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Der Ort eu topos: der gute Ort — ou topos: kein Ort Ein Flugzeug zeichnet eine Linie ins leere Weiß. Woher? und Wohin? Oktoberwolken blass am Horizont. Das Dunkel fällt über uns früher als sonst. Hoffnung? Was soll dieses bodenlose Fass. Ist doch alles an seinem Ort. Die emsigen Ameisen sind an ihrem Ort, schleppen Lasten größere als ihr Leib, und der Fuß eines Menschen, fröhlich und gutgelaunt, zertritt sie und ist auch an seinem Ort. Die Mausefalle ist es und das Mäuschen, sattgefressen sich ins Freie windend, ist es auch. Die Fledermäuse sind es, lautlose Segler im Dunkel verschlingend Unmassen von Insekten, sie und die Verschlungenen, beide. Die Welt ändert sich ja nicht nur immerfort, sie besteht auch. Ein jeder Augenblick besteht für einen Augenblick, jagend und gejagt, versprechend und zerstreut, hält deinen überwältigten Atem an und verwirft dich, stolz und lächerlich, baut auf und zertrümmert, und maltevor kurzem einen Sonnenuntergang, du wurdestseiner nicht satt: gehört denn der Hunger nach ihm nicht auch dazu? Ja, auch Keinort dürfte wunderschön sein. Ein Achtundachtzigjähriger sagt einer Achtzigjährigen beim Aufwachen Ehe du kamst, macht ich mir auf dich keinen Reim und als du kamst, war ich beileib nicht erpicht. Und jetzt, wenn du neben mir liegst, bin ich daheim und ohne dich bin ich nicht. Friedrich Lobe in Israel Friedrich Lobe (1889 — 1958) war in den zwanziger und dreißiger Jahren in Düsseldorf und Berlin an diversen Bühnen als Schauspieler, Regissseur und Direktor tätig. Als Friedrich Löbenstein in Frankfurt am Main geboren, stammte er aus einer religiösen Familie, er blieb jedoch nicht religiös und war trotz seiner Flucht nach Palästina kein Zionist. Bis 1950 führte er am Tel Aviver Arbeitertheater Ohel bei rund 30 Produktionen mit Stücken aus der Weltliteratur von Georg Büchner, Richard Duschinsky, Klabund, Max Brod, Schiller, Hemingway, Shaw, Priestley Regie. Übersetzt wurden die Dramen unter anderen von Avigdor Hameiri, Nathan Alterman, Avraham Shlonski und Lea Goldberg. Lobe selbst schrieb ebenfalls Stücke, darunter den zeithistorischen Einakter „Flüchtlinge“. 1950 gingernach Wien, wo seinezweite Frau MiraLobe einebekannte Kinderbuchautorin wurde. Im Epilog beschreibt Schirrmeister 26 _ ZWISCHENWELT What ever dies was not mixed equally John Donne Was noch dir sagen Warum noch sagen Dieser Lärm der Wörter wenn wir beide ich in dir du in mir ineinandervermengt sind Bis hier ist es wahr Bis hierher wahr und von da an gelogen? Von hier an gerade und von da an verbogen? Wie die Schlange sich schält will er neu leben. Ist es ein Nehmen? Ist es Geben? Ist das Schöne belebend? Sind Schlund seine Augen? Will es ihn klären oder aussaugen? Wie kommt er im Zweifel zurecht an beiden? Ist Zweifel Lust? Lust am Leiden? Verzweigen sich beide ein Mal in Einem? Und sei es ganz luftig von Niemand mit Keinem? Messer und Brot sind Messer UND Brot. Tod ist im Leben. Ist Leben im Tod? Von Tuvia Riibner, Trager des Theodor Kramer Preises fiir Schreiben im Widerstand und im Exil 2008, sind zuletzt in deutscher Sprache die Gedichtbände „Spätes Lob der Schönheit“ (mit einem Nachwort von Konstantin Kaiser, 2010) und „Lichtschatten“ (2011) bei Rimbaud in Aachen erschienen. 2012 erhielt er den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. auch kurz die Wiener Jahre, in denen Lobe im Neuen Theater an der Scala Regie führte. Hermann Polz erinnerte sich damals an Lobe als „Iypus des hochgebildeten, gütigen und weisen alten Juden.“ Sebastian Schirrmeister, der ein Jahr in Israel forschte, hat in zahlreichen „archivalischen Grabungen“ in israelischen Archiven alle verfügbaren Quellen ausgewertet. Leider konnte er auf keinen persönlichen Nachlass Lobes und auf nur wenig Sckundärliteratur zurückgreifen. Er hat eine überaus verdienstvolle und sorgfältig gearbeitete Studie über einen wichtigen Abschnitt israelischer Theatergeschichte verfasst. EA. Sebastian Schirrmeister: Das Gastspiel. Friedrich Lobe und das hebräische Theater 1933-1945. Berlin: Neofelis 2012. 172 Seiten. 18 Euro.