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Stephan Grigat Ein Beitrag zur Diskussion Das Kapital ist bekanntlich blind und scharfsichtig zugleich: scharfsichtig ist es hinsichtlich internationaler Anlage- und Verwertungsmöglichkeiten; blind hinsichtlich des Wohlergehens von Menschen. Lassen sich mit Folter, Krieg und Verelendung Profite erzielen, wird in Folter, Krieg und Verelendung investiert. Versprechen Rechtsstaatlichkeit, Ausweitung individueller Gestaltungsmöglichkeiten und Stärkung der Kaufkraft der abhängig Beschäftigten die besseren Renditen — auch gut. Insofern sind die Geschäfte mit dem Iran, die insbesondere die EU-Staaten und die Schweiz in den letzten 30 Jahren getätigt haben und trotz aller bisherigen Sanktionsbeschlüsse aufeinem etwas niedrigerem Niveau bis heute weiterhin treiben, nur folgerichtig. Die Frage ist allerdings, warum sie auch noch staatliche Unterstützung genossen haben und mit Einschränkungen auch weiterhin genießen. Zwar ist es die vorrangige Aufgabe des bürgerlichen Staates, die Verwertungsbedingungen des Kapitals zu garantieren und wo möglich zu verbessern, dennoch existiert in der Politik eine Art überschießendes Moment. Staatlicher Politik kann es nicht gleichgültig sein, mit wem und in welchem Umfang Außenhandelsbeziehungen gepflegt werden. Dementsprechend sind in den USA oder Israel, die als ‚großer und kleiner Satan‘ ganz oben auf der Abschussliste des iranischen Regimes stehen, Geschäfte im großen Stil mit dem Iran staatlicherseits untersagt. Gegen derartige Geschäfte und ihre staatliche Unterstützung müssten Linke und Antifaschisten gerade in Deutschland, Österreich und der Schweiz mobil machen, also in jenen Ländern, die in den letzten 30 Jahren besonders intensive wirtschaftliche und politische Beziehungen zum iranischen Regime unterhalten haben. Doch der überwiegende Teil der Linken reagiert auf das iranische Regime weiterhin mit Indifferenz, Desinteresse, Relativierungen oder, schlimmstenfalls, mit antiimperialistischen Reflexen, die sie direkt an die Seite der iranischen Machthaber treiben. Kapital und Staat folgen zwar ihrer eigenen Logik von Verwertung und Herrschaft, doch die jeweils unterschiedlichen Ergebnisse dieser Logik können auch einer staatskritischen und emanzipativ-antikapitalistischen Linken nicht egal sein. So wichtig eine allgemeine Kritik an Staat und Kapital ist, so entscheidend ist doch der Unterschied, ob Konzerne Geschäfte mit Island und Irland, mit Italien und Indien treiben oder aber mit dem heutigen Iran. Für dessen Regierung bedeutet jeder Geschäftserfolg einen weiteren Fortschritt in ihrem Djihad gegen Emanzipation und Aufklärung. Hier geht es nicht um den Vollzug des gewöhnlichen Prozesses der Kapitalakkumulation, sondern um das Lukrieren ökonomischer Ressourcen zur Finanzierung eines politischen Programms, dass nicht nur in den letzten 30 Jahren zehntausenden Iranern das Leben gekostet und Millionen ins Exil getrieben hat, sondern das vor dem Hintergrund des Strebens nach der Technologie der Atombombe in Kombination mit der Ideologie des iranischen Regimes als ein Programm der Vernichtung verstanden werden muss. Wenn Linke und Linksradikale den kategorischen Imperativ Adornos aus der Negativen Dialektik ernst nehmen, dass es im Stande der Unfreiheit darum geht, „Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe“', 52 ZWISCHENWELT müssen sie alles dafür tun, damit dieses Regime an der Umsetzung seiner mörderischen Ideologie gehindert und letztlich gestürzt wird. Es ist alles andere als zufällig, dass Adorno dem zweiten Teil seiner Aphorismensammlung Minima Moralia EH. Bradleys „Where everything is bad/ it must be good/ to know the worst“ als Motto vorangestellt hat.? Die Vertreter der Kritischen Theorie wussten, dass Kritik an der spätkapitalistischen Gesellschaft nur möglich ist, „wenn man die Momente, durch die man im Westen noch leben kann, auch erwähnt“, wie Max Horkheimer esin den 1950er-Jahren in einem Gespräch mit Adorno formulierte.* Das bürgerliche Ideal vom sich frei entfaltenden Individuum scheitert an seiner eigenen ideologischen Konstitution und materiell an der Verlaufsform kapitalistischer Vergesellschaftung. Das islamistische Ideal vom ,einfachen und gerechten Leben‘ hingegen weist nur mehr den Weg in die vollendete Barbarei. Soll es überhaupt noch möglich sein, zwischen der kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaft einerseits und ihrer negativen Aufhebung, wie sie im Nationalsozialismus vollzogen und im Islamismus, bei allen historischen und sonstigen Unterschieden zwischen diesen Bewegungen und Ideologien, angestrebt wird, so muss an der Differenz festgehalten werden, die zwischen einer Ökonomie besteht, deren Zweck die Verwertung von Kapital ist, bei welcher der Tod von Menschen achselzuckend in Kauf genommen wird, aber niemals intendiert ist, und einer Ökonomie des Todes, die als wahnhafte Reaktion aus solcherart Zweckrationalität entspringt, aber mit ihr nicht in eins fällt: Sie setzt die Vernichtung als Selbstzweck.* Bei der Konfrontation des Westens und insbesondere Israels mit dem Iran handelt es sich um einen existentiellen und daher kaum durch Interessenabwägung vermittelbaren Konflikt. Es ist dies ein Konflikt zwischen jenen Kräften, welche auch in einer individuelles Glück systematisch verunmöglichenden Gesellschaft das Individuum gegen die repressiven Gemeinschaften verteidigen, und jenen Kräften, für welche die Vernichtung Israels nur der Auftakt wäre, die gesamte Welt in jene Hölle zu verwandeln, welche die djihadistisch befreiten Zonen schon heute sind. Deswegen, nicht aus einer fahnentrunkenen Kriegsbegeisterung heraus, muss eine materialistische Kritik im Sinne von Marx und der Kritischen Theorie jedes Appeasement gegenüber den Protagonisten der zwar aus Aufklärung und Zivilisation entsprungenen, aber keinesfalls mit ihr identischen Barbarei ins Visier nehmen. Der Kampf gegen das iranische Regime und die mit ihm verbündeten islamistischen Banden verdient die Unterstützung eines jeden, dem eine über sich selbst aufgeklärte Aufklärung und die Orientierung auf die allgemeine Emanzipation im Sinne von Marx nicht schon völlig egal sind - auch wenn dieser Kampf nicht von Linken oder radikalen Staats- und Kapitalkritikern geführt wird, sondern beispielsweise von liberalen oder anderen Kräften, mit denen man ansonsten in so gut wie jedem anderen Punkt anderer Ansicht sein mag. Im folgenden sollen einige Charakteristika des iranischen Regimes schlaglichtartig skizziert werden, um anschließend der Frage nachzugehen, wie gegen die islamistische Herrschaft und Ideologie vorgegangen werden kann, und warum große Teile der Linken im Kampf gegen die Machthaber in Teheran bisher vollkommen versagt haben.