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Boris Pahor Ein Spaziergang auf dem Acquedotto Die Asphaltstraße zwischen den zwei Baumreihen war von abgefallenen Blättern übersät. Die Feuchtigkeit und die Schuhsohlen hatten sie schon zerdrückt, so dass der Boden mit einer gelblichen Masse bedeckt war. Es sah so aus, als hätte man die Promenade, die leicht, kaum merklich, bis zum Theater Rossetti und darüber hinaus bis nach Vrdela ansteigt, mit Safran bestreut. Wegen dieses getupften Teppichs und weil es in den ersten Nachmittagsstunden nicht viel Leute dort gibt, hatte die Herbstatmosphäre einen AnHug von irgendetwas undeutlich Weichem und Zugetanem. So drückte ich die Ellbogen an den Körper (ich hatte die Hände in die Manteltaschen gesteckt) und ergab mich dem Gefühl der gütigen Vollkommenheit von allem Bestehenden. Solche begnadeten Situationen sind so kurzlebig, dass man sich wünscht, es könnten sich solche inneren Oasen auch auf die Umgebung erstrecken oder gar über der ganzen Welt erblühen. Doch, wie man weiß, dass solch naive Wünsche nicht in Erfüllung gehen können, so ist es einem auch bewusst, dass seine Oase alsbald von den Wolken des gelben Sturmes überfallen wird. So geschah es tatsächlich. Herr Antoni€ überquerte nämlich zehn Schritte vor mir den Acquedotto, ohne jedoch erkennen zu lassen, dass er mich gesehen hat. Dünn, gelenkig und ohne Kopfbedeckung lief er schnell wie üblich. Es stimmt zwar, dass er sozusagen schräg vor mir vorbeigelaufen ist, doch ich könnte wetten, dass er mich absichtlich überschen hat. Die heutigen Zeiten stimmen manch einen Ladenbesitzer nachdenklich, so dass er vorzeitig das Haus verlässt, um die eine oder andere Rechnung in Ordnung zu bringen, doch man merkt ganz genau, ob jemand tatsächlich in sich gekehrt ist, oder sein Blick in einer Zehntel Sekunde selbsttätig wegschaut. Er hat mich verleugnet und das genau in dem Moment, als ich erwartete, dass er mit seiner Beredsamkeit meine heitere Simmung bestärke. So aber wurde die Allee aufgrund seines Wegschauens etwas ganz Alltägliches. Ich erwachte aus meinen Träumereien und ermahnte mich sogar selbst, weil mich die herbstlichen Alleen, die kupfernen Weinstöcke und der pompejische Perückenstrauch so schnell vereinnahmten. Der safranfarbene Weg unter den Bäumen hörte aufein pointillistisches Bild zu sein; ich dachte sogar daran, dass der Straßenkehrer mit seinem Besen wie mit einer Sense jene bunten schuppenartigen Teilchen wegfegen würde. Ich weiß, dass dieses Umschwenken auf jeden Fall zu schnell ist, es wäre aber zwecklos, wenn ich versuchte, mich bei solchen Veränderungen zu kontrollieren. Ich würde gar nichts erreichen. Diesmal insbesondere nicht. Denn das unverständliche Verhalten von Herrn Antoni hat mich nicht nur der goldgelben Farben beraubt, sondern mich auch gezwungen, mich mit ihm, Herrn Antoni£, zu beschäftigen. Als aber die Geschichte in mir erwachte, mit der er vor einiger Zeit Herrn Peric und mich beschenkt hatte, leuchtete mir ein, warum er mir so unschön ausgewichen war. Herr Peric und ich empörten uns damals auf dem Gehsteig vor seiner Wettannahmestelle über das Gemetzel von Frauen und Kindern in El Zaatar in Libanon und über die Fanatiker verschiedener Ideologien, die meinen, dass sie mit solchen Interventionen ihr Recht beweisen werden. Während wir so philosophierten, näherte sich Herr Antonic. Da der Gehsteig schmal war, war er nun durch den Neuankömmling fast vollständig barrikadiert, so dass mal der eine, mal der andere von uns den Fußgängern, die vorbei wollten, Platz machen musste. Da wir uns der Reihe nach bewegten, sah es so aus, als würden wir uns bei der Unterredung langsam im Kreise drehen. Herr Antonic wartete aufgeregt, fast ungeduldig, uns ins Wort fallen zu können. Er war so ungeduldig, als wäre in ihm etwas ausgelöst worden, woran er schon längst nicht mehr gedacht hatte, am wenigsten jetzt, als er aus seinem Laden gekommen war, um im Cafe seinen Espresso zu trinken. „Wissen Sie“, fragte er schließlich etwas außer Atem, „dass mein Taufpate der Befehlshaber der Isonzo-Front gewesen ist?“ „Doch nicht gerade ein Befehlshaber“, sagte der Peric, dem die blutigen Vorkommnisse in Libanon kaum in Verbindung mit der Isonzo-Front zu stehen schienen. Er war aufs Witzeln eingestellt, was die bedrückende Atmosphäre aufgelockert hätte. Doch Herr Antonie war so erregt, dass wir beide aufmerksam wurden. Aufgrund seiner unsteten schwarzen Augen, seines dunklen Oberlippenbärtchens, das er sich bei Charlie Chaplin geborgt zu haben schien, und seines spitzen Bartes, ist sein Gesicht immer herzlich bewegt; diesmal hatte es aber den Anschein, als hätte ihn unsere Unterredung über die Geschehnisse auf libanesischem Boden ganz und gar mitgenommen. „Mein Vater war ein hoher Offizier bei der österreichischen Armee“, sagte er, und er drehte sich noch im gleichen Moment, um eine Dame mit einer Plastiktüte in der Hand vorbei zu lassen. Auf der Fahrbahn indes jagten sich die Autos, als würden sie einen unsichtbaren Entflohenen ereilen wollen. „Als sich die Stunde meiner Ankunft auf dieser Welt näherte“, erzählte Herr Antoni£, „machte sich meine Mutter auf den Weg zur Isonzo-Front, um bei der Entbindung ihren Mann, das heißt meinen Vater, bei sich zu haben.“ „Ein interessanter Fall“, meinte der Peric. „Ich weiß von einer Dame, die während des Ersten Weltkrieges alle drei Söhne besuchte!“ „Meiner Mutter gelang es aber nicht, meinen Vater zu finden“, sagte Herr Antoni£. „Man hatte ihn gerade in die Berge versetzt. In die Gegend von Bovec. So bin ich in einem Haus am Rande eines Dorfes zur Welt gekommen. Ein komplett leeres Dorf, weil alles Lebende sich ins Hinterland hatte zurückziehen müssen. So hat man mir nach dem Kriege erzählt. Allein ein alter Bauer harrte starrköpfig mit seiner Frau in dem Dorf aus. Sie wollten und wollten ihren Heimatort nicht verlassen. Bei ihnen hat meine Mutter Zuflucht gefunden. Und diese zwei Alten haben dann für mich gesorgt, als die spanische Grippe meine Mutter dahin raffte.“ Jetzt trat ich zur Seite und machte den Durchgang auf dem Gehsteig frei. „Die Spanische hat auch meine Schwester mitgenommen“, sagte ich, um zu betonen, wie jene Kriegszeit auch meine Kindheit beeinträchtigt hat. „Ja, ich war ein Kriegskind“, meinte Herr Antoni£ und schien mich gar nicht gehört zu haben. „Das Wiehern der Maschinengewehre und die Kanonenbässe brummten mir das Wiegenlied. Man hatte auch auf den ärmlichen Hof jener zwei knorrigen Bauern eine Kanone geschleppt. Sie stand auf dem engen Platz zwischen September 2013 13