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Wer es bis nach Amerika geschafft hatte, der kam wesentlich seltener nach Österreich zurück. Dazu gehörten die Maler Max Oppenheimer (1885 — 1954), Josef Floch (1895 — 1977), Friedrich Berzevicy-Pallavicini (1909 — 1989), Leo Glückselig (1914 — 2003), Maximilian Kopf (1892 — 1958), Tibor Gergely (1900 — 1978), Franz Lerch (1895 — 1977), Herbert Bayer (1900 — 1985) und der Bildhauer Egon Weiner (1906 — 1987). Der Dadaist Raoul Hausmann (1866 — 1971) blieb in Frankreich und der Buchillustrator Uriel Birnbaum (1894 — 1956) in den Niederlanden. Ein besonderer Fall ist der Maler Rudolph Carl von Ripper (1905 — 1960). Er wurde 1933 in Berlin verhaftet, von der Gestapo verhört, aber nach einigen Monaten des Landes verwiesen. Später kämpfte er im Spanischen Bürgerkrieg und diente ab 1941 in der amerikanischen Armee, wo er es zum hochdekorierten Offizier des Office of Strategic Servies brachte. Als solcher kehrte er nach Wien zuriick, wo er sich beim Art-Club engagierte, den er mit Geldern der CIA unterstiitzt haben diirfte", bis er in den 1950erJahren wieder in die USA und dann nach Mallorca übersiedelte. Spate Aufarbeitung Es wären hier noch sehr viel mehr Namen zu nennen: von KünstlerInnen, die zurückkehrten — oder auch nicht. Krieg und Verfolgung hatten viele Talente an ihrer Entwicklung behindert, viele Künstlerkarrieren und teilweise auf das Werk zerstört oder in aller Welt zerstreut. Erst in den 1970er-Jahren änderte sich unter Bundeskanzler Kreisky das kunstfeindliche Klima in Österreich. Sein Unterrichtsminister Fred Sinowatz unterstützte auch junge und unangepasste Künster, oft wurde er bei Vernissagen und sogar in den Ateliers der KünstlerInnen geschen. Langsam begann auch eine Aufarbeitung der geistigen Verluste. Zwar waren viele der zuvor genannten KünstlerInnen national und international vertreten, manch einem war sogar eine Werkretrospektive gewidmet doch eine generelle Aufarbeitung der NS-Kunstpolitik und deren Folge für alle als „entartet“ klassifizierten KünstlerInnen, ließ noch lange Zeit auf sich warten. Erst 1980 wurde eine erste umfassende Ausstellung unter dem Titel Die uns verließen. Österreichische Maler und Bildhauer der Emigration und Verfolgung im Künstlerhaus gezeigt. Es fällt auf, dass sich nicht die Akademie der Künste, sondern die kleinere Hochschule (heute Universität) für angewandte Kunst unter Rektor Oswald Oberhuber der Aufarbeitung wesentlich intensiver annahm. 1985 gestalteten Gabriele Koller, Gloria Withalm und Rektor Oswald Oberhuber die Ausstellung Die Vertreibung des Geistigen aus Österreich. Zur Kulturpolik des Nationalsozialismus. 1988 folgte die Ausstellung Zeitgeist wider den Zeitgeist. Das Unterrichtsministerium beauftragte 1993 den Künstler Peter Weibel und den Zeithistoriker Friedrich Stadler mit der Ausstellung 7he Cultural Exodus from Austria. Jan Tabor organisierte 1994 im Künstlerhaus die Schau Kunst und Diktatur. Im Jahr darauf konzentrierte sich Matthias Boeckl in der Kunsthalle Wien auf die vertriebenen Architekten und 1998 Anna Auer auf vertriebene Fotografen.' Bereits 1996 hatte die Österreichische Galerie die Ausstellung Emigrants and Exiles. A lost generation of Austrian Artists in America, 1920 — 1950 gezeigt."” Insbesondere das Jiidische Museum Wien zeigt ab Mitte der 1990er-Jahre zahlreiche Werkretrospektiven jüdischer KünstlerInnen, wobei v.a. G. Tobias Natter federführend wirkte. Andrea Winklbauer gestaltete 2008 die Ausstellung Moderne auf der Flucht. Besonders verdienstvoll sind auch Ausstellung und Katalog Moderne in dunkler Zeit von Günter Eisenhut und Peter Weibel in Graz. In den letzten Jahren geriet immer wieder die Nicht-Restitution von Bildern aus chemals jüdischem Besitz in die Schlagzeilen und wird es wohl auch noch weiterhin tun. Doch zumindest eines hat sich seit 1945 nachhaltig geändert: Wien hat heute mit dem Museumsquartier, dem Kunsthistorischen Museum, der Albertina, der Österreichischen Galerie im Belvedere, dem Kunstforum Bank Austria und dem Museum für Angewandte Kunst mehr Kunstmuseen als manch andere Metropole eines weit größeren Landes in Europa. Anmerkungen 1 Gert Kerschbaumer: Der Kalte Krieg gegen die Moderne, in: Ders., Karl Müller (Hg.): Begnadet für das Schöne. Der rot-weiß-rote Kulturkampf gegen die Moderne. Wien 1992, 185. 2 Gerhard Habarta: Frühere Verhältnisse. Kunst in Wien nach ‚45. Wien 1996, 62. 3 Habarta 1996, 70-74. 4 Ruth Beckermann: Der österreichische Heimatfilm. Eine Endlosschleife, in: Ilja Dürhammer, Pia Janke (Hg.): Die „österreichische“ nationalsozialistische Ästethik. Wien, Köln, Weimar 2003, 199-212. 5 Gerald Bast (Hg.): Kinetismus — eine bewegte Moderne (Katalog der Ausstellung „Dynamik! Kubismus, Futurismus, Kinetismus“). Wien u.a. 2011. Sowie: Die verlorene Moderne. Der Künstlerbund Hagen 1900-1938 (hg. von der Österreichischen Galerie). Wien 1993. Zwischen den Kriegen. Österreichische Künstler 1918- 1938 (hg. vom Leopold Museum). Wien 2007. 6 Siehe dazu: Peter Weibel, Günter Eisenhut (Hg.): Moderne in dunkler Zeit. Widerstand, Verfolgung und Exil steirischer Künstlerinnen und Künstler 1933-1945. Graz 2001. 7 Ernst Fischer: Von der Notwendigkeit der Kunst. Dresden 1959; Ders.: Kunst und Koexistenz. Beitrag zu einer modernen marxistischen Ästhetik. Reinbek bei Hamburg 1966; Ders.: Überlegungen zur Situation der Kunst und andere Essays. Zürich 1971. 8 Marcus G. Patka: Die Zeitschrift „Film“ und der Aufruf von Willi Forst an die Film-Exilanten zur vorübergehenden Rückkehr. In: ZW Nr. 1/2008, S. 71-76. 9 Siehe dazu: Viktor Matejka: Widerstand ist alles. Notizen eines Unorthodoxen. Wien 1983. Sowie: Franz Richard Reiter (Hg.): Wer war Viktor Matejka? Dokumente, Berichte, Analysen. Wien 1994; Christian H. Stifter: „Volksbildung mach ich wo immer...“ Viktor Matejka, 1901-1993. Beiträge und Dokumente zum österreichischen Humanisten, Kulturpolitiker, Publizisten, Büchermenschen, Volksbildner und Zeitzeugen Viktor Matejka. Wien 2007. 10 Vgl. Gloria Sultano, Patrick Werckner: Oskar Kokoschka. Kunst und Politik 1937-1950. Wien u.a. 2003. 11 Wander Bertoni im Gespräch mit Günter Eisenhut am 18.6.1999, Tonband im Eisenhut-Archiv, Neue Galerie Graz. 12 Peter Goßens, Marcus G. Patka (Hg.): Displaced. Paul Celan in Wien 1947/48. Frankfurt/M. 2001. 13 Wolfgang Denk (Hg.): Mythos Art Club. Der Aufbruch nach 1945 (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Kunsthalle Krems). Krems 2003. 14 Vgl. G. Tobias Natter: Phantastisches. Jüdisches in frühen Meisterwerken von Arik Brauer, Ernst Fuchs und Friedensreich Hundertwasser. München 2007. 15 Ein Kellerlokal und seine Folgen. Eine außergewöhlich gute Schau zum „Mythos Art Club“. In: Der Standard, 5.6.2003. 16 Matthias Boeckl (Hg.): Visionäre & Vertriebene. Österreichische Spuren in der modernen amerikanischen Architektur. Wien 1995. Anna Auer (Hg.): Übersee. Flucht und Emigration österreichischer Fotografen 1920 — 1940. Wien 1997. 17 Emigrants and exiles: A lost generation of Austrian Artists in America, 1920 — 1950 (hg. von der Österreichischen Galerie). Wien 1996. April 2013 51