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zurückwollt, weil Ihr dort „Zuhause“ seid, weil Ihr nicht wißt, wo Ihr hinsollt, usw. Ich bin sicher, dieser Moment spielt dabei mit. Jetzt nach Paris zu fahren nützt nichts, es ist außerdem mit Hitze zweifellos unerfreulich — daß Du glaubst „die Pensionen seien im September ausverkauft“, daß Du überhaupt annimmst, es sei so einszweidrei ein Platz zu „kaufen“ u. scheint mir, lieber Papa, ein bißchen weltfern. Rodas fahren Mitte nächster Woche nach dem Wörther See, es ist einer der schönsten Seen Österreichs, unweit Gastein, unweit der italienischen Grenze, der schönste Sommeraufenthalt. Ich denke mir dort ein Zimmer zu suchen und zu arbeiten. Wie anders in Graz soll es dort nicht viele Nazis geben, nicht im Entferntesten soviel wie in Tirol, wo es von ihnen wimmelte. Sie werden einen also dort nicht stören, auch mich nicht in meiner Arbeit. Denn ich muß allen Widerständen entgegen, wieder arbeiten, es ist sicherlich meine einzige Chance und ich habe die Aussicht, so Österreich nicht angeschlossen wird — und es scheint nicht, daß dies den Nazis nicht gelingen wird! - in Wien bei Zsolnay‘ heraus zu kommen. Euch würde es am Wörthersee schr gefallen, es gibt schr elegante Orte dort, einen großen Golfplatz. Das Leben in einem guten Hotel kostet 12 Schilling und weniger. Ich schlage Euch nun vor, am Sonntag oder wann Ihr in der Schweiz die Zelte abbrechen wolltet, loszufahren, nach Innsbruck, das schafft Ihr in herrlicher Fahrt an einem Tag. Von dort entweder über Gastein oder den Brenner. Was nicht nötig ist, wenn Ihr nicht durch Italien wollt, nach Klagenfurt, das schon am See liegt. Dort könnten wir alles genau besprechen. Für Euch ist es ein herrlicher Zweitagesausflug. Rodas würden sich natürlich freuen, Euch zu schen. Mama kann täglich golfen, rührt sie das nicht? Nun eine andere Angelegenheit: Von meinen Stück ist nur noch ein Exemplar vorhanden, das Mama hat. Es kann leicht wegkommen, dann ist die lange Arbeit umsonst gewesen. R.R. hat an Kitdl’, der mein Buch gedruckt hat, und viele andere Druckereien geschrieben. Kittl will es nur ausnahmsweise für 300 M. drucken. Das ist nicht viel, wenn man nicht so pleite wäre. Ich frage Dich nun an, Papa, ob es, da Mutter mir vor einiger Zeit ohnehin schrieb, du habest vor, es mir drucken zu lassen, wenn es für Dich noch erschwinglich ist. Wenn nicht, auch kein Riesenunglück. Wenn ja, muß Mama, falls Ihr nicht nächste Woche schon herkommt, das Buch gleich per Nachnahme hierher nach Graz zu [sic!] schicken, damit ich es durchsehen und nächste Woche gleich nach Mährisch-Ostrau schicken kann, wo es im Verlauf eines Monats gedruckt wird. Ich habe dann noch den ganzen Sommer, um es Prager, Wiener und vielleicht Pariser Bühnen zu schicken. Bei der augenblicklichen Stimmung gegen Deutschland habe ich mit meinem Stück, dessen Personen erst heute aktuell geworden sind, habe ich vielleicht mehr Glück draußen, als früher. Antwortet sofort, Küsse Uli 1 Knickerbocker - H.R. Knickerbocker (1898 — 1949), amerikanischer Korrespondent; erhielt 1931 den Pulitzer Preis für seine Artikelserie über den Fünfjahresplan in der Sowjetunion; 1923-33 in Deutschland, musste nach 1933 als Hitlerkritiker das Land verlassen; dokumentierte in seinen Reportagen den Weg Europas in den Zweiten Weltkrieg, vom Abessinienkrieg und Spanischem Bürgerkrieg zum „Anschluss“ Österreichs und zur Münchner Konferenz. 2 Mühsam — Frich Mühsam (1878 — 1934), deutscher Schriftsteller, am 10. Juli 1934 im KZ Sachsenhausen ermordet. 3 Schidwi - Dr. Paul Schidwigowski (1895 — 25.5.1943, im KZ Auschwitz ermordet), Anwalt in R. Bechers Kanzlei; war bis zum allgemeinen Berufsverbot 1938 weiter als Anwalt tätig. 4 Zsolnay — Paul Zsolnay (1895 — 1961) griindete 1924 den Paul Zsolnay Verlag in Wien, im Londoner Exil den Verlag Heinemann & Zsolnay. 1946 wieder in Wien, baute er seinen Verlag wieder auf. Der Vertrag für „Niemand“ wurde am 17.4.1934 mit Zsolnay als Theaterverlag geschlossen. 5 Kittl- „Niemand“ erschien 1934 bei Kittl. Der Verlag Julius Kittl Nachf., Keller & Co. im tschechoslowakischen Mährisch-Ostrau wurde vom Paul Zsolnay Verlag vermutlich deshalb für die Buchausgabe vorgeschlagen, weil Zsolnay selbst die Hoffnung auf den deutschen Markt noch nicht aufgegeben hatte und ein Buch, das in Hitlerdeutschland voraussichtlich verboten würde, nicht in sein Programm aufnehmen wollte. Bei Kittl — fiir die Nazis ein „bekannter Hetzverlag“ - erschienen bis 1938 etliche Bücher von in Deutschland nicht mehr erwünschten Autoren (Heinrich Eduard Jacob, Ernst Sommer, Friedrich Torberg...) GRAZ Freitag, 8. Februar, 19 Uhr KPÖ-Bildungszentrum, Lagergasse 98a, 8020 Graz WIEN Montag, 11. Februar, 19 Uhr Alte Schmiede, Schönlaterngasse 9, 1010 Wien INNSBRUCK Donnerstag, 14. Februar, 20 Uhr Literaturhaus am Inn, Jose-Firn-Strafe 5, 10. Stock, 6020 Innsbruck BREGENZ Freitag, 15. Februar 2013, 19:30 Uhr Kuppelsaal der Vorarlberger Landesbibliothek Fluher Straße 4 6900 Bregenz Dienstag, 12. Februar 2012, 19 Uhr Republikanischer Club, Rockhgasse 1, 1010 Wien 2 ZWISCHENWELT