OCR
sich mit „Vertreibung“ nach dem und „als Folge des 2. Weltkriegs“ auseinanderzusetzen. Bei den Deutschbüchern gibt es allerdings auch erfreuliche Gegenbeispiele, etwa „Literatur entdecken“ (2010) oder „Stichwort Literatur“ (2011), in denen Exilbiografien dargestellt sind, auf Probleme und Konflikte der und zwischen Exilierten eingegangen, die politisch-weltanschauliche Dimension von Flucht und Vertreibung nicht ausgeklammert wird und Verweise aufaktuelle Anstrengungen und Forschungsergebnisse gemacht werden, z.B. auf den Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil. Allen gemein ist allerdings eine gewisse Ungenauigkeit gegenüber den Spezifika des österreichischen Exils, und dass wichtige Aspekte da und dort unterbelichtet bleiben (Exil nach 1945, Verlust der Sprache, künstlerische Vielfalt...) - erst eine Synthese der besten vier Bücher brächte ein annehmbares Ergebnis. Es ist sicherlich kein Geheimnis, dass das Terrain Schule umkämpft ist, einerseits in seiner Gesamtstruktur und seinem selektiven Aufbau, andererseits entlang von ideologischen Motiven (immer noch haben LehrerInnen die Wahl zwischen Geschichtebüchern, die entweder den Austrofaschismus oder den „Ständestaat“ thematisieren). Die jahrzehntelange Kontroverse rund um die Verankerung von politischer Bildung in den Lehrplänen zeigt dies deutlich. Trotzdem könnten einige Verbesserungen erreicht werden, vor allem was die Mobilität von verdienter, jahrzehntelanger Exilforschung hinein in Ausbildungsstätten und Institutionen betrifft. Erstens müssten LehrerInnen bereits in der Ausbildung mit dem Exil konfrontiert werden. Im aktuellen Vorlesungsverzeichnis der Universität Wien gibt es z.B. nur eine einzige Lehrveranstaltung im Wahlbereich, in der angehende LehrerInnen unter Umständen eine Gelegenheit der Auseinandersetzung finden. Dies liegt vor allem an der fehlenden universitären Implementierung von Exilforschung in Österreich. Es gibt keine einzige Professur oder Forschungsstelle, die sich mit dem Exil auseinandersetzt, Exilforschung wird bekannterweise außeruniversitär erledigt, damit ist ein Rückfluss von Wissen in die Lehre und an JungwissenschafterInnen von Einzelinitiativen abhängig, die zwar stattfinden, insgesamt aber marginal bleiben. Zweitens müssten adäquate Lehrmaterialien für LehrerInnen und SchülerInnen zu Verfügung gestellt werden. Das Exil sollte in seinem historisch-politischen Kontext dargestellt werden, vorgreifend und über 1945 hinausgehend, bis hin zu aktuellen Exilbewegungen. Eine übersichtliche Zusammenfassung, die auch didaktischen Ansprüchen genügt, fehlt bisher noch zur Gänze. Zu beiden Ansätzen gibt es momentan in der Theodor Kramer Gesellschaft Überlegungen. Unter dem Arbeitstitel „Exildidaktik“ arbeitet eine kleine Projektgruppe an für LehrerInnen und SchülerInnen leicht zugänglichen Materialien, die eine Überblicksdarstellung über das Exil mit literarischen Besprechungen von AutorInnen verbinden. Eine Professur für Exilforschung ist in Hinblick auf harte Austeritätszugriffe im Wissenschaftsbudget ungleich schwieriger, eine private Finanzierung einer solchen eine erste Überlegung. Anmerkungen 1 Johann Holzner: Exilliteratur im österreichischen Schulbuch. In: Osterreicher im Exil 1934 bis 1945. Protokoll des internationalen Symposiums zur Erforschung des österreichischen Exils von 1934 bis 1945. Hg: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur. Österreichischer Bundesverlag, Wien 1977. 2 Josef Donnerberg, Alfred Bauer u.a.: Zugänge. Eine Literaturkunde. Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag 1998. 3 Christian Schacherreiter, Ulrike Schacherreiter: Das neue Literaturbuch. 65 Fenster zur Literatur. Linz: Veritas 2011. 4 Ebd., 252ff. 5 J. Donnerberg, A. Bauer u.a., wie Anm. 2. 6 Robert Killinger: Literaturkunde. Wien: ÖBV 2013 7 Chr. Schacherreiter, U. Schacherreiter, wie Anm. 3, 296. Darüber diskutieren erstmals Fritz Hausjell (Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung/öge), Konstantin Kaiser, Ilse Korotin (FrauenAG in der öge/biografiA), Vladimir Vertlib (Schrifsteller) am 10. April 2013 im Republikanischen Club Neues Österreich. Den Anstoß dazu gab die Literatur-Nobelpreisträgerin und unentwegt auch für das Werk Theodor Kramers eintretende Herta Müller, indem sie 2011 in einem Offenen Brief an die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ein „Museum des Exils“ forderte. Sie schrieb u.a.: Heutzutage gibt es viele unterschiedliche Zweige der Exilforschung, aber es gibt kein Zentrum, in dem sich anschaulich die heterogenen Erfahrungen des Exils als Teil der deutschen Geschichte zeigen lassen. Daran anschließend fragten sich die Teilnehmer der Podiumsdiskussion in Wien: War Wien nicht nur die Stadt mit der größten jüdischen Bevölkerung im deutschen Sprachraum, ist sie nicht auch die Stadt, aus der die meisten Menschen von 1934 an geflüchtet sind? Sollte hier nicht eine Stätte, die dem Exil gewidmet ist, errichtet werden? 6 _ ZWISCHENWELT An der Diskussion beteiligten sich viele bekannte österreichische ExilforscherInnen. Schnell wurde man sich über drei Dinge einig. Erstens darüber, daß es noch um keine Diskussion über die Realisierbarkeit des Projekts gehe, sondern darum, die Idee und die daraus entspringende Forderung überhaupt erst zu durchdenken und bekannt zu machen. Zweitens wurde die Vorstellung eines bloß virtuellen Museums des Exils einhellig zurückgewiesen. Gerade weil das Exil aufgrund der Vertreibung in Wien nur virtuell vorhanden ist, muß das Museum ein Ort sein, den man aufsuchen kann, wo man mit haptisch Faßbarem konfrontiert wird und die Möglichkeit für Ausstellungen, Vorträge, Lesungen hat. Drittens herrschte Übereinstimmung, daß es sich, wenn schon, um ein Haus des Exils handeln solle, einen Ort der Begegnung und des Disputs, einen Ort auch, an dem Dokumente und Nachlässe des Exils gesammelt und präsentiert werden könnten. Diskutiert wurde auch das Verhältnis zu aktuellen Exilen und zur Vorgeschichte des Exils und über die notwendige Unterscheidung zwischen Exil und Migration. — Ein Anfang möglicherweise. — K.K.