OCR
Lydia Mischkulnig Die Wiener Zeitung vom 15. Juni 2013 berichtet, dass es in vielen Schulen unserer Stadt den Kindern untersagt ist, im Unterricht, aber auch in den Pausen andere Sprachen als Deutsch zu sprechen. Strafe für Türkisch reden. Die Politik wisse wegen der Überbürokratisierung des Schulwesens nicht, wie es in den Klassenzimmern zugeht. Wenn Kindern verboten wird, ihre Muttersprache zu sprechen, dann wird ihnen vermittelt, dass ihre Erstsprache höchstens zweitklassig ist, und, schlimmer noch, dass die Kinder selbst zweitklassig sind. Das beeinträchtigt nicht nur die kognitive Entwicklung sondern schadet massiv dem Selbstwert der Kinder und stürzt sie in vermeidbare Seelenqual. Wenn man sich für einen Zeitrahmen schulautonom ausmacht nur eine Sprache zu üben, ist das etwas anderes, als jemanden zu diskriminieren. Nach Kärnten müssten wir das in Wien schon längst geschnallt haben. Die Sprachfähigkeit ist uns nämlich angeboren, gleich welche Sprache wir sprechen, jede erste Sprache bietet den Grundstein für den Erwerb neuer Sprachen. „Man hat kein Kasterl für deutsch, türkisch oder englisch“, sagt der Bildungswissenschaftler Rudolf de Cillia.? Verhängtes Sprachverbot im Unterricht erlebte auch Boris Pahor für sein Slowenisch. Der Autor, 1913 in Triest, Trst, geboren, erlebte das Jahrhundert der europäischen Genozide, die Verfolgung seiner Minderheit der Slowenen unter den italienischen Faschisten und unter dem deutschen, nationalsozialistischen Terror. 1944 wurde er in Triest verhaftet, gefoltert und deportiert, weil er der jugoslawischen Befreiungsfront beigetreten war. Der Slowene wusste, wenngleich anders als Jean Améry, dass der Gefangenschaft im Lager mit keinen Kategorien der Vernunft beizukommen sei. Die Sinnhaftigkeit der Existenz im KZ war zu verwerfen. Pahors Sprachkenntnisse halfen ihm, als Krankenpfleger zu überleben. „Nekropolis“ ist der berühmteste Roman des slowenischen Dichters aus Triest, der in den 1960iger Jahren die Erinnerungen an Lagerqualen in Dachau, Natzweiler-Struthof, Harzungen, dem Außenlager von Mittelbau-Dora, und Bergen-Belsen festhält. Wie eine Filmkamera habe der Protagonist die Ereignisse um sich herum aufgezeichnet. Mit ernüchternder Sachlichkeit, raschen Schwenks und abrupten Schnitten, mit denen alle Lager in einem Platz finden, halte er seine Geschichte als Reflex auch auf den Nouveau Roman fest, heißt es in einer Frankfurter Rundschau-Besprechung von 2001,° als der Roman zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt worden war. Die Rückkehr nach Triest und sein Versprechen an die „Manen“, die guten Geister der Getöteten und Verfolgten, lassen Pahor erzählen. Die Erinnerung gestaltet die Lagerschilderungen des Romans aus, den er erst Jahrzehnte nach der Befreiung aus Dachau veröffentlicht. Im Juli 1920 wurde er Zeuge der Brandlegung am slowenischen Volksheim in Triest, wo aus Hass auf die Slowenischsprachigen mit sadistischer Schadenfreude reagiert und getanzt wurde. „Eine solche Tragödie hatten die Slowenen in ihrer harten Geschichte noch nicht erlebt und es traf sie umso schwerer, als man im selben Jahr 1920 auch in Kärnten ein Kapitel aufschlug, das der Zukunft der Slowenen nicht gesonnen war.“ Pahor führt in 10 ZWISCHENWELT seiner Schrift „Versiegelte Beglaubigungsschreiben“* aus: „Die Slowenen galten als ‚ungeschichtliches‘ Volk, bzw. wurden nicht einmal für ein Volk gehalten.“ Pahor schreibt und erwägt weiter, „dass die Entwicklung Mitteleuropas anders verlaufen wäre, hätte Wien der am 30. Juni 1917 vom jugoslawischen Klub im Wiener Parlament eingebrachten Mai-Erklärung zugestimmt. Worin eine Unabhängigkeit unter Habsburg-Lothringischer Monarchie erreicht werden sollte und eine Anerkennung des slowenischen Volkes zu einem staatlichen Gebilde vereint. [...] Nach dem Ersten Weltkrieg war das Volk der Slowenen auf mehrere Staaten aufgeteilt. Die Propaganda für die Volksabstimmung über den Verbleib Südkärntens bei Österreich wurde durch Assimilierungsdruck ersetzt und in Italien mit der Landung der italienischen Streitkräfte konsequent, später durch den Nazismus und Faschismus ausgeführt. [...] Beide Entwicklungen erwiesen sich als unübertroffene Vernichter slowenischer Existenzen an Gut und Leben in den Kriegsjahren.“ Pahor zeigt die fatale Verquickung mit den deutschen Unterdrückern, Bayern, Franken, Salzburgern, Babenbergern und Habsburgern, als Feinde, und anderseits zieht er aus der Unterdrückung und der Konfrontation mit den “Prozessen des deutschen Geistes” das Resümee, dass erste Dokumente für “uns” und das Slowenentum geschaffen und niedergeschrieben werden konnten, von den Freisinger Denkmälern, über die Zeremonie aufdem Herzogstuhl bis zu Primo? Trubars Katechismus in der Windischen Sprach. Die Ekstase des Deutschtums führte in die Verfolgung und Vernichtung; in Kärnten kam es zu zwei Pogromen gegen die slowenische Bevölkerung. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte der von Pahor so genannte „intereuropäische Kolonialismus““ als von der Welt verschwiegener und als natürliche Assimilierung dargestellter Verfremdungsprozess ein, der die Slowenen zu etwas machte, was sie nicht waren, zu einer absolut bestimmbaren nationalen Identität. Kurz, man wurde zum Slowenen gemacht, wegen der Sprache, um sich dann als Slowene zu entscheiden, ob man sein Slowenentum verleugnet oder auslebt. Wie lässt sich slowenische Identität denn verleugnen, als durch die Verweigerung der Sprache? Davon später, denn was es mit der slowenischen Sprache und dem Sprechen auf sich hat, habe ich selbst noch als Kind und Erwachsene mit einigen Brüchen meiner Entwicklung erfahren. Pahor spricht sich für eine Partnerschaft aus, in der Anerkennung und Würdigung der Sprache des einen und anderen, der Minderheit, und für eine Klarstellung, dass „die WINDISCHEN auch Slowenen sind, die unter der Fremdherrschaft ihr Selbstbewusstsein verloren haben“, ” und nicht eine dubiose Zwischenstufe darstellen, wie in Kärnten propagiert worden war, wo gewissermaßen ein eigener Volksstamm erfunden wurde, etwas zwischen Slawe und Germane, durch welchen der Slowene zum Windischen und schließlich zum deutschen Kärntner werden sollte. Pahor schreibt geradezu liebevoll, dass die slowenische Sprache, „auch wenn sie die Sprache eines bescheidenen Volkes“ ist, von Ziga Herberstein, dem Autor der Rerum Moscoviticarum commentarii, schon 1549 für ihre Nützlichkeit im diplomatischen Dienst gelobt worden sei.’