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anmutenden Zeitspanne, einer „amnyotischen“ Epoche (wie sie Eliade nennt), in einem Rumänien, das nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zu Groß-Rumänien geworden ist- ein freies, starkes, demokratisches und relativ wohlhabendes Land. Nach 1933 ändert sich die Lage in Rumänien und in ganz Europa dramatisch. Hitler ergreift die Macht in Deutschland. Die Wirtschaftskrise bestärkt die rechtsextremen Bewegungen, so auch die Legionärsbewegung in Rumänien (die „Eiserne Garde“). Antisemitische Publikationen und Kundgebungen werden sehr präsent im rumänischen sozio-kulturellen Raum. Mihail Sebastian wird brutal an seine jüdische Identität erinnert. Seine Reaktion kommt schnell. 1934 veröffentlicht er einen „jüdischen Roman“ De doud mii de ani/ Seit 2000 Jahren. Eine fast didaktische, autobiographische Prosa. Nicht nur die Antisemiten im Roman decken alle Typologien ab, sondern auch die Juden. Es kommen sowohl der assimilationistische Jude (als alter ego des Autors), als auch der zionistische, marxistische, kapitalistische Jude vor. 1933 bat Sebastian seinen Mentor Nae Ionescu, ein Vorwort zu diesem Roman zu schreiben. In der Zwischenzeit wurde dieser aber zuerst zum Anhänger, dann auch zum Ideologen der faschistischen Bewegung Eiserne Garde. Nae lonescu schreibt ein durch und durch antisemitisches Vorwort. Der Ehre halber veröffentlicht Mihail Sebastian dieses am Anfang seines Romans. Das Buch und das Vorwort rufen einen immensen Skandal hervor. Der Autor wird medial hingerichtet. Angriffe kommen von allen Seiten, von Links- und Rechtsdenkenden, von Rumänen und Juden. Für die rumänischen Nationalisten war Mihail Sebastian zu jüdisch, für die jüdischen Intellektuellen hingegen zu rumänisch. 1935 antwortet er allen seinen Kritikern in einem neuen Buch mit dem Titel Cum am devenit huligan/ Wie ich zum Hooligan wurde. Seine allzu zahlreichen Identitäten („Ich bin Rumäne, Jude und Mensch von der Donau“, pflegte er zu sagen) führen ihn zum Verlust jeglicher Identität. Mihail Sebastian erleidet einen psychonervösen Zusammenbruch. Im Bestreben, mit seiner Depression ins Klare zu kommen, beginnt er ein persönliches Tagebuch zu schreiben. Diese Arbeit führt er zehn Jahre lang, bis zu seinem Tod 1945, fort. Das Ergebnis ist ein Tagebuch mit post-traumatischen Texten von unschätzbarem literarischen und moralischen Wert, in dem der Autor die stufenweise voranschreitende „Rhinozerisierung“ (in den Worten Eug£ne Ionescos, Die Nashörner, 1959) der rumänischen Gesellschaft beschreibt. All seine Freunde driften langsam, aber sicher hin zum Rechtsextremismus und lassen ihn in einer dramatischen Zeit alleine und verletzlich zurück. Es bleibt ihm nur die Lösung des „inneren Exils“. Bedeutend ist die Art und Weise, wie sich Mihail Sebastians Beziehung zu seinem besten Freund, dem Religionshistoriker Mircea Eliade, der selbst zum Anhänger der Eisernen Garde geworden ist, entwickelt, bzw. rückentwickelt. (Hierzu habe ich eine Studie publiziert: Mihail Sebastian and Mircea Eliade: Chronicle ofa Broken Friendship, New York: Palgrave Macmillan 2011). Mit Grauen verfolgt Sebastian den Aufstieg des Antisemitismus zur Staatspolitik, die Rassengesetze, die ab 1938 nach dem Vorbild der Nürnberger Gesetze von 1935 durchgesetzt werden, den Zwang, dass die Juden einen gelben Stern tragen müssen, die Gewaltakte, die faschistische Studenten gegen ihre jüdischen Kommilitonen verüben, deren Vertreibung von den Universitäten (numerus clausus, numerus nullus), später die Pogrome 1940-1941 (in Dorohoi, Bucuresti, Iasi, Odessa usw.), Rumäniens Kriegseintritt an der Seite Hitlerdeutschlands, die Deportation der Juden nach Transnistrien, deren Dezimierung usw. Wie allen anderen Juden werden auch ihm das Radio (aus dem der Musikfreund Sebastian symphonische Konzerte zu héren pflegte), das Telefon, der Fotoapparat, sogar die Skier weggenommen. Man verbietet ihm, den Rechtsberuf auszuiiben. Alle seine Biicher weden aus Buchhandlungen und Bibliotheken verbannt. Man verbietet ihm jegliche Veröffentlichungen (ein Theaterstück, Steaua färd numel/ Der Stern ohne Namen, wird 1944 doch noch gespielt, allerdings unter streng geheimem Pseudonym und immensen Risiken). Obwohl Mihail Sebastian in kein Lager deportiert wurde, ist sein Tagebuch symbolisch betrachtet in paradoxer Weise dennoch das tragische Geständnis eines Überlebenden des Holocaust. Die schiere Angst vor der Deportation kann traumatisierender als die Deportation selbst sein. Venichtet wurde er allenfalls, wenn nicht physisch, dann auf jeden Fall bürgerlich (Vernichtung, zufolge der Wannseer Konferenz, 20. Januar 1942). 1944 wartet er angespannt auf den Einmarsch der Roten Armee, merkt dann aber schnell, dass ein Albtraum von einem anderen abgelöst wird. Ein totalitäres Regime, der Faschismus, wechselt sich ab mit einem anderen totalitären Regime, dem Kommunismus. Die Stellung, die er bezicht, ist die einzig richtige: Er bleibt ein demokratischer Intellektueller, der Faschismus und Kommunismus in gleichem Maße ablehnt. Gleich nach Kriegsende lehnt es Sebastian demonstrativ ab, für eine kommunistische Tageszeitung, Romänia liberä, zu arbeiten. Am 29. Mai 1945 stirbt er im Alter von 38 Jahren, als er auf der Straße von einem sowjetischen Lastfahrzeug erfasst wird. Wir werden nie erfahren, ob es sich dabei um einen gewöhnlichen Verkehrsunfall oder um einen brutalen politischen Auftragsmord gehandelt hat. Mihail Sebastians Tagebuch wurde erst 50 Jahre nach seinem Tod, 1996, veröffentlicht, hatte einen bedeutenden Einfluss auf die Intellektuellenkreise Rumäniens und trug viel zur Vergangenheitsbewältigung der rumänischen Gesellschaft bei. Das Tagebuch wurde ins Englische, Französische, Deutsche usw. übersetzt. Die deutschsprachige Ausgabe, übersetzt von Edward Kanterian, erschien 2005 im Claassen Verlag (München & Berlin). Sie erhielt ausgezeichnete Kritiken in den wichtigsten Publikationsorganen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Tagebuch wurde mit dem begehrten „Geschwister-Scholl-Preis“ ausgezeichnet, der in der Regel einem Buch, dessen Autor durch seinen intelektuellen, ästhetischen und moralischen Mut zur Stärkung der bürgerlichen Verantwortung beiträgt, verliehen wird. Zu den früheren Preisträgern zählen Autoren wie Saul Friedlaender, Victor Klemperer und Raul Hilberg. Aus dem Rumänischen von Alexandru Nebeja Andrei Oisteanu, geb. 1948 in Bukarest, studierte Ethnologie, schrieb über rumänische Folklore und Volksmythologie und veröffentlichte die 2010 auch auf Deutsch erschienene umfassende Studie „Konstruktionen des Judenbildes: Rumänische und ostmitteleuropäische Stereotypen des Antisemitismus“ (Berlin: Frank e& Timme). Er unterrichtet am Zentrum für Jüdische Studien der Universität Bukarest und leitet an der Rumänischen Akademie das Fachinstitut für Religionsgeschichte. — In Wien weilte er auf Einladung des Rumänischen Kulturinstituts, des Instituts für Judaistik an der Universität Wien und der Theodor Kramer Gesellschaft. Dezember 2013 9