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beim Abschied einige Bücher aktueller östereichischer Schritsteller aus ihrer großen Bibliothek verabreichte. Ich hatte ja meinen Kontakt mit der österreichischen Literatur fast vollkommen verloren, seit ich 1938 als Fünfzehnjähriger als jüdischer Flüchtling nach England emigrierte. Im April 2011 war ich wieder in Wien, um mich an der alljährlichen Gedenkfeier des Akademischen Gymnasiums zu beteiligen. Leider erbot sich keine Gelegenheit, Konstantin und Siglinde wieder zu kontaktieren. Wenn ich jetzt in ZW einen Teil ihrer Rede vom 24. Septembe 2009 im Nationalrat lese, werde ich mir bewußt, dass Siglinde weit über den Rand einer freimiitigen Gastgeberin hinausreichte. Es imponierte mir besonders, wie sie so treffend auf den „Seiltanz“ zwischen wissenschaftlicher Forschung und kultureller Vermittlung hinwies. Wie gerne hätte ich mit ihr meine noch nicht veröffentlichte Arbeit besprochen, in der ich versuche, Vorurteile gegenüber Geisteskranken und ihrer Behandlung, die es noch immer oft gibt, im Format eines historischen Romans zu eruieren. Hans Reichenfeld, Ottawa, 17.11.2012 Lieber Konstantin, ich bin grade erst von Europa zurück gekommen, wo ich in den letzten Tagen keinen Zugang zum Internet hatte und fand hier gleich Deine traurige Nachricht vor. Ja, es ist unfassbar, wie Du sagst. Siglinde war in Krems und Baden noch so voller Leben und Energie, dass ihre Krankheit unglaublich schien. Man dachte unwillkürlich, es kann nicht so schlimm sein, sie hat sicher noch viel Zeit vor sich. Ich weiß gar nicht, wie ich Dir mein Beileid aussprechen soll, nur dass ich in Gedanken nicht loskomme von Deinem Verlust und Dir allen möglichen Mut zum Überstehen wünsche. BERICHTIGUNGEN Mit Trauer und Mitgefuchl, Deine Ruth Klüger, Irvine (USA), 15.7.2012 Iam simply devastated by the news that came from the Exile Society. I thought of Siglinde as constantly exuding energy and life and never even dreamed that a colleague of her vitality could succumb so early in life. Of course the fact that she was so much younger than I contributed to that conviction. Konstantin, I sense how you must feel at this moment. As you know, I lost my wife of 25 years 7 years ago and even though I have found great satisfaction in my second marriage, I still think of the loss that the passing of Judy left in my life. Of course, your loss is also that of a great collaborator and sensitive partner in all your scholarly endeavors. I feel with you. In the course of the next weeks, the Society and you will undoubtedly think of a worthy commemoration for Siglinde. If that materializes, let me know whether I can contribute. Guy Stern, Westbloomfield (USA), 14.7.2012 Lieber Konstantin, unterwegs im Jura lese ich die unfassbare Nachricht, dass Siglinde gestorben ist. Ich weiss nicht, was schreiben. Meine Gedanken — und jene von Annette — sind bei Dir, bei den wunderbaren Stunden, die wir mit Euch verbrachten, bei der ungeheuren Arbeit, die Siglinde mit Dir zusammen angepackt hat und aus der sie nun herausgerissen wurde. Bei den vielen Lektüren und Erkenntnissen, die wir Euch verdanken, bei der Herzlichkeit und bei dem klugen Interesse, auf das man bei ihr immer gestossen ist. Ich drücke Dir in diesem entsetzlichen Moment von weit her die Hand und umarme Dich. Stefan Keller, Zürich, 11.7.2012 Lieber Herr Kaiser, heute finde ich, nach der Rückkehr von einer Reise nach Hombroich, die Nachricht von Siglinde Bolbechers Sterben. Ich sage Ihnen, dass ich an Sie, an Sie und an sie, also an sie beide, denke und auch daran, was Sie beide getan haben, um die Geschichte des Nationalsozialismus in Österreich zu beschreiben, der Opfer-Mentalität zu widersprechen, den Spuren der Überlebenden nachzugehen, bis an die Grenzen des Lebens: Wir müssen ja neue Formen der Erinnerung erfinden. Aber was Ihr getan habt, das ist bewunderungswiirdig. Merkwürdig war mir immer, dass die Beschreibung der Schande des 20. Jahrhunderts so nationalitätsbezogen beschrieben wurde: man guckte nicht über die Grenze. Man guckte auf Österreich, auf österreichische Opfer, man blickte auf deutsche Opfer. Müsste man nicht auch auf griechische, serbische, norwegische, russische, französische Opfer schauen und viele andere mehr, wenn man das System beschreibt und sein Unterdrückungssystem - vielleicht, ich weiß es nicht, ist die Mechanik des Mordens im „deutschen Jahrhundert“, das Fberhard Jäckel beschrieb, damit hinreichend gekennzeichnet? Mir blieb, nach der Lektüre von Améry, immer einer unerklärbarer Rest. Sie beide, Sie und Siglinde Bolbecher, haben für Berthold Viertel viel getan - und es blieb in seiner Wirkung aufeinen Kreis von Menschen beschränkt, der sich einer Erinnerungskultur verschrieb, die offensichtlich die Gegenwart der Leser nicht mehr erreicht. [...] Herzlich, Ihr Friedrich Pfäfflin, Marbach am Neckar, 11.7.2012 Zu Brigitte Lehmann, Alexander Emanuely: Die ArbeiterschriftstellerInnen und der Französische Geist, in ZW Nr. 4/2012, 42f: Ich glaube dass die im Artikel angegebene Biographie nicht stimmt. Fine Pariser ist schon im Dezember 1938 in Paris an Rotlauf gestorben, das habe ich damals über Budapest erfahren (die Karte habe ich noch). Weiters: Lene war zuerst in einem Kinderheim und später in einem Kloster versteckt — hat sie mir selbst erzählt bei meinem Besuch in Paris 1947. In Montauban waren also nur Hedi und Toni. Professor Ehud Jungwirth, The Hebrew University of Jerusalem, 16.12.2012 66 ZWISCHENWELT Zur Rezension von Karl Wimmler: Marion Braschs »Roman meiner fabelhaften Familie“, in ZW Nr. 3/2012, 5. 57f.: Karl Wimmler macht auf einen durch Kiirzung entstandenen Fehler im zweiten Absatz auf S. 58 aufmerksam: „Dass der Vater kurz zuvor in den Freitod gehen wollte, was nur an der Geistesgegenwart seiner mit ihm allein lebenden Tochter scheiterte, geht aus dem Buch nicht hervor.“ Der Verfasser der Rezension hatte geschrieben: „Ob die Brüder zu dieser Zeit wussten, dass der Vater kurz zuvor in den Freitod gehen wollte, was nur an der Geistesgegenwart seiner mit ihm allein lebenden Tochter scheiterte, geht aus dem Buch nicht hervor.“ Und kommentiert: Der Freitod und die Umstände seiner Verhinderung gehen aus dem Buch sehr wohl hervor, nur nicht, ob die Brüder davon wussten. In der drauffolgenden Spalte ist auch der Satz der Tochter zitiert: „Warum sollte ich denn freiwillig in eine Partei gehen, wegen der du dich beinahe umgebracht hättest?“