OCR
Am 2. März 1942 werden fast alle Mitglieder der Zelle von den „Spezialkräften“ der französischen Polizei verhaftet und tagelang gefoltert. Am 23. Mai werden Georges Dudach, er ist gerade 28 Jahre alt, Georges Politzer und viele andere Männer der Gruppe hingerichtet. Charlotte Delbo darf am Morgen der Hinrichtung noch einmal ihren Mann sehen. Den Besuch in seiner Zelle beschreibt sie eindrucksvoll im Prolog ihres Einakters „Une scene jouée dans la mémoire“ (Eine Szene, in der Erinnerung gespickt): Und so haben sie ihn mir in einem Monat Mai erschossen Ich beneide sie alle die akzeptieren konnten dass die Ihrigen geopfert werden Ich Ich hab mich aufgebäumt habe es kaum geschafft nicht vor ihm aufzubrüllen! Charlotte Delbo wird noch einige Monate in Frankreich von Gefängnis zu Gefängnis transferiert, bis sie schließlich am 24. Jänner 1943 nach Auschwitz-Birkenau deportiert wird. Aufdem Transport befinden sich 230 Frauen, zumeist KommunistInnen, darunter auch Mai Politzer, die Frau von Georges Politzer, und die berühmte R&sistance-Kämpferin Danielle Casanova, sowie 1.466 Männer. Die Männer kommen nach Sachsenhausen, die Frauen nach Auschwitz-Birkenau, Charlotte Delbo bald ins Nebenlager Raisko. Es ist der letzte Transport von Politischen aus Frankreich nach Auschwitz. Den Frauen, welche die Marseillaise singen, als sie aus den Viehwaggons getrieben werden, werden Nummern ab 31.000 eintätowiert, Charlotte Delbo die 31.661. Von den 230 Frauen sterben bis April 1943, also in drei Monaten, 160 an Typhus. Charlotte Delbo wird schreiben, dass es für Auschwitz wohl fast einzigartig war, dass von einem Transport so viele Menschen überlebt haben.” 49 Frauen des Transports vom 24. Jänner 1943 werden die Befreiung erleben, darunter Charlotte Delbo, im Jänner 1944 nach Ravensbrück deportiert und schließlich dort am 23. April 1945 befreit. Viele der 230 Frauen werden in Charlotte Delbos Schriften erwähnt, beschrieben, vielen wird eine Hauptrolle zuteil, vor allem den zahlreichen einfachen Arbeiterinnen und Hausfrauen, allesamt in der Resistance, die sonst im Meer der Anonymität und Zahlen verschwunden wären. O ihr Wissenden wusstet ihr, dass Hunger die Augen glänzen lässt dass Durst sie trübt O ihr Wissenden wusstet ihr, dass man seine Mutter tot sehen und keine Tränen haben kann O ihr Wissenden wusstet ihr, dass man morgens sterben will und abends Angst hat O ihr Wissenden wusstet ihr, dass ein Tag linger dauert als ein Jahr eine Minute linger als ein Leben O ihr Wissenden wusstet ihr, dass Beine zerbrechlicher sind als Augen Nerven härter als Knochen das Herz widerstandsfähiger als Stahl Wusstet ihr, dass die Steine am Weg nicht weinen, dass es nur ein Wort für Entsetzen gibt nur ein Wort für Angst Wusstet ihr, dass das Leiden keine Schranke kennt der Schrecken keine Grenze Wausstet ihr es ihr Wissenden? Nach der Befreiung engagiert Louis Jouvet, der aus dem Exil zurückkehrt, Charlotte Delbo wieder an seinem Theater. Doch ist sie zu geschwächt für die Theaterarbeit, auch ist ihr Herzmuskel entzündet. Sie muss nach einigen Monaten kündigen und lässt sich in einem Spital in der Schweiz pflegen. Zur Bettruhe gezwungen, beginnt sie zu schreiben, es entsteht „Keiner von uns wird überleben“. Das Schreiben ist wie ein Zwang, sie muss berichten, sie muss Zeugnis ablegen. Publizieren wird sie ihre Beobachtungen und Erinnerungen an das Lager, an ihre Freundinnen im Lager, an die erlebten Gräuel jedoch erst zwanzig Jahre später. Nach ihrer Genesung kehrt sie nach Paris zurück, arbeitet wieder kurz am „Iheätre de ’Athenee“, verlässt dieses, um dann 15 Jahre lang für die UNO zu arbeiten. Als sie die UNO 1960 verlässt, publiziert sie ihre ersten Bücher, zunächst eines über bzw. gegen den Algerienkrieg. 1965 wird „Keiner von uns wird überleben“ veröffentlicht, es folgen noch September 2013 19