Die Oberfläche der Wiener Gemütlichkeit scheint zwar immer wieder durch Ereignisse von Außen bedroht, ist jedoch hartnäckiger als vermutet. 1938 wird Josef Burg klar, dass er Wien schnell verlassen muss. In seinem Werk finden sich Erinnerungen an Abschiedsbesuche bei jiddischen Schriftstellern in Wien. Über Prag kehrt er nach Czernowitz zurück. Der Lauf der Geschichte macht aus dem Czernowitzer Josef Burg einen sowjetischen Bürger. In der Sowjetunion unterrichtet der jiddische Dichter unter anderem Volksdeutsche in der deutschen Sprache. Der Beruf des Lehrers liegt ihm, wie aus unterschiedlichem Quellenmaterial hervorgeht. Diese Tätigkeit erlaubt Burg immer wieder, seine eigene kulturelle Herkunft neu zu verhandeln. 1959 kehrt er nach Czernowitz zurück, wo er bis zum Ende seines Lebens bleibt. Eine Lektüre von Josef Burgs Biographie kann die divergenten politischen, kulturellen und historischen Räume, die dieser Autor bewohnte, als einen literarischen Raum lesbar machen. Die Nostalgie für die Habsburger Zeit, die in vielen Erzählungen mitschwingt, wurde Josef Burg in der Sowjetunion oft zum Vorwurf gemacht und stand einer Rezeption seiner Werke im Weg. Die Rezeption von Josef Burgs Werken im deutschsprachigen Raum betrachtete man in sowjetischen Jiddisch-Kreisen mit Skepsis. Die Nostalgie für eine Welt von Gestern ist den Werken Josef Burgs eingeschrieben, diese Welt von Gestern ist aber immer eine andere, gesehen von dem Heute des Schreibenden aus: So kann die Nostalgie für die multikulturelle Habsburger Monarchie neben einer Nostalgie für das fromme jüdische Schtetl stehen. Beide sind Ausdruck des gleichen Bedürfnisses, sich in Zeiten von Kriegen, Machtverschiebungen und auseinanderbrechenden Lebenswelten identitär zu verankern. Bis zuletzt betonte Josef Burg, dass es Reminiszenzen an die altösterreichische Tradition seien, die ihn in Czernowitz bleiben ließen. Wie aus der Erzählung A vilde evleh hervorgeht, war es ihm ein Bedürfnis, das Jiddische an jüngere Generationen weiterzugeben. Das Schreiben in jiddischer Sprache machte Josef Burg in der Czernowitzer Literaturgeschichte zu einem Außenseiter, zugleich sind seine Erzählungen Teil der jiddischen Weltliteratur, und in diesem Kontext gilt es, den Autor wieder zu entdecken. So lange es junge Menschen gibt, die — wie in der Burgschen Erzählung - in Kellern, Archiven und Nachlässen forschen, ist die jiddische Literatur nicht vergessen. Raphaela Kitzmantel liefert mit ihrem Buch einen wichtigen Beitrag gegen das Vergessen und macht Teile des Werks Josef Burgs über den Umweg der Übersetzung für ein deutschsprachiges Publikum lesbar. Marianne Windsperger Raphaela Kitzmantel: Die jiddische Welt von Gestern. Josef Burg und Czernowitz. Wien: Mandelbaum 2012. 180 S. Euro 19,90