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Service verbessern können. Fine EU-Richtlinie unter vielen, die Arbeitslosigkeit produziert; andererseits sind die Staaten angehalten, mit allen möglichen Programmen die Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen, was entsprechend der Logik des herrschenden Systems gar nicht möglich ist. Ein weiterer Kritikpunkt an der EU: Die Fischerei (Näheres zu einer nachhaltigeren Fischfangpolitik unter www.fishfight.de). Fangflotten mit ihren riesigen Schleppnetzschiffen von EUMitgliedsländern durchkämmen seit Jahren, nachdem die Nordsee und der Nordatlantik überfischt wurden, die Fischgründe vor der Westküste Afrikas. Sie entziehen damit Tausenden kleinen Fischern und ihren Familien die Existenzgrundlage. Immigration und Schlepperdienste sind die unmittelbaren Folgen: Da die Boote nicht mehr zum Fischfang eingesetzt werden können, dienen sie zum Transport über den Atlantik zu den Kanarischen Inseln etc. — Mag schon sein, dass die verantwortlichen Kommissare diese Ausweitung der Fischerei nicht billigen und Einschränkungen planen, diese jedoch am Widerstand der fischenden Nationen und der milliardenschweren Industrie scheitern. Hier zeigen sich auch die Grenzen von Mitsprache der Nationen: In einer globalisierten Welt, die täglich beschworen wird, müsste man eben auch die geistigen Horizonte weiter ziehen und das tägliche Handeln in seinen grenzenlosen Auswirkungen bedenken. Dazu gleich eine Marginalie: Der „freie Warenverkehr“ (so wie ihn die EU favorisiert), produziert ein ungeheures Verkehrsaufkommen auf den Straßen. Er zerstört die Lebensqualität der Anrainer (erlebe ich täglich, an einer gewundenen Bezirksstraße lebend, die eigentlich für den Schwerverkehr nicht geeignet ist), und als Radfahrer lebt man ständig in der Angst, von LKW-Zügen zermalmt zu werden. All dieser LKW-Verkehr, mit einer tüchtigen Lobby bestens vernetzt wie wir wissen, produziert Abgase, Feinstaub, Reifenabrieb etc., während andererseits das Rauchen aus gesundheitlichen Gründen eingeschränkt wird. Weiß die eine Hand, was die andere tut? — Nichts gegen den Austausch von Waren. Über Jahrtausende wurde beispielweise an Lebensmitteln dazugekauft, was man selber nicht hatte, aus den verschiedensten Gründen nicht erzeugen konnte. Die Perversität heutigen Warenaustauschs besteht darin, dass man Dinge importiert, die man ohnehin zur Verfügung hat, aber, weil sie aus Billiglohnländern kommen oder subventioniert sind, importiert. Warum müssen Milchprodukte einen Weg von Hunderten Kilometern hinter sich haben, bevor sie ins Regal kommen? Warum wurden all die dezentralen Molkereien, die eine lokale Verarbeitung und Verteilung gewährleistet haben, auf dem Lande geschlossen? Warum liegt „Kerrygold“ Butter aus Irland in den Regalen der Supermärkte Mitteleuropas zum Verkauf auf? — Weil es irgendjemanden Profit bringt, auch wenn all der Aufwand unsinnig und absolut asozial und umweltschädigend ist (interessant übrigens, dass in der Schrift von Menasse ökologische Probleme keine Erwähnung finden). Tatsache ist, dass die Rahmenbedingungen unseres Lebens nicht mehr national, sondern international abgestimmt werden müssten. Dies ist auch die Hauptstoßrichtung der Schrift von Menasse. Wie allerdings die Einflussnahme des Die obersteirische Eisenstraße — Hochburg der Sozialdemokratie bis 1934, Fokus der KPÖ, Heimat der faschistischen Heimwehr, die sich in der Steiermark früh dem Nationalsozialismus annäherte, während der NS-Zeit Ort der Verfolgung und Beraubung der jüdischen BewohnerInnen, die wie viele andere Zuwanderer aus allen Teilen der Monarchie in der Region des industriellen Aufbruchs auf ein besseres Auskommen gehofft hatten, opferreiches Zentrum des Widerstands, Bergbau- und Industrieregion, in der unzählige KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen malochten, und im April 1945 Schauplatz von Massakern an ungarischen Jüdinnen und Juden auf dem Todesmarsch nach Mauthausen und Friedhof für standrechtlich erschossene Deserteure — bildet eine Landschaft tiefer österreichischer Widersprüchlichkeiten. Ihre Gräben und Höhen durchmißt ein neues zweibändiges Werk von CLIO, dem steirischen Verein für Geschichts- und Bildungsarbeit. „Die Eisenstraße 1938 — 1945. NS- Terror — Widerstand — Neues Erinnern“ erweitert das schnell vergriffene Vorgängerbuch (Heimo Halbrainer, Christian Ehetreiber : Todesmarsch Eisenstraße 1945. Terror, Handlungsspielräume, 60 ZWISCHENWELT Erinnerung: Menschliches Handeln unter Zwangsbedingungen. Graz 2005) durch wesentliche Forschungsergebnisse, unter anderem über die einheimische jüdische Bevölkerung und die Widerständigen der Region. Viele der Namen dieser und anderer nicht NS-konformer Minderheiten finden sich in einem besonderen Buch. Mit dem „Archiv der Namen“ setzte der bekannte Zeitgeschichtler und CLIO-Leiter Heimo Halbrainer den NS-Opfern im Bezirk Leoben ein nachhaltiges „papierenes“ Denkmal. Die „Untergegangenen“, die der KZ-Uberlebende Primo Levi als die wirklichen Zeugen jener Zeit sah, formieren sich im Buch zu einer heterogenen Opfergemeinschaft — widerstandige und jüdische SteirerInnen, die in ferne Orte der Vernichtung verbracht wurden, und Fremde, für die die Eisenstraße zum gewaltsamen Todesort wurde. Die Namen von 159 WiderstandskämpferInnen, 114 Häftlingen des KZ-Außenlagers Eisenerz, 70 Jüdinnen und Juden aus Leoben, 68 alliierten Soldaten, Kriegsgefangenen, Militärinternierten und ZwangsarbeiterInnen, 54 ungarisch-jiidischen ZwangsarbeiterInnen, 28 Deserteuren, 26 jiidischen Zwangsarbeitern aus Wien, die 1940 hierher gebracht und ermordet Kapitals (oder der Atomlobby, um noch eine problematische Kraft anzusprechen) reduziert werden könnte, bleibt offen. Auf demokratischem Wege wohl kaum: Demokratie setzt einen gebildeten und politisch interessierten Bürger voraus. Da dieser nicht in Sicht ist, und die manipulierten oder sich freiwillig geistig kastrierenden Massenmedien, die nicht Hintergrundinformation und Aufklärung, sondern Vernebelung in Bezug auf politische Interessen im Sinn haben, längst versagt haben, sche ich keine demokratische Mehrheit für eine gerechtere Gesellschaft. Nichtsdestotrotz: Die Lektüre des Buches von Menasse sei jedem empfohlen, der guten Absicht sei nichts in den Weg gelegt. Das Buch ist brillant geschrieben, schlüssig gebaut, die Argumente fiihren von einem Thema oder Problem zum nächsten. Es lässt aber doch auch vieles außer Acht (manchmal hat man den Eindruck, Menasse sieht außer den Nationalstaaten auf der einen und der EU auf der anderen Seite keine formenden Kräfte); befremdend auch die Formulierung „arbeitsscheu wie ein Lumpenproletarier“ (S. 18).— Der europäische Landbote ist also anregend, da so manche Ansicht den Widerspruch verlangt. Eine Schrift, an der hoffentlich vor allem die von Menasse angesprochenen „Eliten“ ihre Gedanken für ein soziales und ökologisches Europa schärfen mögen. Richard Wall Robert Menasse: Der Europäische Landbote. Die Wut der Bürger und der Friede Europas. Wien: Zsolnay 2012. 112 S. Euro 12,90 wurden, sechs Spanienkämpfern konnte Heimo Halbrainer auf das Denkmal schreiben. Die knappen biographischen Informationen lassen im Kopfder LeserInnen tragische Bilder von gewaltsam zerbrochenen Lebensläufen entstehen, wie jenem der jüdischen Familie Werdisheim. Der in Mähren geborene Leobner Kaufmann Maximilian Werdisheim, dem auf Antrag des Gauwirtschaftsamts seitens der Gestapo ein Reisepass verweigert worden war, wurde nach seiner Rückkehr aus dem KZ Dachau im Februar 1942 von Wien nach Riga deportiert und dort ermordet. Seine Gattin Berta Werdisheim floh von Wien nach Jugoslawien, wo sie nach dem Überfall der Deutschen 1942 in einem Lager starb. Das 1938 geborene Zwillingspaar Harry Peter und Walter Hans Werdisheim wurde 1942 in Jugoslawien ermordet. Die Bauernfamilie Abegg aus St. Peter-Freienstein hatte die Partisanen der Osterreichischen Freiheitsfront (OFF) unterstiitzt. Vater Fritz, Mitglied der Bodenorganisation der ÖFE starb im Februar 1945 im KZ Mauthausen, sein Sohn Werner kam Anfang Mai 1945 15-jährig im KZ Flossenbürg um. Der polnische Arbeiter Philip Drozdz, KZ-Häftling in Eisenerz, wurde als nicht mehr