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Ich kehrte aus den Ferien zurück hatte am Rhein wilde Kirschen gegessen eine andere Studentin (die Deutsch sprach) vertraute dich mir an. Sie fand deine Bedürfnisse zu belastend und bat mich, dich zu übernehmen - ein Geschenk. Ich freute mich auf meine wöchentlichen Besuche in deiner magischen Bibliothek. Du vertrautest mir deine Lebensgeschichte an du, ein Jude, verließest Deutschland in den Dreißigern. Du kamst nach England und wurdest interniert, „Isle of Man“. Der Krieg brach aus. Befreit, fasstest du in London Fuß. Stephen Spender, liebenswürdig und ebenfalls ein Dichter, Lud dich zu Zuckermais, deiner Leibspeise ein. Bei deinem Doktor in Hampstead trafst du auf den alten und gebrechlichen Sigmund Freud. Du verliebtest dich in eine jüngere Frau. Es ging nicht gut. Du warst traurig. Du last mir deine Gedichte vor die immer in deutscher Sprache waren Tiefempfundene Ihemen stilistisch einfach umgesetzt wie Volkslieder für jedermann. Ich glaube du hattest in Deutschland veröffentlicht. Es war schwer in England. Deine Gedichte kamen dir nie auf Englisch in den Sinn. Übersetzt verloren sie ihren Charakter. Ich wünsche ich könnte mich jetzt an sie erinnern. Sie waren chrlich geschrieben von einem leidenschaftlichen Menschen. Du erzähltest mir, dass du, als du jung warst, Medizin studieren wolltest Aber deine Hände waren zu unbeholfen um ein Skalpell zu führen. Meine Mitstudenten fanden dich seltsam, sogar unliebenswürdig. Sie konnten sich nicht vorstellen warum ich meine Zeit mit dir verbrachte. Eines Abends warst du verschwunden. Man sagte mir, du seiest im Krankenhaus Ein Nervenzusammenbruch. Es war Herbst. An einem Wochenende nahm ich den Zug. Auf halbem Weg nach London lag die Nervenheilanstalt. Das riesige gotische Gebäude stand in dunklem Gelände. Die gewölbte Eingangshalle war von grotesken Wandmalereien überzogen Hieronymus Bosch trifft auf Edgar Alan Poe. Deine Krankenstation war weiter oben. Du mit all den einsamen Menschen Trauriger und langsamer denn je. Dein Bett lag an einem großen Fenster. „Ich muss nach unten umziehen“, sagtest du, „Diese Höhe ängstigt mich.“ 22 __ ZWISCHENWELT Wir stiegen hinunter in den Garten. „Ich werde hier zum Körbeflechten angehalten“, sagtest du verzweifelt. „Ich kann's aber nicht!“ und strecktest deine plumpen Hände aus, Seufzend: „Sie haben mich immer von allem abgehalten.“ Es war wie „Letztes Jahr in Marienbad“. Bevor ich ging, flehte ich eine Schwester an, dir zu erlauben, ins Erdgeschoß umzuzichen. An diesem grauen Nachmittag wartend auf den Zug zurück durch die liebliche Landschaft rauchte ich zu viele Zigaretten Überdachte den Besuch... Geisteskrankheit... Ich erzählte meinen Eltern nie wo ich gewesen war. Mein Vater war ziemlich verärgert über die Juden wegen diesem ganzen Jesus-Zeugs. Von uns wurde erwartet, dass unsere Köpfe unsere Herzen regierten und vor allem keinen Aufstand zu machen. Große Jungens weinen nicht. Später — als sie dich rausgelassen hatten — Und du wieder in deiner Unterkunft warst — ein ruhiges Vorstadthaus — besuchte ich dich dort. Die zugezogenen Vorhänge leuchteten im Licht des Nachmittags. Ein paar verschrumpelte Äpfel lagen in einer Schale Zwar rostrot und essbar aber kümmerlich. Das war das letzte Mal, dass ich dich sah. Ich zog nach London. Ich hörte, dass Freunde dir halfen nach Hause zurückzukehren. Jenes Buch mit deinen Gedichten Schmal mit einem matt-dunkelroten merkwürdigen Plastikumschlag auf Deutsch und in Deutschland gedruckt war eines der Bücher das zusammen mit Bertrand Russell Sartre, Camus und Robert Graves verloren ging, als meine Teckistenbibliothek bei einem meiner vielen Umzüge von ‚bedsit‘ zu ‚bedsit‘ gestohlen wurde. Später (viel später) in einem anderen Zimmer erhielt ich einen schwarzgeränderten Brief mit deutscher Briefmarke. Du warst tot. Es tut mir leid, dass ich nicht Zu deiner Beerdigung gefahren bin. Viel später - und du wirst das nicht glauben — du - der du nur meine Hand geschüttelt hattest — machtest meinen Liebhaber eifersüchtig (obwohl du längst weg warst, als er in mein Leben trat) und du sogar schon tot warst. Übersetzt von Ursula Burmeister, Oktober 2012