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arbeitsfähig 1944 in Hartheim ermordet. Rudolf Klappka, Soldat aus Judenburg, war nach einem Lazarettaufenthalt nicht mehr zu seiner Truppe zurückgekehrt und wurde im April 1945 in Leoben-Göß als Deserteur hingerichtet... Das Denkmal, betont sein Errichter, sei eine Momentaufnahme des aktuellen Forschungsstands, die Liste wegen der versuchten Beseitigung der Spuren durch die Nationalsozialisten unvollständig. Zudem fehlten die Namen der ermordeten Roma, die ab Oktober 1940 in Leoben-Hinterberg in Zwangsarbeitslagern untergebracht waren und 1942 nach födz deportiert und ermordet wurden. Auch die Namen der Opfer der NS-Euthanasie sollten noch Platz finden am Denkmal. Mit dem „Archiv der Namen“ in einem Schuber vereint ist ein 360 Seiten umfassender Sammelband. HistorikerInnen, Juristen, Psychologen, Germanisten, Philosophen, Ethiker und Erziehungswissenschafter zeichnen Entwicklungsstränge nach und versuchen Antworten auf die großen Fragen nach der Vorgeschichte, Geschichte und Nachgeschichte des NS-Terrors zu geben. Martina Brandtner, die sich in einer Publikation (Diskursverweigerung und Gewalt. Innsbruck u.a. 2011) mit der Radikalisierung des politischen Klimas in der Obersteiermark auseinandergesetzt hatte, analysiert den Weg der Eisenstraße vom Ende der Donaumonarchie bis zum „Anschluss“ politikgeschichtlich. Die aussagestarken Bilddokumente belegen die Gräben zwischen den politischen Formationen. Der Eisenerzer Republikanische Schutzbund posiert gesittet auf einem Gruppenbild. Die K.P.Oe. fordert zum „Hungermarsch“ auf, zum Kampf gegen Aussteuerung und Arbeitsdienstpflicht. Der Heimatblock stellt sich als einzige Wahlalternative für „heimattreue Steirer“ dar, denn „nur Dr. Pfrimer hat am 15. Juli 1927 Österreich vor dem Bolschewismus und dem wirtschaftlichen Untergang gerettet“. Die Christlich-Sozialen setzen mit ihrem Wahlplakat auf Antisemitismus, appellieren - mit einem gefesselten Doppeladler, dessen hängender Kopf speit und dessen erhobener Kopf mit Peies und Hakennase dargestellt wird - an die „Deutschen Christen“, Österreich zu retten! Bereits 1924 hatte die Leobner Ortsgruppe der NSDAP einen „jüdischen Kataster“ für den Gerichtsbezirk Leoben erstellt, in dem sie jüdische Realitätenbesitzer und Unternehmer anprangerte, hält der Leiter des Centrums für jüdische Studien der Universität Graz, Gerald Lamprecht, fest. Er rekonstruierte das Leben der kleinen jüdischen Gemeinde von Leoben anhand der Geschichte ihrer Institutionen — so zitiert er u.a. aus Protokollen der Kultusvorstandssitzung, die sich im Russischen Militärarchiv in Moskau befinden, und den „Statuten der Vereinigung der Judenstaatszionisten Oesterreichs“ — und aus Erinnerungen ihrer Mitglieder. Lamprecht schätzt, dass etwa 190 Personen der nationalsozialistischen Judenverfolgung ausgesetzt waren. „Arisiert“ bzw. liquidiert wurden die Betriebe von 28 jüdischen Eigentümern. Lamprecht listet ihre Namen auf und jene der kommissarischen Verwalter und „Ariseure“. Der Anblick der Deportation ihrer jüdischen Nachbarn blieb den „atischen“ Mitbürgern erspart. Diese erfolgte von Wien aus. Heimo Halbrainer und Werner Anzenberger, Jurist, Historiker und sozialpolitischer Leiter der Arbeiterkammer Steiermark, widmen sich in ihren Beiträgen dem obersteirischen Widerstand. Die Steiermark bildete neben Wien ein Zentrum des österreichischen Widerstands. „So was wie in Leoben ist seit der Eingliederung der Ostmark im Gau Steiermark noch nicht vorgekommen“, schrieb Gauleiter Uiberreither im Dezember 1942 an den Höheren SS- und Polizeiführer Erwin Rösener in Veldes (Bled). Eine kommunistische Schmieraktion hatte u.a. das Landratsamt mit Hammer und Sichel und der Aufschrift „Nieder mit Hitler“ verziert. Im September 1943 verkündeten Plakate den Berliner Hinrichtungstod von vier Eisenbahnern von der Eisenstraße. Wegen „Vorbereitung zum Hochverrat, Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung“ hatte sie der Volksgerichtshof zum Tod verurteilt, so wie im Oktober 1943 das Trofaiacher Ehepaar Ludwig und Klara Krall wegen „fortgesetztelm] Abhören ausländischer Rundfunksendungen und Weitergabe insbesondere feindlicher Rundfunksendungen an die Ostarbeiterinnen“ - tödliches Zeichen zunehmender Nervosität und Radikalisierung der Machthaber. Halbrainer und Anzengruber unterstreichen die Vielschichtigkeit des Widerstands, verweisen darauf, dass neben den Kommunisten und — eingeschränkt - Sozialdemokraten katholische Bauern, Keuschler, Landarbeiter und Holzfäller wie Ludwig Hartl, der wichtige Verbindungsdienste leistete und im August 1944 von der Gestapo ermordet wurde, Unternehmer, Arbeiter in städtischen Wohnungen, Frauen der Bodenorganisation wie die „Mutter Courage“ Rosa Kalik oder die „Gräfin“ von der „Hohen Rötz“ aktiv den Widerstand unterstützten. Im Sommer 1944 wurden etwa 500 UnterstützeInnen der ÖFF in mehreren Verhaftungswellen festgenommen. Im April 1945 ermordeten am Präbichl einheimische SA-Führer in einem Blutrausch 220 bis 250 ungarisch-jüdische ZwangsarbeiterInnen auf dem Weg zum KZ-Mauthausen. Die Historikerin Eleonore Lappin-Eppel hat Verantwortlichkeiten, Ablauf und Folgen des Todesmarsches quer durch Osterreich umfassend recherchiert (u.a. beim britischen Public Record Office am Foreign Office) und dargestellt. (Eleonore Lappin-Eppel: Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter/ innen in Österreich 1944/45. Arbeitseinsatz, Todesmärsche, Folgen. Wien 2010). In ihrem Buchbeitrag lässt sie vier Überlebende zu Wort kommen. Judita Hruza war eine der wenigen Frauen, die die Schanzarbeiten am Südostwall und den Todesmarsch überlebten. „Ich stammte aus einer Familie ungarischer Intellektueller und trotz der Kriegssituation hatte ich ein behütetes Leben, ging zur Schule, wurde sehr geliebt, las gute Biicher, hérte Musik und diskutierte mit meinen Freunden begeistert über tiefschürfende philosophische Fragen ..., ich war auch sehr unpraktisch, oft melancholisch und kranklich, diinn und schwach. Ich war 20“, erinnerte sich Judita Hruza an den Alltag vor der Katastrophe. Wolf Gancz, Arbeitsdienstsoldat aus der Karpatoukraine, gab im DP-Lager Trofaiach im Juni 1946 zu Protokoll: „... als ich auf den Gipfel des Präbichl kam, sah ich einen Mann auf- und abgehen und mit einer Maschinenpistole in den Transport feuern. Sobald er seine Pistole geleert hatte, lud er sie wieder und begann das Feuer von neuem. Die Straße war mit toten und verletzten Körpern bedeckt. Ich lief wie viele andere an ihm vorbei, und man brauchte Glück, um an ihm vorbeizukommen, ohne getötet oder verletzt zu werden.“ Der 17-jährige Gymnasiast Imre Weisz, weiter hinten in der Kolonne der Tausenden, fand die Straße „mit Leichen und den schäbigen, blutigen Habseligkeiten der Ermordeten übersät,“ wie er in einem Schreiben an die Autorin festhält. 32 Kilo hatte der Musiklehrer Zwi Bar Niv, als er von den Amerikanern in Gunskirchen befreit wurde. „Zehn Judenmörder zum Tod verurteilt. Gerechte Sühne für die blutige Tragödie auf dem Prebichl“ berichtete das Steirerblatt am 30. April 1946 von den Urteilen des britischen Militärgerichts beim ersten Eisenerzer Mordprozess. Zeitgenössische Artikel regionaler Zeitungen und unzählige Justizakten bilden wesentliche Quellen für Heimo Halbrainers Nachgeschichte der Entnazifierung und justiziellen Ahndung von NS-Verbrechen. Viele Morde entlang der Eisenstraße blieben ungesühnt, hält er fest. Zudem wurde der Leiter des KZ Eisenerz Hans Heidingsfelder nicht verfolgt, Verantwortliche für die Erschießungen der Deserteure im April und Mai 1945 in Leoben-Göß und Hieflau juristisch nicht belangt, kein Urteil in Zusammenhang mit Ermordung von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen gesprochen und auch der mutmaßliche Mörder des schwerverletzten Widerstandskämpfers Heinrich Kohnhauser trotz drückender Beweislage nicht strafrechtlich verurteilt. Die Errichtung von Erinnerungszeichen im öffentlichen Raum der Eisenstraße unterlag unterschiedlichen Gedächtnis-Konjunkturen. Halbrainers detaillierte Analyse belegt die Einschätzung der österreichischen Fachfrau der Erinnerung Heidemarie Uhl, dass Erinnerungszeichen oft mehr über die Zeit ihrer Setzung und das damals herrschende Geschichtsbild aussagen als über die Vergangenheit, auf die sie sich beziehen.(H. Uhl: Gedächtnisraum Graz. Zeitgeschichtliche Erinnerungszeichen im öffentlichen Raum nach 1945. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 25. Graz 1994, 625). 2004 kehrte Judita Hruza als Ehrengast auf den Präbichl zurück. Fast fünfzig Jahre nach dem Massaker wurde ein Mahnmal eröffnet, Ergebnis einer engen Zusammenarbeit der Stadt Eisenerz, eines überparteilichen Personenkomitees, der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus sowie der aktiven Beteiligung der Schulen der Stadt. Damit wurde die unsichtbare historische April 2013 61