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Vor Jahren lernte ich Zwi Helmut Steinitz im Abgeordnetenhaus in Berlin kennen als er, moderiert von Avi Primor, dem ehemaligen Israelischen Botschafter in Bonn, aus seinem Leben erzählte. Seitdem wird er, inzwischen auch zusammen mit Regina Steinitz, seiner 1930 in Berlin geborenen Frau, häufig nach Deutschland zu Gesprächen eingeladen. Vor allem in Schulen spricht er gerne. Im Auditorium der „Topographie des Terrors“ in Berlin wurde „Die blonde Provinz“ gezeigt, ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 2009 von Jacek Kubiak, Poznan, und Klaus Salge, Deutschland. Tausende Polen trieben die Nazis in den Osten des Landes. Polnische Geistliche, Lehrer, Journalisten, Schriftsteller, Wissenschaftler wurden kurzerhand ermordet, die Juden kamen in Vernichtungslager. Volksdeutsche aus dem Baltikum wurden „Heim ins Reich“ geholt, wohnten seitdem in den verlassenen Wohnungen und Häusern der vertriebenen christlichen und jüdischen Polen in Poznan/Posen. Die Nazis schufen in Windeseile das „Reichsgau Wartheland“. „Eine blonde Provinz“, so Heinrich Himmler, ein Experimentierfeld zur Züchtung einer germanischen Herrenrasse, sollte entstehen. Die Protagonisten des Films sind drei Männer, die damals noch Kinder waren. Alle drei hatten einen Bezug zu Poznan. Dieter Bielenstein wurde in Lettland geboren, seine Familie 1940 als Volksdeutsche in den neu geschaffenen „Warthegau“ übergesiedelt. Henryk Jaszcz suchte nach dem Überfall der Deutschen seine Eltern vergeblich in Poznan, schloß sich dem Widerstand Albert Lichtblau, Karl Müller Über das Verbrennen von Büchern Wechselrede auf dem Residenzplatz Am 30. April 2013 wurde in einer öffentlichen Kundgebung in Salzburg der Bücherverbrennung von 1938 gedacht, unter Mitwirkung auch von Tomas Friedmann, Marko Feingold, Barbara Coudenhove-Kalergi. Felix Mitterer las Texte von Stephane Hessel und Ilse Aichinger; Musik von Mordechai Gebirtig. Karl Müller: Schr geehrte Damen und Herren, heute auf den Tag genau sind 75 Jahre ins Land gezogen, seitdem hier zwischen Dom, ehemals fürsterzbischöflicher Residenz und barockem Residenz-Brunnen, in der Kultur- und Festspielstadt Salzburg, ein Scheiterhaufen loderte — etwa 1.200 Exemplare von Zeitschriften und Büchern von 56 bekannten Autorinnen und Autoren, darunter Weltliteratur, wurden verbrannt — unter Anleitung der NS-Lehrerschaft, vorbereitet und durchgeführt von der organisierten nazistischen Jugend und unter tätiger Mithilfe einiger „säuberungswütiger“ Bibliothekare und Buchhändler. „Fort mit dem volksfremden ‚Geistesgut‘!“, so tönte es aus dem Mund der Provinz-Bourgeoisie Salzburgs, fort mit den „Produkten“ der „Juden“, dieses „Geschmeißes“, und fort mit der „Schundliteratur“ der Klerikalen — so lautete das sich modern gebende Verbrennungsmotto für die „restlose Vernichtung“. Und die NS-Lehrerschaft „bürgte“ dafür! Es war der Furor eines intellektuellenfeindlichen und gehässigen Kleinbürgertums, das allen humanistischen und aufklärerischen Werten abhold war. Es war antisemitisch und hatte an. Zwi Helmut Steinitz, seine Eltern und sein Bruder wurden als Juden ins Lager nach Krakau geschafft und weiter nach Belzec, wo die Eltern und der Bruder ermordet wurden. Er selbst wurde weiter in die Lager Plaszöw, Auschwitz, Buchenwald und zuletzt nach Sachsenhausen gebracht. Im April 1945 befreiten ihn die Amerikaner bei Schwerin. Zwi Helmut Steinitz wollte nicht in diesem Land bleiben. 1946 kam er mit dem Schiff nach Palästina. Seitdem lebt er in Tel Aviv. Bruder Theo konnte mit einem Kindertransport nach England fliehen, Benno, der andere Bruder kam nach Auschwitz, überlebte und wurde 1945 in Bergen-Belsen befreit. Der jüdische Vater von Regina Steinitz, den sie schr liebte, emigrierte frühzeitig nach Amerika, und die Trauer um sein Weggehen ist bei ihr noch heute zu spüren. Die todkranke Mutter starb 1940. Regina und ihre Zwillingsschwester Ruth kamen in das Jüdische Kinderheim in die Fehrbelliner Straße. Als eine Umsiedlung der Kinder in ein anderes Waisenhaus stattfinden sollte, wurden Pflegeeltern für die Zwillinge gefunden und die Zeit der Zwangsarbeit kam auf sie zu. Der rettende Engel, ein Onkel, konnte die Zwillingsmädchen 1943 aus den Klauen der Gestapo befreien. Regina und Ruth Anders, wie sie damals hießen, überlebten und gingen nach dem Krieg „zwillingsgleich“ nach Israel, wo sie heirateten und noch immer „um die Ecke“ zusammenleben. — abrechnungssiichtig und gewaltbereit — insbesondere die katholische Kirche und die Träger des verhassten Austrofaschismus im Visier. Fünf Jahre Deutsches Reich seit 1933 waren diesen Provinz-Bürgern Vorbild - sukzessive Entrechtung von RegimeGegnern, z.B. Entzug von Staatsbürgerschaften, Inhaftierungen in Gefängnissen und KZs, Verfolgungen, Morde - und: an etwa 80 Orten des Deutschen Reiches Bücherverbrennungen, von Bad Kreuznach und Berlin bis Würzburg — „symbolische Justifizierungen“, wie es hieß. Ein halbes Jahrhundert später: Im Jahre 1987 konnte, auf der Basis von damals neuen Forschungsarbeiten, das jahrzehntelange kollektive Beschweigen dieses beklemmenden Vorkommnisses vom 30. April 1938 zum ersten Mal gebrochen werden. Der Exilschriftsteller Erich Fried sagte damals in seiner Rede hier auf diesem Platz, es genüge nicht, ein solches Fanal bloß zu verdammen oder pflichtgemäße Gedenkkultur zu üben. Es gelte vielmehr, „die Verbrennung der ganzen Welt zu verhindern“. Erich Fried hatte dabei seine eigene Gegenwart, das Hier und Jetzt im Auge — Analogien, Parallelen - und eine die Menschheit über Jahrtausende hinweg und an unzähligen Beispielen dokumentierte Serie von Vernichtungs-Handlungen. Als 20 Jahre später Robert Schindel — heute vor sechs Jahren - hier an dieser Stelle stand, führte er diesen Gedanken weiter und differenzierte ihn: „Hier stehen wir und gedenken der Bücherverbrennung 38, indes ununterbrochen in vielen Teilen der Welt Menschen verbrannt werden. Achten wir womöglich darauf, dass jene Symbolakte uns September 2013 37