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Um Isidore Isou drehte sich ab 1947 vieles in der Pariser Gegenkultur. Seine Bücher, bald seine Filme, sollten von der rive gauche bis in die USA tatsächlich ganze Generationen von Avantgarden prägen, beeinflussen. So schreibt Stan Brakhage über Isou: Sein Traite war, seit ich ihn kennengelernt habe, ohne Zweifel eine Inspiration für mein Filmemachen, und er war es für das vieler unabhängiger Filmemacher der USA." Die Buchstaben- und Lautgedichte Isidor Isous inspirierten natürlich auch die Autoren der Wiener Gruppe. Obwohl diese mit dem Lautdichten rund zehn Jahre nach den Lettristen begannen, erzählt Gerhard Rühm, der immer alles selber erfunden haben will: Ich habe ja 1952 schon Lautgedichte gemacht, und damals ist auch in Paris die Gruppe um Isidore Isou, die Letiristen, gerade aufgekommen ...' Eines zumindest hatten die Wiener Gruppe und die SituationistInnen - also zunächst jene Lettristen um Guy Debord, die sich abgespalten hatten, um etwas zu gründen, das noch revolutionärer, interdisziplinär und allumfassend war — gemein, nämlich ihr Schweigen zu den Naziverbrechen. Wie war noch einmal die Bemerkung Robert Schindels zur sogenannten Wiener Avantgarde? Die „HJ-Gruppe, die dann später als Wiener Gruppe aufgetreten ist“ „1? Und Konstantin Kaiser spricht in diesem Zusammenhang wiederum von Anästhesie und Empfindungslosigkeit: Bemerkenswert jedoch ist die in allen Manifestationen der Wiener Gruppe (im engeren Sinn) zu registrierende fast vollständige Anästhesie, Empfindungslosigkeit gegenüber dem unter der Herrschaft der Nationalsozialisten erst wenige Jahre zuvor Geschehenen, gegenüber der Vertreibung und Deportation von mehr als zehn Prozent der Wiener Bevölkerung, gegenüber Arisierung, Ausgrenzung, Massenmord.' Diese Empfindungslosigkeit drückte sich auch in Gerhard Rühms Bonmot über Paul Celan aus, in dem er dessen Dichtung als „symbolistisch verpanschten aufguss“'* beschrieb. Der Messias Doch wer war Isidor Isou, der von sich behauptete, der „Messias“ der Moderne zu sein? Sein teils autobiographischer Roman aus dem Jahr 1947 heißt nicht umsonst L’Agrégation d’un nom et d’un messie (Zulassung eines Namens und eines Messias). Ioan Isidore Goldstein, von seiner Mutter Isou gerufen, wurde am 29. Jänner 1925 in Botosani, einer Stadt in Rumänien an der Grenze zwischen Südbukowina und Moldawien, geboren. Der Vater besaß mehrere Restaurants", der kleine Ioan dürfte bis zum Jahr 1940 ein cher behütetes Leben geführt haben. Ab Dezember 1940 traten im mit Nazideutschland verbündeten Königreich Rumänien des Diktators Antonescu eine Reihe antisemitischer Gesetze in Kraft. Dazu gehörte, dass jüdische Männer im Alter zwischen 15 und 70 zur Zwangsarbeit gezwungen wurden, auch Ioan, der gerade die französische Poesie für sich entdeckt hatte und seine ersten Gedichte und Texte schrieb. Aber seit einem Jahr hat man den Juden Isidore Isou zur Arbeit für die Deutschen verpflichtet. Ich mujfste mit tausend anderen meinesgleichen Wege für deutsche Panzer freiräumen oder Flugabwehrgräben ausheben. Von morgens bis abends, bis ich zerschlagen zurückkam (ich pries das Glück, zu jung für die Ostfront zu sein, wo man Befestigungen anlegte). 38 ZWISCHENWELT Ich hatte nur noch selten die Gelegenheit zum Schreiben, außer wenn ich heimlich das Lager verließ, wo ich unter ständiger Bedrohung, verhaftet und besirafi zu werden, den Aufseher schmierte.'‘ Die Juden und Jüdinnen von Botosani und Umgebung hatten, vorsichtig ausgedrückt, viel Glück in dieser schrecklichen Zeit. Zwar wussten alle, dass sie jederzeit deportiert werden konnten, doch geschah dies nicht. Von den ca. 11.000 Juden und Jüdinnen aus der Stadt und jenen 11.000, die aus dem Umland in die Stadt umgesiedelt worden waren, sicher in Vorbereitung der geplanten Deportation, waren schließlich und ausschließlich einige Dutzend als KommunistInnen Verdächtigte, deportiert worden.'” Die Eiserne Garde (Legion des Erzengels Michael), jene faschistische und antisemitische Bewegung, die seit Sommer 1940 an der Macht war und auch von Mircea Eliade unterstützt wurde, übte in der Stadt einen täglichen Terror gegen die Juden und Jüdinnen aus. Da der junge Ioan ein Linker war — zuerst Mitglied des im Untergrund arbeitenden Hashomer Hatzair, deren AnführerInnen in Rumänien hingerichtet wurden, und bald der kommunistischen Jugend — und somit gefährdet war, verbrannte die Mutter einige seiner Schriften und Bücher. Es sollte im Falle einer Hausdurchsuchung kein belastendes Material gefunden werden. Todesangst, Gewalt und Erniedrigungen prägten den Alltag. In diesem Kontext entwickelte Isidore Isou seinen Lebensplan, entdeckte er seine Berufung, begriff er für sich, was seine Aufgabe wäre, wenn er überlebe. Ringsum schlug der Krieg jeden Tag, jede Nacht ununterbrochen zu. Es war schrecklich, ein so unbeschwertes Leben zwischen den Büchern zu führen. Mit welchem Recht stahl ich für meine Entdeckung das Leiden aller Juden, meiner Eltern, die man auf der Welt massakrierte? Für jedes Staunen über eine Erfindung, die ich an einem Tag gemacht habe, starben Millionen meiner jüdischen Brüder an Hunger, Durst, bei den Märschen, in den Todeskammern erstickt, mit zersplittertem Schädel unter den Hacken von Monstern, all meine Brüder für mich ermordet. Gott metzelte tausende Musiker in Ebensee oder in den Krakauer Ghettos nieder, um in mir ihre Seele zu versenken und aus mir den Musiker zu machen: den größten. Gott erdrosselte tausende Seelen von Philosophen, um mich zu erschaffen: den Philosophen. Für einen Messias hat mein Volk furchtbar teuer bezahlt. Ich mufte all das wert sein, mich jedem Opfer würdig erweisen." Die Geburt der Lettre Am 7. April 1944 befreite die Rote Armee die Stadt. Die jüdische Gemeinde stellte zu diesem Zeitpunkt die einzige Ordnungskraft und die Verwaltung, hatten die rumänischen Behörden doch schon einige Zeit zuvor die Stadt Huchtartig verlassen. Inmitten dieses Geschehens schreibt Ioan Gedichte, Theaterstücke, Essays und liest von Marx über Keyserling bis Proust alles, was er in die Hände bekommt. Auch fasst er den Plan, nach Paris zu gehen. Er schafft es schließlich nach einer langen Odyssce über Italien - in Marseille wird er eine Zeit lang als „Illegaler“ eingesperrt - nach Paris, wo er am 23. August 1945 eintrifft. Im Koffer hat er das schon 1942 entwickelte Konzept für die neue Poesie, entstanden mitten in der Zeit der Verfolgung und Vernichtung: Der Lettrismus ist eine Idee, die man durch ihren Ruf hinausposaunen kann. [...] Es gibt bereits lettristische Keime: Die Wörter ohne Sinn; die Worte mit verborgener Bedeutung, die man für ihre Buchstaben hält; die Onomatopöien [Lautmalerein]. [...] Lettristisch