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Der Bildhauer Fritz Wotruba war 1938 ohne zu zögern ins Exil in die Schweiz gegangen, dies weil er damals politisch der Sozialdemokratie nahe stand und weil seine Frau Marian Fleck über keinen ausreichenden „Ariernachweis“ verfügte. Schon im Exil begann sein Aufstieg zu einem Künstler von Weltrang. Auf Boeckls Wunsch hin schrieb Staatskanzler Karl Renner einen Brief an Wotruba, um ihn zur Rückkehr zu bewegen. Dem leistete der Künstler umgehend Folge und erhielt sofort eine Professur am Schillerplatz, womit er sich rasch wieder in Österreich etablieren konnte. Bereits 1947 erhielt er den Preis der Stadt Wien und 1955 den Großen Österreichischen Staatspreis, jeweils für Bildende Kunst. Zudem stellte ihm die Stadt Wien ein großes Atelier mit Gartenarcal im Prater zu Verfügung, wo er fernab der Universitätsbürokratie am Schillerplatz zu seiner vielleicht wichtigsten Aufgabe als Lehrer einer kommenden Generation fand. Sein wohl bedeutendster Absolvent ist Alfred Hrdlicka. Dessen Vater hatte als überzeugter Kommunist während der NS-Zeit Zwangsarbeit in der Strafkompanie der „Organisation Todt“ leisten müssen, der spätere Künstler selbst hatte sich 1944 dem Kriegsdienst entzogen und versteckt gehalten. In der Zweiten Republik blieb er seinen kommunistischen Idealen treu und wurde von der nicht nur künstlerisch interessierten Öffentlichkeit als wortgewaltiger Polemiker wahrgenommen. Dies auch in der Diskussion um das 1988 von ihm ausgeführte Mahnmal gegen Krieg und Faschismus auf dem Wiener Albertinaplatz. Dieses wurde nicht nur von der politischen Rechten massiv kritisiert, sondern auch von jüdischer Seite, da man in der Figur des „Straßenwaschenden Juden“ die Demütigung von 1938 nicht aufgearbeitet, sondern in die Gegenwart perpetuiert sah. Darüber hinaus setzten sich immer wieder Touristen auf den Rücken der menschlichen Skulptur, um sich fotografieren zu lassen. Dies wurde nach entsprechenden Protesten durch die Anbringung von stilisiertem Stacheldraht für die Zukunft verhindert. Zu Wotruba und Boeckl kam 1946 noch der Maler und Schriftsteller Albert Paris Gütersloh (1887 — 1973) als Epoche machender Lehrer an die Akademie. Gütersloh war von 1930 bis 1938 Professor an der Kunstgewerbeschule und von 1933 bis 1939 Mitglied der Wiener Secession gewesen. 1938 wurde er von einem erfolglosen Maler als „entartet“ denunziert, verlor daraufhin seine Stelle und erhielt 1940 sogar Berufsverbot. Von 1945 bis 1962 leitete er die Meisterschule für Malerei und einen Freskokurs an der Akademie. 1953/54 avancierte er zu deren Rektor und erhielt eine ordentliche Professur. Zu seinen weiteren Leistungen gehört die 1950 zusammen mit Josef Hoffmann erfolgte Gründung der Föderation moderner bildender Künstler Österreichs. Seine kunsthistorisch gesehen wichtigste Funktion war die des Präsidenten der österreichischen Sektion der Internationalen Künstlervereinigung Art-Club, die Anfang 1947 auf eine Initiative von Gustav K. Beck (1902 — 1983) hin gegründet wurde. Dies ging nicht ohne einen Eklat ab, wobei sich Boeckl und Wotruba vom Projekt wieder zurückzogen und als „Vaterfigur“ nur Gütersloh übrig blieb. Dem ersten leitenden Ausschuss gehörten neben Beck noch der Kunsthistoriker Otto Demus, die Maler Edgar Jeng, Carl Unger sowie Fritz Wotruba an. An weiteren aktiven Mitgliedern fanden sich der Schriftsteller und Herausgeber Otto Basil, die BildhauerInnen Wander Bertoni, Heinz Leinfellner, Maria Bilger und Susanne Wenger sowie die Maler Arnulf Neuwirth, Rudolf Pointner, Hans Fronius, Rudolf Hausner und Kurt Moldovan. Wander Bertoni erinnerte sich daran: „Im neugegründeten Art-Club traf man sich allabendlich, man freute sich auf die neuen Leute, die man taglich kennenlernte: zurückkehrende Emigranten, Überlebende aus ganz Europa und Personen aus den Besatzungsmächten. Es war für alle der Anfang, eine unbändige Lebensfreude verband uns.“ Die kurze Renaissance des Surrealismus Die in der Frühzeit wichtigste Figur war der aus dem Saarland zugewanderte Edgar Jené, der es 1940 vollbracht hatte, zusammen mit Otto Basil im Privatdruck Der Freund des Orients unangepasste Kunst zu publizieren. In der Aufbruchsphase der Nachkriegszeit gefiel sich Jene in der Rolle des „Andre Breton von Wien“. Seine Bibliothek umfasste die wichtige Literatur zum Surrealismus und sein Atelier am Althanplatz war ein beliebter Treffpunkt der Szene, hier verkehrte Anfang 1948 auch Paul Celan, bevor es ihn nach Paris weiter zog.'” Dort erklärte im selben Jahr kein Geringerer als Jean-Paul Sartre den Surrealismus als überkommene und daher tote Strömung in der Kunst. Jene spielte auch beim im Jänner 1947 gegründeten Art-Club eine wichtige Rolle.'? Dessen erste Ausstellung fand in den Räumlichkeiten der ehemaligen Neuen Galerie von Otto Kallir in der Grünangergasse 1 statt, der es 1938 noch geschafft hatte, seine Galerie nach New York zu verlagern und das auch noch überaus erfolgreich. Doch unmittelbar danach kam es zur Spaltung: Mit Jene an der Spitze zogen auch Otto Basil und der Maler Arnulf Neuwirth aus dem Art-Club mit dem Argument aus, dieser habe seine kosmopolitische Funktion bereits wieder eingebüßt und sei nur noch ein Konkurrenzunternehmen zu anderen Künstlervereinigungen. Die Ausgetretenen gestalteten im Februar 1948 unter dem Titel Die Farbe der Menschen ist Freiheit eine eigene Ausstellung, an der sich auch Paul Celan mit einer Installation beteiligte. All das fand in der von Leopold Wolfgang Rochowanski (1888 — 1961) gegriindeten Agathon Galerie statt. Dieser war schon in der Zwischenkriegszeit als Schriftsteller, Maler und Tänzer aufgefallen, den Krieg überlebte er zusammen mit seiner jüdischen Frau in Wien. Adolf Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann (1885 — 1957) nannte während der NS-Zeit eine schmucke Galerie auf der Ringstraße schräg gegenüber der Oper sein eigen. 1945 übergab Ernst Fischer diese Immobilie an Rochowanski, der dort ein weiteres Begegnungszentrum der künstlerischen Szene errichtete. Für die Gestaltung der Fassade wurde der Wiener Werkstätte-Architekt Josef Hofmann (1870 - 1956) engagiert, obwohl dieser 1938 den „Anschluss“ begrüßt und sich auch danach in mancherlei Weise an das NS-Regime anzubiedern versucht hatte. In der Agathon Galerie entstanden auch die jeweils in drei Nummern erschienene Zeitschrift Die schönen Künste und der Agathon-Almanach. Doch auch dieses engagierte Unternehmen schlitterte 1948 in die finanzielle Krise, 1951 kam ein in seiner Absurdität einmaliges Ende: Heinrich Hoffmann klagte auf die Rückgabe seines Eigentums — und ein österreichisches Gericht gab ihm Recht. Mit Jene als Wortführer war die künstlerische Debatte dieser Wiener Nachkriegszeit von einem Thema beherrscht — und das war der Surrealismus. Dieser war zwar in der internationalen Diskussion längst überholt, doch in Österreich gab es da offensichtlich einen Nachholbedarf. Dies wiederum war ein gewaltiges Handicap für eine ältere Generation von Künstlern im Exil, da diese Debatte im Österreich der 1930er-Jahre eben nicht stattgefunden hatte. Die Surrealismus-Debatte hatte 1948 ihren Höhe- und April 2013 49