OCR
Slowenisch, das kann der Kontrollor sicher nicht und lässt mich laufen. Sie war in Wien und nicht Kärnten war in Wien, aber ich schluckte, besser nicht, dachte ich, besser du sprichst nicht Slowenisch, sonst wirst du schlechter behandelt. Hätte sie Französisch gesprochen, hätte ich so nicht gedacht. Sprachverbot. So tief sitzt das Ressentiment, ich weiß es doch, wie schlecht bewertet das Slowenische in Kärnten war. Über das zwanzigste Jahrhundert hinweg war Slowenisch abgewertet. Thomas Pluch führte die Diskriminierung der slowenischen Minderheit in seinem Fernsehvierteiler vor, fein seziert, bis in den Mikrokosmos der Figuren hinein, die Verleugner, die Verräter, die Helden, die nietzscheanischen über sich selbst Lacher. Und für diese Leistung wurde er Volksschädling und Nestbeschmutzer von der gesamten Landesregierung tituliert, weil er slowenische Menschenschicksale zeigte." Pluch spannt den Bogen über eine Epoche von 90 Jahren. Kleine Leute im Alltag, die im Lauf der Geschehnisse ihrer Zeit verhangen sind, feststecken, als die Grenzkämpfe zwischen DeutschÖsterreich und dem SHS-Staat beginnen. Die Volksabstimmung fand am 10. Oktober 1920 statt, die deutschnationale Germanisierungspolitik in Rassen- und Aussiedlungspolitik erreichte zwischen 1942 bis 1945 den Höhepunkt, was im Scheitern der Aufarbeitung und Wiedergutmachungspolitik im Kontext der sozialen Aufstiegsmöglichkeiten für slowenische Kärntner sich bis ins 21. Jahrhundert fortsetzte.'* Vielleicht gibt es jetzt eine Chance für Einsicht, nachdem die Haider-Jahre vorbei und die korrupte Politik abgewahlt ist. Pahors Unruhe, schreibt Lev Detela,’ sei fruchtbar. Pahor als Zeugs, als Erzähler. Seine Triebfeder ist das Erzählen für die guten Geister, denen er Rückgrat, Selbstwert und aufrechten Gang, Mut zuspricht. Er erzählt vom Erzählen der Verstorbenen, Verspotteten, Ermordeten, erzählt, was sie erzählt hätten, und das auf Slowenisch. Sein Werk-Register ist lang, man lese die in ZW Nr. 1-2/2011 abgedruckte Rede nach, wo es anlässlich der Verleihung des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst an Boris Pahor heißt: „Pahor richtet sich gegen ein Wiedererwachen völkischen Revanchismus, gegen die Unterdrückung von Minderheiten, die gegenüber dem Gang der Geschichte mit dem Rücken zur Wand stehen.“ Pahor versucht die Vision einer Rettung, Kraft der Liebe. Die Figurenzeichnung geschieht mit Takt und fast meint man, der Krankenpfleger, der er war, versucht, Trost zu schreiben für die Gezeichneten. Er sucht nicht Versöhnung mit den Tätern, es sind die Ausgelieferten, denen er Hoffnung zuspricht, wie sich selbst, einen Weg in ein Europa wider den Neo-Regionalismus beschreibend, wie ich denke, durch sein Werk. Es ist kein Versöhnungs-Unterton, der hier mitzuschwingen angedacht sein könnte, er ist von Kopfschütteln begleitet gegen Chauvinismus und Faschismus, Gewalt und die Irrationalität der Kriegsgräuel. Der Dichter verfügt über die dramaturgischen Feinschliffe, Szenen und Situationen aufzubauen und sie überraschend „aufpoppen“ zu lassen. Auf diese Weise zeigt seine Sprache ihr Vermögen sich radikal zu wandeln, dialogisch eher konventionell gehaltene Erzählungen zur polemischen Suada anschwellen zu lassen, wenn zum Beispiel ein miauender Kater als Lebensretter besungen wird, oder eine kleine Beobachtung in essayistische Reflexion über Sprachrassismus mündet. 12 ZWISCHENWELT In seiner letzten Geschichte schlägt Pahor einen gangbaren Weg für eine lebbare Welt ein. Das Zusammenleben an prekären Bruchstellen beginnt in Triest und handelt von der literarischen Sprache, um lebendig und mit aufrechtem Gang durchzukommen. Für Pluch war es schon wichtig aufzuzeigen, wie der nationalistisch instrumentalisierte Gebrauch der deutschen oder slowenischen Sprache zur Charakter- und Existenzfrage seiner Figuren wurde.'° Und der Ich-Erzähler in „Ein Kurzer Aufenthalt auf dem Ponte Vecchio“, ein slowenischsprachiger Professor für Literatur, zitiert Dante, wonach dieser im Convivio „die Verräter der eigenen Sprache brandmarkt, indem er sagt, ,s’é vile in alcuna [cosa], non & se non in quanto elli suona ne la bocca meretrice di questi adulteri‘.“ (Wenn die Muttersprache in irgendeiner Weise niedrig ist, dann aus dem dirnenhaften Munde dieser Ehebrecher.) Mit den Werken Boris Pahors wird ein Europa der Regionen, wie so oft propagiert, hinterfragt, und als Rückzugsidee ins Idyll für absurd erklärt, denn die Projektion, dass die Region Heimat und, im Amery'schen Sinne, Sicherheit bieten könnte, um unsere Globalisierungsängste oder Zentralismus-Furcht vor Europa zu bekämpfen, ist verfehlt. Die Region ist so kaputt und bedarf ihrer Geschichtsprüfung, um des Unrechts und der Menschenhatz eingedenk Frieden zu schaffen, und nicht ein Padanien neoliberalen Rassismus’ zu werden, dessen Unterscheidungsmerkmal dann, wie Karl-Markus Gauß sagt, ein rassistisches Intimorgan, nämlich der Geldbeutel ist." Anmerkungen 1 Bernd Vasari: Strafe für türkisch reden. In: Wiener Zeitung, 14.6.2013. - www. wienerzeitung.at/nachrichten/wien/stadtpolitik/554805_Strafe-fuertuerkisch-reden.html 2 Zit. nach B. Vasari, wie oben. 3 Jörg Plath: Mann der gequalten Menge. Von der verdrängten und wiederkehrenden Erinnerung: Boris Pahors „Nekropolis“. In: Frankfurter Rundschau, 4.8.2001. 4 Boris Pahor: Versiegelte Beglaubigungsschreiben. Überlegungen zum Jubiläum. In: www.zeitdokument.at/ztdok/b_tx36.html 5 Ebenda. 6 Ebenda. 7 Ebenda. 8 Ebenda. 9 Von mir gelesen in der Ausgabe: Nekropolis. Roman. Berlin: Berliner Taschenbuchverlag 2003. 10 Vgl. Lev Detela: Boris Pahor, ein Zeuge unserer Zeit. In: ZW 28 (2011), Nr. 1-2, 62-64. 11 Ebenda, bzw.: Karl Müller: Spielball der Geschichte - Modellfall Kärnten. Vortrag. (Homepage K. Müller). Vgl. auch: Wilhelm Baum: Edvard Kocbek in Klagenfurt. Der „Prager Frühling“ und die Slowenen. In: ZW 28 (2011), Nr. 1-2, 64f. 12 Vgl. Boris Pahor: Blumen für einen Aussätzigen. Slowenische Novellen. Klagenfurt, Wien: Kitab 2004. Bzw. L. Detela, wie Anm. 10. 13 Vgl. L. Detela, wie Anm. 10. 14 Vgl. K. Müller, wie Anm. 11. 15 L. Detela, wie Anm. 10. 16 K. Müller, wie Anm. 11. 17 Vgl. Karl-Markus Gauß: Das europäische Alphabet. Wien: Paul Zsolnay 1997.