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Theoretiker Ernst Fischer (1899 — 1972), in der Zwischenkriegszeit noch am linken Rand der Sozialdemokratie angesiedelt, war im Februar 1934 der Verhaftung entkommen und über Prag nach Moskau geflohen, wo er aufdie kommunistische Linie einschwenkte und alsbald ins Zentralkomitee der KPÖ im Exil aufgenommen wurde. Er bekleidete in der ersten Nachkriegsregierung von Mai bis November 1945 das Amt des Unterrichtsministers. Zwar konnte er in dieser kurzen Zeit nur geringe Akzente setzen, er bleibt aber der einzige Kunst-Minister in der Zweiten Republik, der zahlreiche kunsttheoretische Schriften verfasste.” Nach ihm jedoch stellte bis 1970 die konservative ÖVP den für die Kunst zuständigen Unterrichtsminister. Ernst Fischer übte anlässlich der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ heftige Kritik am „Panzerkommunismus“ und wurde 1969 aus der KPÖ ausgeschlossen. Der andere war Viktor Matejka (1901 - 1993), der als Linkskatholik 1934 zum geschäftsführenden Obmann der Volkshochschule im Volksheim Ottakring bestellt worden war, dort aber bereits zwei Jahre später vom Wiener Bürgermeister Richard Schmitz wieder abberufen wurde und bis 1938 als Bildungsreferent der Arbeiterkammer fungierte. 1938 wurde er gemeinsam mit Schmitz im „Prominenten-Iransport“ nach Dachau deportiert, danach bis 1944 nach Flossenbürg. Von 1945 bis 1949 agierte er in Wien als KPÖ-Stadtrat für Kultur und Volksbildung und ist als solcher bis heute eine „legendäre Figur“. Matejka war der einzige Politiker dieser Zeit, der die österreichischen Exilanten explizit zur Rückkehr aufforderte. So erschien im November 1945 in der New Yorker Exilzeitschrift Austro-American Tribune sein offener Brief An die österreichischen Künstler und Wissenschaftler in den U.S.A. Darin schildert Matejka die Aufbauleistungen, die sich auch schon auf kulturellem Gebiet bemerkbar machten. Etliche ‘Theater, Kinos, Cabarets und Varietes hatten den Betrieb wieder aufgenommen. Zwar gab es in der Buchproduktion noch Probleme mit dem Papier-Nachschub, doch rasch hatte sich eine Vielzahl neuer Verlage konstituiert. Der Vollständigkeit halber sei auch auf den Aufruf von Willi Forst — der im NS-Film eine wichtige Rolle gespielt hatte — an die österreichischen Film-Schaffenden im Exil verwiesen, doch dieser hatte eher den Charakter einer Alibiaktion zum eigenen Vorteil.® Wie viele Exilanten auf den Aufruf Matejkas hin zurückgekommen sind, bleibt dahin gestellt — nachweisbar ist es etwa bei Oskar Kokoschka und Axl Leskoschek. Jedenfalls trat Matejka auch mit vielen exilierten Schriftstellern und anderen Künstlern in persönlichen Briefkontakt. In jedem Fall wäre eine Durchführung des Vorhabens aber im Inland auf hinhaltenden Widerstand gestoßen, denn die großen Verlage und Zeitschriften schlossen in der Programmgestaltung an die Zeit des Ständestaats an. Bereits Ende April 1945 beauftragte Matejka den Grafiker Theodor Slama mit der Konzeption und Leitung einer großen antifaschistischen Ausstellung. Nach mehrmaligen Verschiebungen wurde sie unter dem Titel „Niemals vergessen“ im Herbst 1946 im Wiener Künstlerhaus eröffnet. Diese Ausstellung verstand sich als Dialogangebot. 125.000 Einladungen wurden an registrierte Nationalsozialisten mit der Empfehlung verschickt, sich den Besuch der Ausstellungen und Vorträge bestätigen zu lassen, um den Beweis zu erbringen, sich den Argumenten der Ausstellung nicht verschlossen zu haben. Trotz etlicher Versuche konnte die Ausstellung in Graz nicht gezeigt werden. Im Dezember 1949 legte Matejka sein Amt zurück, denn ein Kommunist als Stadtrat, das durfte es im Kalten Krieg nicht mehr geben. Bis 1957 Mitglied des Zentralkomitees, trat er 1966 aus der KPÖ wieder aus. 48 _ ZWISCHENWELT Seiner umfassenden Kunstsammlung wurde 1982 in der Wiener Sezession eine eigene Ausstellung gewidmet.” Die bedeutendste kulturelle Zeitschrift der Nachkriegszeit hieß Plan, herausgegeben von Otto Basil und das ganz nach dem Vorbild der Fackelvon Karl Kraus. Das erste Heft war noch im März 1938 erschienen — der Grund war ein viel zu später Versuch des Ständestaats, aufkulturpolitischer Ebene eine Brücke zur verfolgten Linken zu schlagen —, wurde aber gleich nach der Auslieferung aus der Druckerei konfisziert. 1942 publizierte Basil zusammen mit dem Maler Rudolf Pointer einen illegalen Privatdruck. Von Oktober 1945 bis Jänner 1948 erschienen 18 Hefte des Plan, in denen sich zahlreiche Abbildungen von zeitgenössischen Künstlern finden, doch von den Rückkehrern wird fast ausschließlich Oskar Kokoschka erwähnt. Dieser rangierte beim NS-Regime in der Liste der „entarteten Künstler“ ganz oben, er Hüchtete über Prag nach England, wo er auch mit allegorischen Gemälden zum Zeitgeschehen hervortrat.!" Dennoch kehrte er 1946 auf Einladung Viktor Matejkas und trotz der soeben erlangten britischen Staatsbürgerschaft nach Wien zurück, doch seine Erwartungen wurden nicht erfüllt. Die erhoffte Professur an der Akademie der bildenden Künste am Schillerplatz wurde ihm nicht angeboten. Matejka bestellte bei ihm ein Gemälde, ein Porträt des Wiener Bürgermeisters Theodor Körner — das Bild hängt heute im Linzer Stadtmuseum, weil die Kulturbeamten der Stadt Wien es nach Matejkas Abgang dann doch nicht erwerben wollten. Die ersten großen Ausstellungen seiner Werke nach dem Krieg hatte er folgerichtig auch nicht in Wien, sondern in Ziirich und Basel. 1953 folgte der konsequente AntiNazi der Einladung des Salzburger Galeristen Friedrich Welz, der während der NS-Zeit einer der größten Kunst-“Ariseure“gewesen war, in Salzburg eine „Schule des Sehens“ aufzubauen. Gleichzeitig übersiedelte er in die Schweiz und nahm erst 1975 wieder die österreichische Staatsbürgerschaft an. Der in Österreich arrivierteste bildende Künster dieser Generation war Herbert Boeckl, der 1935 vom Ständestaat umworben die Professur für Allgemeine Malschule am Schillerplatz erhielt. Ab 1939 wurde er auf die Leitung des Abendaktes zurückgestuft. Zwar trat er 1941 der NSDAP bei, doch deren Ideologie hat er sich niemals zu eigen gemacht. Unmittelbar nach Ende der Kampfhandlungen wurde Boeckl von Ernst Fischer zum Rektor der Akademie berufen, wo es ihm gelang, zumindest ein paar entscheidende Weichenstellungen zu setzen.