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Freiheitsbewegung im Iran leider viel zu wenig zur Kenntnis genommen - insbesondere von den linken und linksradikalen Gruppierungen. Viele jener linken Organisationen, die nach der Wahlfarce im Juni 2009 maßgeblich in die Organisation der Solidaritätsaktionen im Exil involviert waren, haben 1979 dazu beigetragen, dass die Mullahs die Macht ergreifen konnten. Viele marxistisch-leninistische und antiimperialistische iranische Linke haben die Islamisten vor allem deswegen unterstützt, weil sie, wie David Postel in einer Diskussion der US-amerikanischen Zeitung Platypus Review zur iranischen Linken richtig herausgestrichen hat, den Liberalismus fälschlicherweise „viewed as part of a toxic, global, colonial project rather than viewing it, as Marx himself did, as being necessary but insufficient — or, better, insufficient but bloody necessary — to the project of socialism and liberation.“”° Die iranische, in ihrer überwiegenden Mehrheit marxistisch-leninistische Linke hat Khomeini auch unterstützt, weil sie seinen Hass auf den Zionismus und die USA teilte. Daran scheint sich bis heute nicht viel geändert zu haben: In Deutschland und Österreich störte es niemanden, wenn Trotzkisten, die auf Konferenzen in Beirut mit der vom iranischen Regime aufgebauten Hisbollah gemeinsame Sache machen, bei Kundgebungen zur Unterstützung der iranischen Freiheitsbewegung aufmarschierten. Mit der Radikalisierung der Freiheitsbewegung im Iran ging eine Entradikalisierung einiger der im Ausland lebenden Aktivisten einher. Um eine Radikalisierung der Kundgebungen im Exil zu verhindern, spielten sie sich als Demo-Ordner auf. Jene, die als dezidierte Gegner des Regimes auftraten und nicht nur „Nieder mit Ahmadinejad“, sondern „Nieder mit der Islamischen Rebpulik“ forderten, wurden nicht nur in Wien und Berlin, sondern auch in mehreren US-amerikanischen Städten vor allem in der ersten Phase der Proteste im Sommer 2009 von Kundgebungen verwiesen. Die Parolen der marxistischleninistischen Politkader und ihrer „reformislamistischen“ Bündnispartner auf den Solidaritätsdemonstrationen fielen selbst noch hinter jene Forderungen zurück, die von den Protestierenden im Iran unter Lebensgefahr aufgestellt wurden. Während bei vielen Solidaritätsdemonstrationen lange Zeit nur der Slogan „Where is my vote“ aufgegriffen wurde, skandierte man in Teheran bereits „Freiheit, Unabhängigkeit, Iranische Republik“. Während in Europa peinlich darauf geachtet wurde, die Ideologie des Regimes nicht offensiv anzugehen, erteilten die iranischen Demonstrierenden der Unterstützung für Hamas und Hisbollah und auch dem iranischen Nuklearprogramm eine klare Absage: „Nein zu Gaza, nein zu Libanon, mein Leben opfere ich für Iran“ und „Ein grüner und blühender Iran braucht keine Atomwaffen“ lauteten die entsprechenden Parolen. Und während Reformislamisten im Westen davor warnten, eine zu offene Unterstützung der Oppositionellen im Iran durch Europa und die USA würde die Regimegegner nur in Verruf bringen, riefen diese bereits: „Obama, Obama, entweder an unserer oder an deren Seite!“?7 Wenn seit über 30 Jahren im Iran offiziell die Vernichtung Israels proklamiert wird, ist die Solidarität mit diesem Land, für die man sich keinen Augenblick über die Widersprüche der israelischen Gesellschaft hinwegtäuschen oder sich hinsichtlich des konkreten Agierens der israelischen Staatsgewalt blind stellen muss, nicht nur eine politisch-moralische Verpflichtung, sondern zugleich die bestmögliche Distanzierung vom iranischen Regime. Dessen Antisemitismus entspringt ebenso wie der Hass auf Homosexuelle und emanzipierte Frauen jenem anti-westlichen, anti-liberalen Furor, welcher das islamische Regime in Teheran wesentlich kennzeichnet. Es darf unter den Gegnern des iranischen Regimes keine Neutralität hinsichtlich der Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel geben. In ihnen kulminiert jene wahnhafte Ideologie, auf deren Grundlage die „Islamische Republik“ unter dem Beifall vieler iranischer Linker 1979 ausgerufen wurde. Deshalb ist der Kampf für die Freiheit der Menschen im Iran nicht vom Kampf gegen Antisemitismus und Antizionismus zu trennen. Nach anfänglicher Skepsis gegenüber der ausgesprochen heterogenen Protestbewegung im Iran hat sich diese Einschätzung auch in Israel durchgesetzt, weshalb israelische Gesandte nicht nur seit Jahren versuchen, Europa, die USA, Russland und China von der Notwendigkeit scharfer Sanktionen gegen das Regime zu überzeugen, um ein militärisches Vorgehen, das gerade auch für Israel ausgesprochen riskant wäre, möglichst zu vermeiden, sondern israelische Politiker, bis hinaufzum Premierminister, haben mittlerweile auch den Westen wiederholt aufgefordert, die iranische Freiheitsbewegung zu unterstützen®®, und iranische Oppositionelle wurden vom israelischen Präsidenten ofliziell empfangen.” In Israel ist es Konsens, dass Militärschläge gegen die iranischen Nuklearanlagen eine schr schlechte und — wenn sie von der israelischen Luftwaffe alleine durchgeführt würden - eine ausgesprochen riskante Option sind. Aber sie sind eine Option.*° Israel wird gezwungen sein, Militärschläge in Erwägung zu zichen, so jene Staaten, welche die Mittel dazu in der Hand halten, keinen anderen Weg finden, das iranische Regime am Erlangen jener Technologie zu hindern, die ihm die Umsetzung seiner Vernichtungsdrohungen und -fantasien ermöglichen würde. Wie umfassend das Bewusstsein über die iranische Bedrohung und über eventuell notwendige Gegenmaßnahmen in der israelischen Gesellschaft ist, die sich ansonsten auf so gut wie gar nichts einigen kann, demonstriert ein Linksliberaler wie der ehemalige Meretz-Vorsitzende Yossi Beilin. Ganz ähnlich wie Vertreter anderer Parteien hat er klargestellt: „Die Militäroption ist der letzte Ausweg, man sollte sie nicht vom Tisch nehmen.“ Leider muss bezweifelt werden, dass die US-Politik die Gefahren, die von einem nuklcar bewaffneten iranischen Regime ausgehen, genauso dramatisch einschätzt wie israelische Politiker von links bis rechts, weshalb der israelische Staat sich auch in dieser Frage in letzter Konsequenz nur auf sich selbst verlassen kann. Die unterschiedliche Einschätzung der iranischen Bedrohung seitens der Vereinigten Staaten und Israels lässt sich einfach auf den Punkt bringen: Für die USA ist die iranische Bombe eine strategische Bedrohung, für Israel eine existenzielle. Die USA wären vermutlich für einen faulen Kompromiss mit dem Regime hinsichtlich des Atomprogramms auch jederzeit bereit, jegliche Unterstützung für die iranische Opposition einzustellen.” Sollte die iranische Freiheitsbewegung scheitern und den Impuls der Massenproteste von 2009 nicht nochmals aufgreifen können, wird das unter anderem daran gelegen haben, dass sowohl die westlichen Staaten als auch die globale Linke sie weitgehend im Stich gelassen hat. Dabei wäre ein Sturz des iranischen Regimes die mit Abstand beste Lösung für alle jene Probleme, die von den Ajatollahs und Pasdaran verursacht werden. Die Linke sollte an vorderster Front gegen das Regime im Iran kämpfen. Und wenn die wie auch immer kritikwürdige westliche Staatenwelt etwas gegen dieses Regime unternimmt, sollte sie sich nicht in einem schlechten antiimperialistischen Reflex dagegen stellen, sondern solch ein Vorgehen begrüßen und unterstützen — ohne sich auch nur eine Sekunde lang Illusionen über die Verfasstheit und die Interessen dieser westlichen Staaten hinzugeben. April 2013 55