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Konstantin Kaiser Laudatio anläßlich der Verleihung des Adalbert-Stifier-Preises des Landes Oberösterreich an Erich Hackl, 15. November 2013 Eine Eigenheit von guten Erzählungen und Romanen scheint, daß sie den Knoten des Verhängnisses zu schürzen wissen, und zwar aus den Handlungen der Beteiligten heraus, und dies mit solcher Dringlichkeit tun, dass man stets auf das Eintreten einer Figur von außen zu hoffen beginnt, einer Person, die endlich mit größter Redlichkeit, Tatkraft und Entschlossenheit den zur Würgeschlinge straffgezogenen Knoten zu lösen vermag. Das kann ein Arzt, eine mutige Frau, ein unbestechlicher Richter, sogar ein Ordnungshüter sein, der bloß seines Amtes waltet. Jedenfalls jemand, der keine Tücke im Schilde führt, sich Rechenschaft über sein eigenes Tun abzulegen fähig ist, sich um andere zu kümmern vermag. Sie oder er können und wollen heifen- und erheben sich damit über die Ohnmacht. Manchmal tauchen solche Figuren auch in Erzählungen auf, oft nur am Rande, oder sie fallen rasch einer Nachstellung zum Opfer, oder werden einfach von den in ihr Handeln Verstrickten übersehen, versäumt. Bei Erich Hackl hingegegen bevölkern diese ersehnten Redlichen das Innere der Erzählung. Ja, man kann sagen: Erich Hackl besiedelt unsere ob all der Gleichgültigkeit vor Scham grau gewordene Welt mit einem Geschlecht von Redlichen, Menschen, die ihre Selbständigkeit zu wahren wissen und für ihre Überzeugungen einzutreten bereit sind, unter welchen Umständen auch immer. Das ist das freundlich uns Zugewandte, Lebensbejahende, das — sozusagen auf den ersten Blick — zu uns aus Hackls Schriften spricht. Er schenkt uns Menschen, doch er erfindet sie nicht. Schon in seinem ersten Buch, „Auroras Anlaß“, führt er indirekt den Nachweis, daß man Menschen nicht erfinden kann. Aurora Rodriguez, die in ihrem Kind ein Ideal verwirklicht finden will, an das die Tochter anzunähern sie weder Mühe noch Mittel scheut, sieht letztlich keinen anderen Ausweg, als das Experiment durch eine Mordtat zu beenden. Von da scheint der Weg des Erzählers Hackl vorbestimmt: Zu erzählen, zu berichten ist ihm nur gestattet, so weit der Chronist, der Dokumentarist sich Kenntnis verschaffen konnte von den wirklichen Lebensumständen, aufgrund der zusammengetragenen Berichte verschiedener Zeitzeugen, Recherchen in Archiven, Dokumenten, die Angehörige ihm zur Verfügung stellten. Und er hört hier genau hinein in das, was ihm gesagt wird. Ihn interessieren gleichermaßen Tonfall und besondere Ausdrucksweise, die charakteristische Aussage, das treffende Wort. Nicht nur um Tatsächliches ist es also zu tun. Das Dialektale, das lokale Idiom gibt er oft in sparsamen Andeutungen wieder. Oft zitiert er auch wörtlich, zitiert überhaupt gerne, wenn andere etwas zu sagen wußten. Liest man die Sammelbände „In fester Umarmung“ und „Anprobieren eines Vaters“ wird man sich gewahr, wie weit gespannt die Suche Hackls nach Spuren menschlicher Redlichkeit, nach Personen, die fähig waren zu helfen und sich zu empören, war und ist. Und unpubliziert blieb so manches, zu dem er mühsam 10 ZWISCHENWELT recherchiert hatte, so etwa zu dem Projekt, über Josef Hassler, den Betriebsrat einer Vorarlberger Textlfabrik zu schreiben, der, in einen öffentlich ausgetragenen Konflikt mit der Betriebsleitung verwickelt, sich 1986 in einem Wiener Hotelzimmer erhängte. Oder über den Superbarrio, der, angetan mit einem nachgeschneiderten Superman-Kostüm, die Delogierung zahlungsunfähiger Familien in den ärmeren Vierteln von Mexico D.E mitunter zu verhindern verstand, indem er den Anstoß zur Solidarisierung der Nachbarschaft gab. Allemal ist die Fähigkeit sich zu empören, Partei gegen altes und neues Unrecht zu ergreifen, für Hackl ein wesentliches Element der Redlichkeit. Und da diese Pflicht zur Empörung immer wieder unter Umständen der Diktatur, der grausamen Repression jeglichen Widerstandes wahrgenommen werden muß, enden Hackls Erzählungen oft tragisch. Es sind aber keine Tragödien, selbst in der „Hochzeit in Auschwitz“ nicht, die unausweichlich eintreten hätten müssen. Die kleine Sidonie Adlersburg wäre nicht deportiert worden, wenn irgendeiner der Verantwortlichen in der Befehlskette ein ganz klein wenig von der Vorschrift abgewichen wäre. Und Che Guevara — auch über ihn schreibt Hackl — ging nicht nach Bolivien, um sein Schicksal zu erfüllen und damit zu einer Ikone unklarer revolutionärer Sehnsüchte zu werden. Kein Pantragismus und auch kein allgemeines Mißtrauen in den Lauf der Welt durchzieht Hackls Schriften. Seine Menschen sind nicht jene Edelmütigen, die das Ganze als das Falsche betrachten, außerhalb dessen sie sich dennoch ein Nest bauen wollen, in dem Friede und Gartenarbeit herrschen. Es ist allerdings nicht Hackls Geschäft, sich auszumalen, was geschehen wäre, wenn es nicht geschehen wäre, z.B. was aus der tapferen und gescheiten Gisela Tenenbaum geworden wäre, wenn sie nicht vor nunmehr 36 Jahren einer Sondereinheit der Polizei, einer Todesschwadron, in die Hande gefallen und ermordet worden ware, eine von Tausenden Verschwundenen — desaparecidos —der siebenjahrigen Militardiktatur in Argentinien, die erst nach dem verlorenen Krieg um die Islas Malvinas, Falkland-Inseln, zusammenbrach. Gisela Tenenbaum, ihre Eltern waren HitlerFlüchtlinge aus Österreich, wurde vom noch immer wuchernden Geschwür des Faschismus eingeholt. Ihre Entwicklungslinien, die Möglichkeiten, die sie gehabt hätte, deutet Hackl an. Doch sind sie jäh gekappt worden. 58 Jahre alt wäre sie nun, säße vielleicht hier unter uns. Wir würden über ihre Geschichte sprechen, sie würde aufstehen und auch etwas dazu sagen, nicht ohne uns auf einige Dinge, die wir über heutige Zustände wissen sollten, hinzuweisen. Es wäre besser so. Alles, was berichtet werden kann, selbst alles, was erzählt wird, scheint, ungeachtet der Zeitform, die die Autorin oder Autor wählt, bereits vergangen, schon geschehen. Selbst Science FictionRomane legen meist unfreiwillig von diesem Bann des Vergehens komisches Zeugnis ab. Das ist, glaube ich, eine Banalität, und Banalitäten sind immer nur mit ziemlichem Aufwand an Wörtern und Spitzfindigkeiten (der Gedanke tritt der banalen Selbstverständlichkeit ja immer als Spitzfindigkeit in den Weg) zu widerlegen. Im Falle der Schriften Erich Hackls braut sich jedoch