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Pahor ist kein Versöhnungsprediger, er will die Knoten lösen und die Siegel der Beglaubigungsschreiben brechen, um zu dem zu kommen, was er nach Srecko Kosovel zitiert: „Seien wir eins im Geist und in der Liebe, aber bewahren wir unser eigenes Gesicht.“ Das Gesicht. Ich schreibe auf Deutsch und es wäre Slowenisch möglich, sogar Italienisch, hätte mich die Sprachfähigkeit mit Talent geschlagen. Ich spreche Englisch, hadere mit meinem Französisch, radebreche Italienisch, und das Slowenische beschränkt sich auf ein paar Floskeln. Ich komme cher aus einem Dorf an der Grenze, wenn auch nicht aus Triest, das ich mit Joyce, Svevo, Saba verbinde und nicht mit den slowenischen Literaten, wie mit Boris Pahor. Durch ihn lerne ich Triest anders kennen, weniger sauber, weniger urlaubsfähig, viel lebendiger als die angedichtete Morbidezza dichter Vitalität. Die Sprachen der Geschichten holen mich ein und im Schreiben auf Deutsch mische ich die Einflüsse wie Töne, die, aus welchen Stimmen auch immer sich ergebend, mein Denken literarisch nutzbar machen. Pahor wird gerade wegen seines Romans „Nekropolis“” in einem Atemzug mit Jorge Semprun, Imre Kertész, Primo Levi und Jean Améry genannt, mit den grofen Dichtern und Köpfen des 20. Jahrhunderts, die, der Vernichtung entkommen, mit ihren Werken unschatzbare Geschenke auch der deutschen Sprache und der Literatur vermacht hatten. Primo Levi schrieb sein Auschwitzbuch „Ist das ein Mensch“ kurz nach der Riickkehr aus dem KZ. Améry ver6ffentlichte erst 1966 zu den Frankfurter Prozessen seine berühmten Essays, in denen er die Exil-Disposition eines deutschsprachigen, intellektuellen, nicht-nicht-jüdischen Überlebenden ausleuchtet und klarstellt, dass ein Verstehen unmöglich ist und das Exil ein Entfremdungsprozess von der Welt bleibt und auch von den Möglichkeiten, die man gehabt hätte, wäre man am Ort der Sicherheit verblieben, hätte es ihn je gegeben. Pahor veröffentlicht Erzählungen und Bücher zum Leben der slowenischen Triestiner. Die Sprache zu verbieten war der Beginn des Terrors. Die Grundschule durfte noch auf Slowenisch absolviert werden, unter Mussolini war dann das Slowenischverbot verhängt, wie in Österreich unter Hitler, was ich mir bei meinen Großeltern schwer vorzustellen bereit bin, weil deren Deutsch nicht befriedigend gewesen sein konnte, zu Hause sprachen sie gewiss Slowenisch, wenn auch Deutsch versuchend. Pahor schrieb und veröffentlichte schon vor dem Zweiten Weltkrieg auf Slowenisch. Eines der Bücher Pahots, erschienen im Hermagoras Verlag 2009, trägt den Titel „Geheime Sprachgeschenke“ und handelt von verbotener Literatur.'® Militärdienst 1940, Libyen-Einsatz. Nach Mussolinis Sturz schloss Pahor sich der slowenischen Volksbefreiung an. 1944 verhaftet. KZ. 1945 nach einem Aufenthalt in einem Krankenhaus bei Paris Rückkehr nach Triest. Ein Studium in Padua, und zwar der Literatur. Er war Herausgeber von Literaturzeitschriften und seine Aktivitäten richteten sich bis zuletzt gegen Chauvinismus und gegen politische Opportunität bis zu seinem Tode. Wie der in Wien lebende Lev Detela, Schriftsteller und Übersetzer, 2011 ausführte, war Pahor auch bei den jugoslawischen Machthabern und Kommunisten in Ungnade gefallen, weil er Artikel veröffentlichte, etwa von Edvard Kocbek, einem christlich-sozialistischen Partisanen, der die Ermordung Tausender nach dem Zweiten Weltkrieg entwaffneter Domobranci in der Novellensammlung „Strah in pogum“ (Furcht und Mut) behandelte und Partisanen Boris Pahor im Literarischen Quartier Alte Schmiede, Wien 2005 anprangerte, die die demokratische Struktur der Befreiungsfront untergruben und Rachemorde an slowenischen Heimwehrsoldaten, Unterstützern der italienischen Besatzer und der Nationalsozialisten begangen hatten. Und der daraufhin von der Partei mit Schreibverbot belegt und seines Amtes als Kulturminister enthoben wurde." Triest ist der literarische Heimatort Pahors. Hier findet seine Literatur, die Suche nach Identität statt, die es nur als Suche und Ausdruck in der Sprache gibt. Triest wird für mich, die ich dort als Touristin wandle und die Konzentrationslager besuche, zu einer Mischung aus Sphären, die sich aus Kärnten, dem Dorf an der Grenze, der italienischen Sprache, dem Espressofauchen, dem Meeresduft und Rauschen zur übersetzten Literatur des Iren Joyce und des Italieners Svevo mengt. Ich fühle mich nicht wie in Italien, also weit weg von Kärnten, wenn ich in Triest bin. Die Zweisprachigkeit der Gebiete, das einst geteilte Goricia, die Grenze in der Stadt, das italienische Gorizia mit seinem Bürgermeister aus der Forza Italia, der in den Popolo della Libertä Berlusconis mutiert ist, und die Elegien Rilkes um Duino, rücken ins Bewusstsein, wie dicht das Geflecht aus Nachzulesendem ist! Deutsch, Italienisch, Slowenisch, Englisch, gedrängt in eine Ringstraßenarchitektur, wo Pahor aufgewachsen ist. Das ist der Schauplatz der Erzählung „Feuer im Hafen“, in welcher das Kind die österreichischen Kriegsschiffe majestätisch in der Bucht von Muggia/Milje untergehen sicht.'? Die Schichtung macht die Atmosphäre aus, die Pahor empathisch mit den Augen eines Kindes wahrnimmt, und die Perspektive zur Introspektion und Kritik eines Literaturprofessors ausreifen lässt, der in der letzten Geschichte des Bandes „Blumen für einen Aussätzigen“ nach Florenz fährt, aus seinem Triest zu einer Raffael-Ausstellung. Der slowenische Italiener wird von einem Mitreisenden aggressiv beäugt. Warum nur? Der Protagonist weiß es sofort: Weil er Slowenisch spricht. Wie nah mir diese Szene geht, denn was habe ich gesagt, als ich mit meiner Mutter in die U-Bahn einstieg in Wien und als wir draufkamen, dass sie kein Ticket hatte? Wenn sie mich erwischen, sagte sie, dann spreche ich September 2013 11