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Ursula Burmeister Durch Mardijahs Gedicht „Mein erster Dichter“ hörte ich zum ersten Mal von Theodor Kramer. Mardijah erzählte mir, wie und wo sie ihn getroffen hatte. Als Mardijah mich bat, ihr Gedicht zu übersetzen, fand ich heraus, dass es viel schwieriger war, als ich zunächst angenommen hatte. Ich hatte zwar in meinem Leben viel übersetzt, aber nie Gedichte. Das war eine Herausforderung. Vieles scheint unübersetzbar zu sein und klingt nicht „richtig“ in der Übersetzung. Es ist fast so, als wenn man eine dritte Sprache finden muss — irgendwo zwischen dem Englischen und dem Deutschen. Ungefähr zur gleichen Zeit bereitete ich eine Kunst-Installation für eine Ausstellung vor. Ich hatte vor, etwas über „Feuer“ zu machen, da wir hier im letzten Jahr mehrere riesige Feuersbrünste hatten. Während ich an meiner Installation arbeitete, ging mir ‘Theodor Kramer nicht aus dem Sinn. Ich dachte an seine verbrannten Biicher, die schwarzen Ascheflocken seiner Gedichte. Seine zu Vögeln gefalteten Gedichte sind in einer japanischen Falttechnik („Origami“) gefaltet. Ein japanischer Mythos sagt, dass man einen Wunsch frei hat, wenn man 1000 Kraniche gefaltet hat. Seine Gedichte — die meisten in seiner Handschrift — tragen ihn nun in die Welt. Als Materialien verwendete ich: Japanische alte Seide (Obi), verschiedene Papiere, Erdpigmente, Charcoal, Tinte, Sketch, Gedichte. Mein Text zur Ausstellung lautete in deutscher Übersetzung: Baumgeflüster — der verbrannte Baum Die Feuer im letzten Jahr verbrannten Bäume Einer von ihnen stürzte in seiner ganzen Länge um, schwelte tagelang von innen Bis nur noch eine längliche schwarze Form auf dem Boden übrig war Mein Wanderweg führt an ihm vorbei ich denke an andere Feuer Campfeuer Bücherfeuer Gedichtfetzen schwarzes Geflüster Feuergeflüster Baumgeflüster Mardijah erzählte mir von einem fast vergessenen österreichischen Dichter, einem jüdischen Emigranten in England. Er war Bibliothekar in ihrer Kunstschule gewesen. Seine Bücher wurden verbrannt. Er sagte, sein Herz sei Asche. („Herz aus Asche“). Sein Name war Theodor Kramer. Er starb vor vielen Jahren (1958). In, um und iiber dem verbrannten Baum: Gefliister von neuem Wachstum Die „fliegenden Gedichte“ stammen von Theodor Kramer und Mardijah Simpson. Die Gruppenausstellung unter dem Titel Intreeguing (ein Wortspiel mit tree“) und dem Untertitel A celebration of trees in painting, natural dyes, adornment & song wurde in der June Marriot Gallery, Central Craft, next to Araluen Centre, dem Kunstzentrum in Alice Springs, Australien, gezeigt. Beteiligt waren vier KiinstlerInnen, die ihre Arbeiten zum Thema „Baum“ (Malerei, Kleidung, Schmuck und Installation) vom 12. bis 29. Oktober 2012 zeigten. Ursula Burmeister, geboren in China, aufgewachsen in Deutschland, lebt und arbeitet als freischaffende Künstlerin in der zentralaustralischen Wüste in der Nähe der Stadt Alice Springs. Studierte in Hamburg Erziehungswissenschaften, Chinesisch und Japanisch und absolvierte die Kunsthochschule in Bremen. Mardijah Simpson, geboren in England, studierte an der Guildford Art School, wo sie Theodor Kramer kennen lernte. 1970 Emigration mit ihrem Mann und Sohn nach Australien, Geburt von fünf Töchtern. Mitarbeiterin in Sozialarbeitsprojekten mit Flüchtlingen, älteren Menschen und jugendlichen MigrantInnen. 1996 Umzug nach Alice Springs in Zentralaustralien, Kooperation mit einer Aboriginal-Organisation, tätig in Bildungsprojekten für jugendliche UreinwohnerInnen. Es folgten die Absolvierung eines vier-jährigen Visual Arts degree course, die Beteiligung an einer AutorInnenVereinigung und freie Publikationstätigkeit. April 2013 23