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nicht und nie den Blick verstellen für die aktuellen Barbareien, die unter unseren Augen geschehen.“ Und er fügte im Sinne der immer bedrohten Freiheit des Wortes hinzu: „Denn der Meinungsstreit ist das eine, Verbote etwas ganz anderes. [...] Es liegt im Wesen jeglicher Orthodoxie, gleichgültig welcher Religionen, Ideologien, eine Welt der eigenen Dogmen zu errichten, in denen nur diese Platz haben.“ Etwas Grundsätzliches und Wesentliches wird sichtbar — die Vernichtung des Buches als ein Zeichen der Vernichtung von Geist, Freiheit und Emanzipation und als ein aktuelles und virulentes Problem der Gegenwart. Denn wie ein roter Flammenschein zieht sich das lodernde Rot durch die Geschichte und die Kulturen oder, wie sich Erich Kästner ausgedrückt hat: „Das blutige Rot der Scheiterhaufen ist immergrün.“ Albert Lichtblau: Es gibt immer wieder gute Gründe für das Böse! Die Versprechen klingen ähnlich - sie lauten „Freiheit“, „Säuberung“, „Wahrheit“, „Erlösung“. Viele erhofften sich damals davon eine Erleichterung nach Jahren der Krisen, Belastungen, Ängste, der Gewalt. Der „Befreiungsschlag“ begann mit vielen Schlägen gegen die vermeintlichen „Feinde im Inneren“. Die Salzburger Bücherverbrennung war Teilelement des viel größeren Kontinuums der Gewalt, ein Element der Gewaltspirale, die sich immer weiter drehte, bis die Gewalt am Ende nicht um Bücher ging, sondern um die „Anderen“, die „Ausgegrenzten“, „Missachteten“, „Verachteten“ — um lebendige Menschen. Angesichts der Vernichtung stehen wir vor den Trümmern einer gemeinsamen Geschichte mit denjenigen, die ermordet wurden und denjenigen, die mordeten. Bei dem, was hier vor Ort am 30. April 1938 stattfand, ging es um das Einschwören aufdie neue Ideologie, das Heraufbeschwören eines neuen Gemeinschaftsgeistes, der „Andere“ und „Anderes“ nicht mehr erträgt. Wir haben es mit einer Ansammlung verpasster Möglichkeiten zu tun. Die Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen, hätte es hier gegeben oder an vielen anderen Gelegenheiten, an denen es bei weitem nicht so gefährlich gewesen wäre, dagegen aufzustehen. Aber die Welt hatte sich an den Irrsinn und die Gewalt der Nazis bereits gewöhnt und wollte nicht wahrhaben, dass auch sie bald davon erfasst würde. Sie war überfordert. Warum ist es wichtig, dass wir uns mit (dieser) Geschichte befassen? Eigentlich ist die Antwort einfach: Wir sind Geschichte, wir machen Geschichte, wir benötigen Geschichte, um uns im Hier und Jetzt zu orientieren. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Vergangenheit mit großer Aufmerksamkeit und wachem Verantwortungsgefühl betrachten. Der Nationalsozialismus hinterließ mit seiner Zerstörungswut viele Wunden, Wunden, die fortwirken. Es wäre wohltuend, wenn das Reden und das darüber Nachdenken dabei helfen, die Wunden ein wenig zu heilen. Die Gegenwart benötigt eine reflektierende Erinnerungskultur. Seit den 1990er Jahren wurden in Salzburg viele Gedenkorte im öffentlichen Raum gestaltet — die gute Absicht sei nicht abgesprochen, doch vieles ging schief. Die Tafel zur Erinnerung an die Bücherverbrennung ist ein Beispiel dafür, denn das Mahnmal zur Bücherverbrennung befindet sich nun im neuen Unipark und nicht dort, wo es hingehört, nämlich hierher. Es steht an, dass wir uns vom verschämten Erinnern verabschieden, es ist an der Zeit, dass wir endlich Verantwortung für 38 _ ZWISCHENWELT die Erinnerungskultur übernehmen. Dafür gibt es bereits beeindruckende Beispiele wie die „Stolpersteine“. Karl Müller: Vier Aspekte seien noch erwähnt: Erstens: Im Hitler-Deutschland des Jahres 1933, also unmittelbar nach der sogenannten Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, wurde das öffentliche Bücherverbrennen geradezu eine Mode - nicht zuletzt, um das eigene Volk auf die angeblich modernen Werte der Nazis einzuschwören. Die Feuersprüche sprechen Bände. Bis 1938 hatte sich die Herrschaft des Regimes gefestigt. Bücherverbrennen war nicht mehr nötig und opportun — man wollte international anerkannt werden, also nach außen auftrumpfen. Da kamen etwa die Olympischen Spiele 1936 gerade gelegen, um sich versiert und zivilisiert zu geben. Die Salzburger Bücherverbrennung des Jahres 1938, die sich an den reichsdeutschen Vorbildern des Jahres 1933 orientierte, musste den reichsdeutschen Machthabern als Anachronismus erschienen sein. Das hatte man nun wirklich nicht mehr nötig. Die Salzburger Aktion kann so als das Werk eines kleingeistigen und fanatisierten Strebertums der Provinz begriffen werden, das es offensichtlich nötig hatte, das Bild der Kulturstadt Salzburg gewalttätig im Sinne der Nazis zu „erneuern“, wie sie sich ausdrückten. Zweitens: Bis heute gilt die Ihese, diese Vernichtungsaktion hier auf diesem symbolträchtigen Platz sei 1938 die einzige in der damaligen Ostmark gewesen. Dem ist nicht so: Neuere Forschungen zeigen, dass sich jenes provinzielle Strebertum auch anderswo austobte — etwa in Thalgau, in Reisach im Gailtal’ oder im Zuge der Pogrom-Nacht im November, als Thorarollen zusammen mit anderen rituellen Gegenständen vernichtet wurden, so in Linz und auf einem Sportplatz in Steyr. Sollte es ein Zufall sein, dass der, wie die NS-Presse mehrfach berichtete, einzige Redner an jenem 30. April 1938, jener Nazi-Landesrat und Lehrerschaftsführer namens Karl Springenschmid sich wohl selbst und seinesgleichen portratierte, als er — in einer ihm wohl unbewussten Projektion — das alte „Spießertum“ anprangerte, das es zu vernichten gelte, um die neue „Freiheit“ zu gewinnen, die allerdings „deutsch“, „rassisch rein“ sein musste. Stefan Zweig wusste schon 1933, womit er es zu tun hatte — mit Brutalität, Dummheit, Unterwerfungslust und einer „Haßpsychose“. Zweig schrieb 1933: „Was sonst geschicht, spottet jeder Beschreibung, jede Art von Recht, Freizügigkeit ist in Deutschland aufgehoben, und es wird nur ganz kurze Zeit dauern, und wir haben in Österreich das gleiche Schicksal.“ Drittens: Die kulturgeschichtliche Forschung ist sich einig: So sehr die Bücherverbrennung — wie jene Fanale des Jahres 1933 auf die Auslöschung der österreichischen, insbesondere der jüdischen Literatur von Weltruf, darunter des Werkes etwa von Arthur Schnitzler, Franz Werfel oder Stefan Zweig zielte — das Spezifische aber an der Bücherverbrennung 1938 ist etwas anderes: Man brauchte sich de facto nicht mehr so sehr um die Ausrottung der pazifistischen, linken und kritisch-bürgerlichen Literatur kümmern, denn diese hatten die Kulturfunktionäre des österreichischen Ständestaates zwischen 1934 und 1938 schon zensuriert, wenn auch nicht verbrannt. Karl Springenschmid, der Salzburger „Chefideologe“, konnte sich auf die Auslöschung von Texten „klerikaler Knechtung“, wie er sich ausdrückte, konzentrieren und - in einem Aufwasch — die „jüdische Verderbnis“ gleich mitentsorgen. Und schließlich viertens: Die Bücherverbrennung des Jahres 1938 auf diesem ganz spezifischen barocken Platz hat noch eine